Ungarn bessert nach – doch das Mediengesetz bleibt umstritten

Ungarn bessert nach – doch das Mediengesetz bleibt umstritten
Die ungarische Regierung hat Korrekturen an ihrem heftig kritisierten Mediengesetz vorgenommen, die EU-Kommission zeigt sich zufrieden. Doch entspricht es nun wirklich europäischen Standards? Das Europaparlament hat bereits eine erneute Prüfung gefordert. Der deutsche Medienrechtler Alexander Scheuer zieht eine kritische Zwischenbilanz.
10.03.2011
Von Alexander Scheuer

Das ungarische Parlament hat am 7. März 2011, wie angekündigt in einem Dringlichkeitsverfahren, sein Medienrecht teilweise angepasst – nachdem die Europäische Kommission und insbesondere die zuständige Kommissarin Neelie Kroes Anfang des Jahres hieran Kritik geäußert hatten. Die Diskussion kommt dennoch nicht zur Ruhe. Die OSZE-Beauftragte für die Medienfreiheit erneuerte bereits einen Tag nach der Annahme des Änderungsgesetzes ihre fundamentale Kritik.

Zudem herrscht eine gewisse Unzufriedenheit darüber, dass die Intervention aus Brüssel, zumindest nach Ansicht mancher Beobachter, nur einige "technische Details" in den Mediengesetzen betraf. Auch über den vorliegenden Fall hinaus, etwa bei Verhandlungen über den zukünftigen Beitritt neuer Mitgliedstaaten, bleibt die Frage nach dem Handlungsrahmen der Kommission bestehen. Welcher ist der Prüfungsmaßstab nach europäischem Recht? Geht er über die Gewährleistung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit sowie die Umsetzung der EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste vom Dezember 2007 hinaus?

Wichtige Änderungen

Ungarn hatte in vier Punkten Änderungszusagen gemacht:

  • Die Verpflichtung zu ausgewogenen Berichterstattung wird wieder auf den Bereich Hörfunk und Fernsehen beschränkt und nicht etwa auch für Blogs im Internet gelten.
  • Auf Sanktionen gegenüber ausländischen Medienanbietern wird verzichtet.
  • Auch künftig ist zwar eine Registrierung notwendig, um als Medienunternehmer in Ungarn tätig zu werden, es wird aber eine Karenzzeit von bis zu 60 Tagen eingeräumt.
  • Das Verbot "anstößiger Äußerungen" in Medienangeboten – auch gegenüber von Mehrheitsgruppen – gilt nur für die Aufstachelung zum Hass und für diskriminierende Äußerungen gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Gruppen.

… doch die Medienaufsicht bleibt, wie sie ist

Einer der umstrittensten Teile des ungarischen Medienrechts bleibt jedoch unangetastet: die mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattete Medien- und Telekommunikationsaufsichtsbehörde (NMHH) und der ungarischen Medienrat, die vorwiegend mit Personen besetzt sind, die der Regierungspartei Fidesz zumindest (sehr) nahe stehen. Die Schwierigkeit für die Europäische Kommission besteht auch hier darin, einen Standard zu finden, der Grundlage der rechtlichen Prüfung sein kann.

Die Unabhängigkeit der Medienaufsichtsbehörden in Europa ist zwar weitgehend gemeinsame Überzeugung, aber nicht ausdrücklich in den europäischen Gesetzen fixiert. Allerdings hatte sich die frühere ungarische Regierung im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen zur Einrichtung einer unabhängigen Regulierungsbehörde verpflichtet. Hier hätte die Kommission durchaus mutiger sein und sich darauf beziehen können, dass die im Zuge dessen abgegebenen Zusagen verbindlich sind.

Schwieriger europäischer Vergleich

In Ungarn ernennt der Regierungschef die Präsidentin der Medienbehörde. Das französische Verfassungsgericht hat bei einer ähnlichen Konstellation eine solche Befugnis der Regierung unter anderem nur unter parlamentarischer Beteiligung für verfassungsgemäß erachtet; das Gutdünken des jeweiligen Regierungschefs allein genügt also nicht. Nötig ist vielmehr das Zusammenspiel von Regierung, Parlament und – wenn auch teilweise von der Politik nominierten, aber mit Fachleuten besetzten – Gremien, die ihr Amt in Unabhängigkeit ausüben.

Die Besetzung der Rundfunk- und sonstigen Medienaufsichtsbehörden wird in den europäischen Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Auch wenn es vergleichbare Konstellationen gibt, sind einzelne Aspekte dabei wenig aussagekräftig. Es kommt in erster Linie auf eine Gesamtschau der Regelungen, aber auch auf die Rechtskultur im jeweiligen Land an und die bisherige Praxis.

Die personelle Besetzung der ungarischen Medienaufsicht ist ohnehin nicht das einzige Problemfeld. Kritisch sind vielmehr die zahlreichen Kompetenzen, die der auf 9 Jahre ernannten Präsidentin im Bereich Telekommunikation, beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk bis hin zur staatlichen Nachrichtenagentur eingeräumt werden – auch in Bezug auf die Ernennung der leitenden Personen. Hier wird eindeutig die Zielsetzung von "checks-and-balances" verfehlt, also der Beschränkung von Macht durch Aufteilung von Zuständigkeiten und Befugnissen auf verschiedene, von einander unabhängige Einrichtungen.

Gerade angesichts der Zweidrittel-Mehrheit der regierenden ungarischen Fidesz-Partei bestünde ein Lösungsansatz zum einen darin, für größere politische Pluralität zu sorgen. Man könnte beispielsweise Ernennungsbefugnisse auf verschiedene Institutionen verteilen und dabei die Rechte (parlamentarischer) Minderheiten stärken. Es wäre auch möglich, gesellschaftlich relevanten und/oder fachkompetenten Gruppierungen Rechte einzuräumen.

Schutz der Presse- und Medienfreiheit durch die EU

Die Grundrechte-Charta der EU wurde durch den Vertrag von Lissabon verbindlich. Darin enthalten sind die Presse- und vor allem die Medienfreiheit (Art. 11). Juristisch noch ungeklärt ist aber, in welchen Konstellation und wie weit die Mitgliedstaaten hieran gebunden sind. Die Europäische Kommission hat Kritik an der Vereinbarkeit des ungarischen Medienrechts mit der Pressefreiheit stets nur in zweiter Linie geäußert. Sie hat den ungarischen Fall nicht zum Anlass für eine Fortentwicklung der europäischen Integration im Mediensektor genommen.

Warum diese Zurückhaltung? Ungarns "Massenmediengesetz" umfasst mehr als 200 Artikel, ist komplex aufgebaut und im Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen Regelungen nicht einfach zu durchschauen. Sollte man einen solch schwierig gelagerten Fall wirklich hernehmen, eine stärkere Rechtsharmonisierung anzustreben? Zumal in dem sensiblen, weitgehend der Ausgestaltung durch die Mitgliedstaaten (in Deutschland die Bundesländer) überlassenen Bereich der Medien? Man mag ferner einwenden, die Kommission möge sich dann doch bitte auch um die Medienordnungen in den anderen EU-Ländern kümmern. Es bleibt also sehr fraglich, ob man in Europa zu einem größeren gemeinsamen Nenner hinsichtlich des Medienfreiheits- und damit des Demokratieverständnisses kommen wird.

Europäische Gerichte als letzte Instanz?

Es ist nicht zu erwarten, dass sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) wegen eines Verstoßes gegen die EU-Verträge mit Ungarns Mediengesetzen beschäftigt. Ein solches Verfahren ist seit der von der Kommission geäußerten "Zufriedenheit" mit den jetzt vorgenommenen Änderungen sehr unwahrscheinlich geworden. Dass ein anderer Mitgliedstaat die ungarische Regierung verklagt, ist ebenfalls wenig wahrscheinlich, zumal dieses Instrument in der Vergangenheit nur höchst selten angewandt wurde.

Allerdings wäre es denkbar, dass zum Beispiel ein Fernsehveranstalter im Rechtsstreit mit dem Medienrat eine Klärung durch den EuGH anstrebt. Die Richter in Luxemburg hätten dann darüber zu befinden, ob das EU-Recht dem nationalen Recht entgegensteht. Möglich ist außerdem, dass sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit einer Klage gegen Ungarn befassen muss, sofern die nationalen Rechtsmittel ausgeschöpft sind.

Perspektiven

In den Medien ist berichtet worden, dass ein ungarischer Zeitungsverlag am 8. Februar 2011 Klage gegen die neuen Gesetze vor dem ungarischen Verfassungsgericht erhoben hat. Als verfassungswidrig kritisiert wurden unter anderem der mangelnde Schutz journalistischer Quellen, die fehlende Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden, die Verpflichtungen der Medien und die zugehörigen Sanktionsmöglichkeiten der Behörde sowie die Bedrohung der redaktionellen und finanziellen Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ob das Verfassungsgericht eine medienfreiheitsfreundliche Linie einschlagen wird, ist abzuwarten – bislang hat es das regelmäßig getan.


Alexander Scheuer ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Instituts für Europäisches Medienrecht e.V. (EMR), Saarbrücken/Brüssel.