Bootsdrama: Tunis dementiert Leichenbergung

Bootsdrama: Tunis dementiert Leichenbergung
Verwirrung um das Flüchtlingsdrama vor der tunesischen Küste: Nachdem zunächst von 150 geborgenen Leichen die Rede war, folgte am Abend das Dementi der tunesischen Regierung. Unklar bleibt, was wirklich geschah.

Nach der Havarie eines mit 850 Menschen besetzten Flüchtlingsbootes vor der nordafrikanischen Küste herrscht Unklarheit über das Schicksal von bis zu 270 Vermissten. Die tunesische Regierung dementierte am Abend Berichte, wonach 150 Leichen aus dem Mittelmeer geborgen worden seien. Abgesehen von den am Vortag lebend geretteten 583 Passagieren sowie zwei geborgenen Leichen gebe es keine neuen Opferzahlen, berichtete der für die Rettungsarbeiten zuständige tunesische Oberst Kamel Akrout in Tunis. Wegen schlechten Wetters sei die Suche am Freitag eingestellt worden.

Zuvor hatte die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Genf unter Berufung auf die tunesische Hilfsorganisation Roter Halbmond von 150 geborgenen Leichen berichtetet. Tunesische Krankenhaus-Quellen in Sfax hatten zunächst von 123 geborgenen Leichen berichtet, ihre Angaben später aber ebenfalls korrigiert. Unklar blieb, was die Verwirrung um die Zahl der geborgenen Leichen ausgelöst hat. Eine Stellungnahme des IOM in Genf zu den widersprüchlichen Zahlenangaben lag zunächst nicht vor.

Massenpanik löst Havarie aus

Bei der Havarie waren bereits am Mittwoch nach einer Massenpanik an Bord ihres gekenterten Kutters bis zu 270 Menschen in den Fluten verschwunden, hatten tunesische Behörden berichtet. Das Boot hatte die zum größten Teil aus Schwarzafrika stammenden Flüchtlinge von Libyen zur italienischen Insel Lampedusa bringen sollen. Vor den tunesischen Kerkenna-Inseln erlitt der Kahn bei schwerer See eine Motorpanne.

Italienischen Medienberichten zufolge konnten sich die Retter nur in kleinen Schiffen und Schlauchbooten dem havarierten Kutter nähern, da er sich in flachem Wasser befand. Nur langsam seien zunächst Frauen und Kinder vom sinkenden Boot in Sicherheit gebracht worden. In Panik hätten sich viele Menschen in die Fluten gestürzt.

Gefährliche Fahrt in Richtung Lampedusa

Die toten und noch vermissten, vermutlich ertrunkenen Flüchtlinge reihen sich in eine traurige Statistik ein. Allein seit Beginn der Unruhewelle in Nordafrika verschwanden rund 1.650 Menschen auf ihrer Flucht vor Armut und Krieg in den Fluten des Mittelmeers. Die Zahl übersteigt den bisherigen Rekord von 2008. Damals ertranken bei der letzten großen Flüchtlingswelle im Laufe des Jahres offiziell 1.274 Menschen in der Straße von Sizilien.

Seit Januar wählten 42.000 Immigranten die als extrem gefährlich geltende Mittelmeerroute, um Italien und damit Europa zu erreichen. Oft sind die Boote der Migranten wenig seetauglich, fast immer völlig überladen. Viele der Afrikaner können zudem nicht schwimmen. Nach IOM-Angaben sind seit Februar mehr als 20.000 Menschen von Tunesien und 13.000 von Libyen aus über das Meer zu ihrer gefährlichen Fahrt in Richtung Lampedusa aufgebrochen.

dpa