Das Grab von Hitlers Stellvertreter ist Geschichte

Das Grab von Hitlers Stellvertreter ist Geschichte
Das Grab von Rudolf Heß in Wunsiedel war das Mekka der "Braunen". Jetzt ist dort nur noch frisch aufgeschüttete Erde zu sehen. Für das Bündnis gegen Rechtsextremismus ist die Auflassung des Heß-Grabes nur ein Etappensieg. Der Kampf gegen Intoleranz und Gewalt geht weiter.
22.07.2011
Von Manfred Präcklein

Für die Neonazis war die Stadt Wunsiedel 24 Jahre lang ein Ort der Glorifizierung. Mit seinem Kampf gegen die regelmäßigen Aufmärsche der Rechtsradikalen zum Todestag des dort begrabenen Rudolf Heß ist der Ort im Fichtelgebirge auch zum Zentrum bürgerlichen Widerstands gegen Nazi-Parolen geworden. Und mit seinem beharrlichen Einsatz hatte der ehemalige Landrat Peter Seißer großen Anteil daran, dass der Volksverhetzungsparagraf im Strafgesetzbuch im Jahr 2005 verschärft wurde. Damit konnten rechtsextreme Gedenkmärsche wie die für Hitler-Stellvertreter Heß verboten werden.

Kirchengemeinde lehnt Verlängerung der Grabnutzung ab

Der Kirchenvorstand in Wunsiedel hat nun die Rechte für das Grab von Heß nicht mehr verlängert. Das Grab wurde in Abstimmung mit der Familie aufgelöst. Frühmorgens am Mittwoch wurde seine Leiche ausgegraben. Die sterblichen Überreste von Heß seien verbrannt worden, sagte der Wunsiedler evangelische Dekan Hans-Jürgen Buchta dem epd am Donnerstag und bestätigte damit einen Bericht der "Süddeutschen Zeitung". Die Asche soll auf hoher See verstreut werden - damit nicht ein neuer Wallfahrtsort entsteht.

Heß, der am 19. August 1987 als letzter Insasse des Kriegsverbrechergefängnisses der Alliierten in Berlin-Spandau starb, war für die Neonazis Idol und Märtyrer zugleich. Schon kurz nach seinem Tod erkoren Ewiggestrige nicht nur aus Deutschland das Grab seiner Familie auf dem Friedhof im bayerischen Wunsiedel zur Pilgerstätte. Mindestens genauso bedrückend wie die Demonstrationen war damals aber auch die Tatsache, dass amerikanische Fernsehsender die unverbesserlichen Parolen der alten und neuen Nazis live in die Wohnstuben ihrer Landsleute übertrugen.

Letzte Grabstätte von Nazi-Größen auf deutschem Boden

Mit der Umbettung sind mir Steine vom Herzen gefallen", gab Buchta zu. Der Grabstein sei verschwunden, nichts auf dem Friedhof erinnere mehr an Rudolf Heß. "Ich sehe damit wieder mehr Luft und Freiheit für Wunsiedel", so Buchta weiter. Er könne allerdings noch nicht abschätzen, ob nicht doch noch Pilgerscharen von Neonazis nach Wunsiedel kämen. Mit der Grabauflösung sei jedenfalls die letzte Grabstätte von Nazi-Größen auf deutschem Boden verschwunden, fügte Buchta an.

Auch Andreas Fadel von der Friedhofsverwaltung der evangelischen Kirchengemeinde ist froh, dass das Kapitel "Rudolf Heß" für Wunsiedel nun geschlossen scheint. Die Heß-Märsche seien stets "bedrückend und schrecklich" für die Bevölkerung gewesen, sagte Fadel.

Auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, begrüßte die Entscheidung. "Ich freue mich, dass der braune Spuk in Wunsiedel endlich ein Ende hat." Jahrzehnte lang hätten Rechtsextremisten aus aller Welt den Ort und seine Bürger "terrorisiert".

Wallfahrtsort von Neonazis

"Heß hatte noch zu Lebzeiten den Wunsch geäußert, dass er im Grab seiner Eltern in Wunsiedel beigesetzt wird", erinnert sich Peter Seißer. "Diesen Wunsch haben wir akzeptiert", sagt der Kirchenvorstand und langjährige Landrat von Wunsiedel. Als Reaktion auf die Demonstrationen wurde die Überführung abgebrochen und die Leiche von Rudolf Heß zunächst an einem anderen Ort beigesetzt.

Auf den Tag genau sieben Monate nach seinem Tod sollten seine sterblichen Überreste in einer Nacht- und Nebelaktion doch noch nach Wunsiedel umgebettet werden. Doch die Arbeiten wurden publik und in der Folge wurde Wunsiedel in den Tagen um den 17. August zum Wallfahrtsort von Neonazis. Die Zahl der Teilnehmer der rechtsradikalen Gedenkmärsche wuchs, parallel dazu kamen immer mehr Mitglieder autonomer Gruppen in die 10.000-Einwohner-Stadt. Nach gewalttätigen Ausschreitungen 1990 wurden die Aufmärsche und Gegendemonstrationen in Wunsiedel verboten.

Zehn Jahre herrschte Ruhe in der Stadt der bundesweit bekannten Luisenburg-Festspiele. Doch im Jahr 2001 änderte das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zum Versammlungsrecht. Da die Behörden nicht nachweisen konnten, welche konkreten Gefahren von den Neonazis ausgehen könnten, kippten die Gerichte die Demonstrationsverbote. Erneut zogen die Rechtsradikalen im August zum Todestag von Heß durch die Straßen der beschaulichen Stadt.

Wunsiedler Bündnis gegen Rechtsextremismus

Doch Jurist Seißer ließ nicht locker. Er unterbreitete dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily und Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (beide SPD) den Vorschlag, nicht das Versammlungsrecht anzupassen, sondern den Volksverhetzungsparagraf 130 im Strafgesetzbuch zu verschärfen. Mit Erfolg: Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes 2005 beschloss der Bundestag die Neufassung.

Parallel dazu schlossen sich Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Vereine und Verbände zum Wunsiedler Bündnis gegen Rechtsextremismus für Demokratie und Menschenwürde zusammen. Unter den Motto "Wunsiedel ist bunt - nicht braun" setzen sie seither mit einem "Tag der Demokratie" regelmäßig ein Zeichen gegen nationalsozialistisches Gedankengut.

Im Nachbarort Bad Alexandersbad wurde am 1. Februar 2007 die bayernweit erste Projektstelle gegen Rechtsextremismus eingerichtet. Für ihren Leiter Martin Becher ist die Auflassung des Grabes von Rudolf Heß nur ein Etappensieg. "Der Kampf geht weiter", sagt er. "Wir brauchen den Aufstand der Anständigen, aber auch den Aufstand der Zuständigen", mahnt er Bürger und Verantwortliche in Politik, Kirche und Gesellschaft, weiter wachsam zu bleiben und sich für die Demokratie und den Rechtsstaat zu engagieren.

dpa