Der letzte Zivi bleibt noch bis Dezember

Der letzte Zivi bleibt noch bis Dezember
Juli 2011 in Deutschland: Der neue Bundesfreiwilligendienst ist in aller Munde, obwohl die Bewerberzahlen bisher deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben. Die Pflicht für junge Männer, zur Bundeswehr zu gehen oder Ersatzdienst zu leisten, ist hingegen Vergangenheit. Alle Wehr- und Zivildienstleistenden wurden aus Kasernen, Sozialdiensten und Pflegeeinrichtungen abgezogen. Alle? Nein. Der letzte Zivi ist noch im Dienst. Ein Besuch in Obertshausen.
12.07.2011
Von Bernd Buchner (Text) und Anika Kempf (Fotos)

Jedes gute Haus hat einen Hausmeister. Das Haus Jona hat sogar ein ganzes Team, die Abteilung "Haustechnik". Hier, im Altenpflegeheim der evangelischen "Mission Leben" in Obertshausen bei Offenbach, arbeitet auch Jack Abdellah. Der sympathische 19-Jährige sieht gar nicht aus wie ein Auslaufmodell. Aber als Zivi ist er einer der letzten seiner Art. Genau 60 Jahre nach seiner Einführung ist der Zivildienst, gemeinsam mit dem Wehrdienst, Ende Juni abgeschafft worden.

Gandhi und der Großvater

Jack kommt ganz aus der Nähe, aus Heusenstamm. Trotz des außergewöhnlichen Namens ist er ein bodenständiger hessischer Junge. Sein Vater ist Brite, und den Nachnamen legte sich einer seiner Vorfahren - Artist beim Zirkus - als Künstlername zu. Jack besuchte die Realschule, machte danach in Offenbach sein Fachabitur. Er wäre auch zur Bundeswehr gegangen, aber schließlich entschloss er sich für den Zivildienst. In seiner Begründung für die Verweigerung führte er Gandhi auf, den Buddhismus, und seinen Großvater, der in Stalingrad war.

Jacks Cousin war ebenfalls Zivi im Haus Jona, er gab ihm den Tipp - einen Monat lang, im April arbeiteten sie noch gemeinsam. Vier Leute umfasst die Abteilung Haustechnik, Bernd Herrendorf und seine Kollegen sind die Mädchen für alles. Jack repariert Lampen und Fernseher, kauft im Baumarkt ein, transportiert Müll und Wäschesäcke aus den Zimmern der vier Wohnbereiche, kümmert sich zudem um alles, was grün ist rund um das Haus Jona. "Ich bin der Chef vom Garten", sagt er schmunzelnd. Auch zu Hause hat er einen Garten, "daher kenne ich all das, was wir hier machen". Etwa, wie man mit der benzinbetriebenen Schere eine Hecke schneidet.

Und wenn Jack einmal gar nicht weiterweiß, kann er sich an Hannes Schanze (Foto links) wenden. Der war viele Jahre Hausmeister im Haus Jona, jetzt lebt er als Rentner auf einer der Stationen. Natürlich kennt er noch viele Tricks, etwa wie der Rasenmäher richtig funktioniert oder wie man Geruch aus der Kanalisation entfernt. Der Zivi nimmt den Rat gerne an. Schuppe zählt zu den rüstigen Senioren im Haus. Es gibt aber auch andere. Jack hatte selbst eine Großmutter, die an Demenz erkrankt war. "Ich konnte mir schon vorstellen", sagt er, "wie die Menschen im Altersheim so drauf sind".

"Da ist schnell mal was verschwunden"

Grundsätzlich steht der 19-Jährige den Senioren sehr positiv gegenüber. "Ich sehe sie nicht als alte Menschen." Auch wenn manche von ihnen "weniger klar" sind. Es gibt für die Haustechniker einiges zu tun, wenn Leute im Rollstuhl gegen Möbel fahren, Türen aushebeln und sie "völlig demolieren". Einmal brach ein Mann die Marmorplatte über einer Heizung Stück für Stück heraus. "Wir haben sie mit Holz ersetzt", sagt Jack nüchtern. Wenn er mit dem Werkzeugwagen herumfährt, ist er übrigens auf der Hut. "Man muss aufpassen, da ist schnell mal ein Gerät verschwunden."

"Mission Leben" ist ein Unternehmen der Diakonie, das 19 Einrichtungen in Hessen und Rheinland-Pfalz unterhält – für Behinderte, Kinder und Jugendliche und eben für Senioren. Der christliche Glaube ist auch im Haus Jona sichtbar. Überall hängen Kreuze, es gibt eine schöne Kapelle, Pfarrer kommen für Gottesdienst und Seelsorge – evangelische wie katholische. "Ich glaube schon, dass viele alte Menschen gläubig sind", sagt Jack. Er selbst allerdings sei zwar dem Konzept der Religion nicht abgeneigt, "aber man muss mich noch überzeugen".

Das Haus Jona ist eine Einrichtung, in dem Leben auch zu Ende gehen kann. Etwa alle zwei Wochen stirbt ein Bewohner. "Da kommen dann zwei Pfleger mit einer Leiche aus dem Aufzug", berichtet der Zivi in seiner ruhigen, sachlichen Art. Man spürt aber, dass ihn solche Situationen nicht unberührt lassen. Es ist der gleiche Aufzug, in dem er hin und wieder steckenbleibt, wenn er unterwegs zur Garage mit den Heckenscheren ist. Das Altenpflegeheim umfasst ein großes Areal, es gibt viel zu schneiden. Und wenn man fertig ist, "kann man gleich wieder von vorne anfangen", schmunzelt Jack.

Freiwilligendienst kein Ansporn

Dass ein Zivi viel Last von den Schultern der Festangestellten nimmt, hat der 19-Jährige schon wenige Wochen nach Dienstantritt im Altenpflegeheim bemerkt. "Zivildienst ist eine sehr gute Idee - ich glaube, dass man das spüren wird, wenn keine mehr da sind." Und der Bundesfreiwilligendienst? "Der ist aus meiner Sicht unattraktiv. Das ist kein Ansporn." Das neue Angebot wird schlechter bezahlt als Wehr- oder Zivildienst. Der monatliche Sold für einen Zivi liegt bei 317,70 Euro, hinzu kommen Kleidergeld, Weihnachtszuschlag und am Ende ein Überbrückungsgeld.

Das Ende zögert Jack noch ein wenig hinaus. Er müsste sechs Monate im Haus Jona bleiben, hat aber bis Dezember verlängert. Welchen Beruf strebt er an? "Diese Frage stelle ich mir oft." In die Pflege will er "lieber nicht", eher zieht es ihn in die Computerbranche. Zuvor aber will er für ein Jahr ans andere Ende der Welt, gemeinsam mit einem Freund nimmt er am "Work & Travel"-Programm der australischen Regierung teil. "Ich habe schon eine Stelle in einem Warenhaus in Perth." Ob es dort auch eine Abteilung Haustechnik gibt, weiß Jack noch nicht.


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.