Der Tag, an dem sich die Kairoer Buchmesse in Luft auflöste

Der Tag, an dem sich die Kairoer Buchmesse in Luft auflöste
Die 43. Buchmesse in Kairo wurde dieses Jahr nicht abgesagt - sie fand schlicht nicht statt. Für Händler wie Leser eine kulturelle Katastrophe, berichtet die Projektleiterin des deutschen Gemeinschaftsstands, Claudia Dobry. Sie selbst konnte das Land gerade noch rechtzeitig verlassen.
02.02.2011
Von Thomas Östreicher

Am Mittwoch vergangener Woche flog Claudia Dobry nach Kairo, um den von acht Verlagen bestückten deutschen Gemeinschaftsstand dort aufzubauen und zu betreuen. Am Freitag überschlugen sich die Ereignisse. Die studierte Orientalistin blieb sicherheitshalber im Hotel und verfolgte die Ereignisse vom Hotel aus - bei geschlossenem Fenster, weil Polizei und Militär Tränengas gegen die demonstrierenden und randalierenden Menschen einsetzte. Tags darauf flog sie nach Deutschland zurück - nicht mit der Lufthansa, sondern mit einer Maschine der Egypt Air, die sie am Samstagvormittag gerade noch erreichte.

Deutschland ist bei der Buchmesse in Kairo seit mehr als 20 Jahren vertreten. Bereits einige Wochen zuvor hatten die Aussteller die Information erhalten, die Eröffnung der traditionsreichen Literaturschau werde um drei Tage verschoben.

evangelisch.de: Hatte die Verschiebung politische Ursachen?

Claudia Dobry: Genannt wurden organisatorische Gründe. Gerüchten zufolge lag es an neuen Standbaumaterialien, die noch nicht eingetroffen waren und dass man noch etwas Vorbereitungszeit benötige. Was aber bereits für eine internationale Messe ein Super-GAU ist.

evangelisch.de: Ist eine Buchmesse wie die in Kairo mit den hiesigen in Frankfurt am Main und Leipzig vergleichbar? Allein in Frankfurt stellen mehr als 7.000 Verlage und Unternehmen aus.

Dobry: Kairo ist eine reine Verkaufsmesse, während Frankfurt eine Fachmesse ist, bei der es vor allem um den geschäftlichen Austausch zwischen Vertretern der Buch- und Medienbranche aus über 100 Ländern geht. 2010 waren in Kairo immerhin rund 800 Aussteller aus rund 30 Ländern vertreten, in diesem Jahr sollten es 630 sein. Das sind zwar weniger, hatte allerdings mit der Verlegung auf ein kleineres Ausweichgelände zu tun, weil die bisherigen Gebäude einsturzgefährdet sind und neu gebaut werden sollen. In jedem Fall wäre es eng geworden, wenn genauso viele Besucher wie in den Vorjahren gekommen wären.

Quelle für den Jahresbedarf an Büchern

evangelisch.de: Ist die Kairoer Buchmesse für die Region so wichtig wie die Schauen in anderen Teilen der Welt?

Dobry: Für den professionellen Markt ist Abu Dhabi mittlerweile die wichtigste Messe, seit vier Jahren ein Joint Venture mit der Frankfurter Buchmesse. Kairo als Publikums- und Verkaufsmesse hat darum einen ganz anderen Charakter. Es gibt eben auch noch kein richtiges Distributionssystem in der arabischen Welt. Das heißt, die Buchhandlungen und die Leser decken sich auf der Messe mit dem Jahresbedarf an Büchern ein. Für die Verlage ist die Teilnahme an der Messe deswegen wichtig fürs Geschäft.

evangelisch.de: Aus Deutschland waren acht Verlage angemeldet. Ist ein solches Gemeinschaftsprojekt üblich?

Dobry: Ja. Wir sind weltweit mit deutschen Gemeinschaftsständen auf etwa 20 ausländischen Messen im Jahr präsent. Ziel der Auftritte ist, die deutsche Literatur im Ausland zu fördern. Die meisten Auftritte werden als Kulturprojekte vom Auswärtigen Amt finanziert, einige wenige vom Ministerium für Wirtschaft und Technologie. In Kairo ist das Goethe-Institut für das Rahmenprogramm zuständig, mit beteiligt ist das Deutschland-Zentrum der deutschen Botschaft.

"Es ging ziemlich schnell"

evangelisch.de: Von der politischen Entwicklung in Ägypten wurden Sie völlig überrascht …

Dobry: … es ging ja auch ziemlich schnell. Am vergangenen Donnerstag fand überall noch das normale Leben statt. Obwohl man wusste, dass am Freitag etwas passiert, hat keiner damit gerechnet, dass das Ganze flächendeckend wird. Als am Freitag dann weder Internet noch Handy funktionierten, hat die Firma beschlossen, mich zurückzuholen, unabhängig davon, ob die Messe stattfindet oder nicht. Am Freitag war dann auch ohne offizielle Information klar, dass sich eine Buchmesse unter diesen Umständen nicht durchführen lässt. Am Samstag habe ich dann von der Botschaft erfahren, dass die Messe "auf unbestimmte Zeit verschoben" ist, obwohl es offiziell an diesem Tag noch hieß, sie werde von Mubarak eröffnet. Inzwischen steht aber auch in den ägyptischen Zeitungen, dass die Messe abgesagt ist.

evangelisch.de: Müssen die ausländischen Aussteller um ihre Warenbestände fürchten?

Dobry: Die Buchkollektionen am Deutschen Gemeinschaftsstand hätten wir sowieso nach der Messe als Spende ans Goethe-Institut gegeben, das sie an Partnerorganisationen weiterverteilen wollte; dieses Jahr ist zum Beispiel eine große Architektur-Kollektion zu grünem Bauen und Ökologie dabei. Im Moment wird alles eingelagert, auch weil die Ausgangssperren immer früher angesetzt werden. Bei den Gemeinschaftsständen steht der kulturelle Auftrag im Vordergrund, aber wenn beispielsweise ein libanesischer Verlag Bücher in hohem Wert zurücklassen musste, kann das schon schwierig werden. Ich weiß gar nicht, ob zurzeit überhaupt Speditionen arbeiten.

evangelisch.de: Bedauern Sie es, die Ereignisse nicht vor Ort mitzuerleben?

Dobry: Na ja - bevor ich für die Frankfurter Buchmesse dorthin gereist bin, war ich schon sehr oft dort. Ich bin von Haus aus Orientalistin, reise seit 20 Jahren nach Ägypten und habe dort viele Freunde. Natürlich fühle ich mich den Menschen vor Ort innerlich verbunden, und es war gewiss eine neue Erfahrung mich, genau zu dieser Zeit in Kairo zu sein. Aber ich bin schon ganz froh, wieder hier in Deutschland zu sein. Mit einer Entwicklung in dieser Heftigkeit habe ich überhaupt nicht gerechnet.


Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.