Die überlebensgroße Luther-Figur an der Fassade der Ulmer Martin-Luther-Kirche ist aus einem ganz besonderen Stoff. Denn diese Statue gilt als weltweit erste Darstellung des Reformators aus Zement. Das in Ulm ansässige Unternehmen Schwenk Zement hatte die Figur nach einem Entwurf des Bildhauers Martin Scheible (1873-1954) aus dem Baustoff gegossen. Die Figur wurde dann in die vordere Fassade der Kirche eingefügt, die zwischen 1926 und 1928 am Rande der Ulmer Innenstadt gebaut worden war.
Die Firma Schwenk hatte bereits 1875 mit der "Kunststeinproduktion" begonnen, wie das Firmenarchiv mitteilte. Während anfangs hauptsächlich Dachplatten und Viehtröge aus Zement produziert wurden, seien im Laufe der Zeit mehr künstlerische Entwürfe wie Brunnen, Grabstätten und Figuren für Parks, aber auch für das Neue Schloss Stuttgart hinzugekommen.
Der überdimensionale Zement-Luther wird in nächster Zeit in ein neues öffentliches Blickfeld rücken. Denn in der Orgelkammer im hinteren Teil der Kirche hatten Freunde der Geschwister Scholl, die aus Ulm stammten, ein Flugblatt der studentischen Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus versandfertig gemacht. An diese lebensgefährliche Geheimaktion soll ein "Lernort Weiße Rose" neben der Lutherkirche erinnern.
Die Planungen für die neue Sehenswürdigkeit, die auch als Anziehungspunkt für Touristen gedacht ist, laufen auf Hochtouren. Im Juni soll die beste Konzeption bei einem Wettbewerb ausgewählt werden. Die Finanzierung der Gedenkstätte für den NS-Widerstand ist mit einem staatlichen Zuschuss in Höhe von 1,5 Millionen Euro bereits gesichert.
Mit seiner Luther-Figur wich der Künstler Scheible von dem gewohnten Lutherbild ab. Denn seine Statue zeige den Reformator nicht als stattliche Führungspersönlichkeit, sondern "in jüngeren Jahren, als Mönch mit dem Doktorhute", vermerkt die Festschrift zur Einweihung der Lutherkirche vom Mai 1928. Dieser Doktorhut sorgte jedoch bei der Installation für Probleme: Die Figur war um einige Zentimeter zu groß für die vorgesehene Nische, weshalb der Doktorhut mit der Steinsäge nachträglich abgeflacht wurde, damit "der Reformator hineinpasste", wie es in einer Broschüre der Lutherkirche heißt.