"Sarggeschichten" rund um die Beerdigung

Sarah Benz mit Katrin Trommler auf einer Wiese mit dem roten Sarg.
Mosaik
Sarah Benz und Katrin Trommler mit ihrem roten Sarg wollen aufklären darüber, was alles erlaubt und möglich ist bei einer Beerdigung.
Erklärvideos über den Abschied
"Sarggeschichten" rund um die Beerdigung
Martha heißt der rote Sarg, der als Logo für die "Sarggeschichten" weithin sichtbar wirbt und in den sich Menschen sogar selbst hineinlegen dürfen. Mit ihren Kurzfilmen rund um die Themen Sterben, Bestattung, Trauer und Erinnern wollen die Bestatterin Sarah Benz und die ehemalige Gewandmeisterin Katrin Trommler Menschen ermutigen, alle Möglichkeiten auszuloten. Ein Gespräch über die Lieblingszeitung auf dem Sarg, Kaffeklatsch mit Toten und die Liebe, die über den Tod hinaus bleibt.

Sarah Benz ist Bestatterin, Trauerbegleiterin, Notfallseelsorgerin, Musikerin und Autorin. Bei den Sarggeschichten auf YouTube, die sie zusammen mit Katrin Trommler erzählt, entwickelt sie die Filmkonzepte, moderiert und macht auch die Musik. Auch ein passendes Buch gibt es dazu. Die Idee finanziert sich über Spenden.
 
evangelisch.de: Frau Benz, was steckt hinter den Sarggeschichten allgemein?

Sarah Benz: Die Sarggeschichten sind ermutigende Kurzfilme rund um die Themen Sterben, Bestattung, Trauer und Erinnern, die Menschen Möglichkeiten aufzeigen, wie sie ihre Abschiede selbstbestimmt gestalten können. Wir haben mittlerweile 14 Filme gedreht, die sich alle mit einer Frage beschäftigen, z.B. "Was kann man sagen, wenn jemand gestorben ist? , "Wie versorgt man einen Verstorbenen?" und "Was brauchen trauernde Kinder?".

 

Für wen machen Sie das speziell?

Sarah Benz: Die Sarggeschichten sind für alle Menschen, die sich zu den Themen informieren möchten, möglichst bevor ein Todesfall eintritt. Es gibt zusätzlich noch unsere Social-Media-Präsenzen, wo ich auch Fragen beantworte oder Geschichten teile, die ich in meiner Arbeit als Bestatterin erlebe. Wir bekommen oft Post von Menschen, die uns schreiben, dass sie sich dank unserer Filme für Dinge entscheiden konnten, die ihnen bei ihren Abschieden viel bedeutet haben. Beispielsweise hat eine Tochter sich getraut, ihre Mutter zu waschen, und eine andere Frau wollte dann gern die Urne ihres Großvaters tragen, weil sie gesehen hat, dass es möglich ist. Das finde ich wunderbar, dann sehe ich, wieviel Sinn diese Arbeit hat. 

Sarah Benz

Wie kamen Sie darauf so etwas zu machen? Und womit haben Sie begonnen?

Sarah Benz: Ich dachte, es gibt auf YouTube so viele Erklärvideos zu verschiedensten Themen, wie man etwas reparieren kann, Handarbeits- oder Kochideen.  Warum nicht auch zu Abschied? Das Projekt begann 2015 mit Jan Möllers und mir, großer Lust aufs Filme machen aber ohne Geld und Fachwissen übers Filmen. Die Deutsche Palliativstiftung hat uns dann eine Anschubfinanzierung ermöglicht bis 2017 über die wir sehr dankbar waren. Seit 2017 finanzieren wir uns ausschließlich über Spenden. Katrin Trommler kam dazu und wir führen das Projekt seit 2019 zu zweit weiter. 2020 kam ein Verlag auf uns zu, und fragte ob wir nicht ein Buch über die Sarggeschichten schreiben wollten. So entstand mit viel Herzblut unser Sarggeschichten-Buch mit dem Untertitel: Warum selbstbestimmtes Abschiednehmen so wichtig ist. 

Warum ist selbstbestimmtes Abschiednehmen denn so wichtig?

Sarah Benz: Menschen werden nicht nach Dingen fragen, die sich nicht schon mal als Gedanke oder Bild im Kopf hatten. Daher braucht es Aufklärung, was alles erlaubt und möglich ist. Daneben ist es aber auch wichtig, dass Zugehörige Zeit und Raum bekommen um zu spüren, was von diesen Optionen zu ihnen oder ihrem verstorbenen Menschen passt. 

"Dann entstehen Abschiede, die mich immer wieder berühren, weil sie so individuell und liebevoll sind."

Der Sohn, der seinem Vater dessen Lieblingszeitung mit in den Sarg legte und eine Taschenlampe, oder die Tochter, die ihre Mutter schminkte und frisierte, genauso wie sie es immer getan hatte. In unserem Buch darf ich von Silke berichten, einer großartigen, lebenslustigen Frau, die ich bestattet habe. Sie hat sich gewünscht, dass alle ihre Freunde und ihre Familie mit Kaffee und Kuchen um ihren Sarg sitzen, ihre Lieblingsmusik hören und sich in Ruhe von ihr verabschieden können. Genauso haben wir es dann gemacht. Erst waren alle etwas verhalten, aber irgendwann haben sie Silke auch einen Kaffee in die Hand gestellt, Geschichten über sie erzählt, ihre Lachfältchen bewundert und sich mit allen Sinnen verabschiedet. 
 
Gibt es denn aus ihrer Erfahrung heraus ein fremdbestimmtes Abschiednehmen?

Sarah Benz: Wenn Menschen nicht eingeladen werden, sich mit Optionen auseinanderzusetzen, kann es sein, dass sie Dinge nicht tun, die aber wichtig gewesen wären. Mir schreiben viele Menschen, dass ihnen ihr Bestattungsinstitut wenig angeboten hat. Sie hätten so gerne ihren verstorbenen Menschen gewaschen oder in den Sarg gelegt, wären mit ins Krematorium gegangen, hätten bei der Trauerfeier selbst gesprochen oder die Urne getragen, aber sie haben es einfach nicht gewusst. Dann sehen sie in unseren Filmen oder lesen im Buch, dass dies alles möglich gewesen wäre. Das macht viel Schmerz, denn Abschied kann nicht wiederholt werden.

"Mir fällt keine Situation ein, in der man nicht irgendwie eine Nähe zum verstorbenen Menschen möglich machen kann."

Gerade wenn es darum geht, den toten Menschen nochmal zu sehen, raten viele Bestattende ab, was ich gewaltvoll finde. Mir fällt keine Situation ein, in der man nicht irgendwie eine Nähe zum verstorbenen Menschen möglich machen kann. Wunden können versorgt, Körperteile oder auch der ganze Mensch in eine Decke gewickelt werden, aber mir ist es ganz wichtig, dass Zugehörige selbst entscheiden, wie sie sich verabschieden wollen. Das steht mir nicht zu. Meine Aufgabe ist es, sie in die Lage zu versetzen, so eine Entscheidung zu treffen. Dafür sind viel Vertrauen, Zeit und Beziehung notwendig, aber das ist, meiner Ansicht nach, auch die Freude beim Bestatten. Menschen in einer sehr vulnerablen Zeit nahkommen und sie so begleiten zu dürfen, ist für mich ein Geschenk. Die Abschiede, die so entstehen, behalten die Menschen für immer im Herzen und schöpfen daraus Kraft, in der Trauer und auch darüber hinaus. 

Der rote Sarg ist ihr Erkennungsmerkmal, gab es den von Anfang an?

Sarah Benz: Ja. Martha, wie unser roter Sarg heißt, ist ziemlich alt und wir mussten sie auch schon reparieren. Bei Veranstaltungen dürfen sich Leute manchmal hineinlegen, um auszuprobieren, wie das ist. 
Wir wollten neue Bilder zu Tod und Trauer, kein Grau oder abgedunkelte Farben mit Alleen oder trauriger Klaviermusik. Rot erschien uns das Gegenüber, lebendig, die Farbe der Liebe und auch eine Farbe, die sagt: Achtung, hier kommt was wichtiges. 

Woher kommen die Fragen, die sie beantworten? 

Sarah Benz: Manchmal schreiben uns Menschen Fragen, die wir aufgreifen, aber wir haben auch so noch viele Themen, über die wir noch Sarggeschichten machen wollen. Der Film: "Wie versorgt man einen Verstorbenen?" scheint einen Nerv getroffen zu haben, er wurde über 1 Millionen mal gesehen. 

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Ich glaube, früher haben Menschen mehr Nähe zu ihren Toten gehabt, die dann durch Industrialisierung, das Bestattungsgewerbe und die zunehmende Arbeitsteilung verdrängt wurde. Auch sterben Menschen weniger zu Hause oder im Hospiz (etwa 20%) sondern mehr im Krankenhaus oder Heim (80%). Dort braucht es mehr Abschiedsmöglichkeiten, oder man holt die Menschen für ein paar Tage nach ihrem Tod nochmal nach Hause, um dort Abschied zu nehmen. Aber viele Leute wissen gar nicht, dass so etwas überhaupt geht. Und dann passiert es leider nur selten, bis sie über unsere Sarggeschichte zum Thema Krankenhaus stolpern.

