Jahresbilanz: Immer noch nichts gut in Afghanistan

Jahresbilanz: Immer noch nichts gut in Afghanistan
Bisher starben 45 deutsche Soldaten in Afghanistan. Politiker sprechen mittlerweile von "Krieg". Trotzdem wurde im Jahr 2010 vor allem über einen Abzug der NATO-Truppen gesprochen: 2014 soll Schluss sein. Allerdings sieht es momentan nicht danach aus, als könne bald eine politische Lösung gefunden werden. Die Taliban lassen nur schwer mit sich verhandeln.
28.12.2010
Von Agnes Tandler

Bei ihrem Blitzbesuch kurz vor Weihnachten in Afghanistan nannte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erstmals die Realität beim Namen: Die deutschen Soldaten stünden im "Krieg", erklärte sie. Beim Militäreinsatz der Bundeswehr am Hindukusch kamen zwar bereits 45 Soldaten ums Leben, dennoch tat sich die Politik schwer mit diesem Eingeständnis. Und das, obwohl sich die Sicherheitslage im Norden des Landes, wo die deutschen Truppen stationiert sind, in den vergangenen zwei Jahren immer weiter verschlechtert hat.

Das Kriegseingeständnis kommt ironischerweise am Ende eines Jahres, das geprägt war von der Frage, wann und wie die NATO sich vom Hindukusch zurückzieht. Ende November 2010 war die westliche Militärallianz neun Jahre und 51 Tage in Afghanistan und damit länger als die sowjetischen Truppen, die das Land zwischen Ende 1979 und Anfang 1989 besetzten.

Das Unbehagen über den Bundeswehr-Einsatz brachte an Neujahr 2010 die damalige hannoversche Bischöfin Margot Käßmann in ihrer Friedenspredigt zum Ausdruck. Mit dem Satz "Nichts ist gut in Afghanistan" löste Käßmann, die auch Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland war, viel Wirbel aus.

2014 sollen die NATO-Truppen abziehen

Zur Afghanistan-Konferenz Ende Januar in London gab US-Präsident Barack Obama die neue Strategie vor: Ein rasches Aufstocken der Truppen und eine schnelle Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte. Bereits 2011 soll der Abzug beginnen, 2014 soll endgültig Schluss sein mit der NATO-Präsenz in Afghanistan.

Frieden und Versöhnung sind aber nicht in Sicht. Doch die Suche nach einer politischen Lösung spielt eine Schlüsselrolle beim Abzugsplan. Ohne Verhandlungen mit den aufständischen Taliban, die der Westen 2001 aus der Regierung gejagt hatte, ist das kaum möglich. Die afghanische Regierung, so beschloss die Londoner Konferenz offiziell, soll Friedensverhandlungen mit den Taliban aufnehmen.

Doch dies blieb mehr Wunsch als Weg. Zunächst nahm im Februar das Nachbarland Pakistan den hochrangigen Taliban-Führer, Mullah Baradar, fest. Damit endeten direkte Verhandlungen zwischen den Aufständischen und der afghanischen Regierung. Offenbar ging Pakistan der Kontakt zu weit.

Pakistan, das der Taliban-Führung in der Stadt Quetta ziemlich sicher Unterschlupf bietet, will bei Verhandlungen über die Neuordnung ein gehöriges Wort mitreden. Pakistan hält somit weiterhin die Trumpf-Karte in der Hand, wenn es um die politische Neuordnung Afghanistans nach dem Abzug der NATO geht. 

Ohne Verhandlungen mit den Taliban kein Frieden

Auch die von Afghanistans Präsident Hamid Karsai einberufene Stammesversammlung im Mai war mehr Fassade als Friedensouvertüre. Die hochkarätige Friedens-Jirga mit über 1.000 Teilnehmern wurde mitten in Kabul von Aufständischen mit Raketen beschossen. Und im November brachte ein Schwindler Spott über die westlichen Bemühungen um einen Dialog.

Die NATO hatte einen vermeintlichen Taliban aus Pakistan zu Verhandlungen nach Kabul eingeflogen. Der Mann strich dafür rund eine Million US-Dollar ein. "Er war der Falsche. Und wir haben ihm eine Menge Geld gegeben", zitierten Zeitungen einen westlichen Diplomaten in Kabul.

Trotz aller schönen Worte und Konferenzen sind Friedensverhandlungen mit den radikal-islamischen Bewegungen offenbar noch weit entfernt. Präsident Karsai brachte zwar an Weihnachten die Eröffnung eines Verbindungsbüros der Taliban in der Türkei ins Gespräch, um den Austausch zu vereinfachen, doch die Aufständischen schienen unbeeindruckt.

Ärzte, Dolmetscher und Entwicklungshelfer erschossen

Indes nahm die Gewalt stark zu. An Ostern wurden drei Bundeswehrsoldaten getötet, die der nach Afghanistan gereiste Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) zurück in die Heimat begleitete.

Doch auch zivile Helfer stehen im Kreuzfeuer der Extremisten. Im August wurden zehn Ärzte und Dolmetscher des christlichen Hilfswerkes International Assistance erschossen, darunter eine Frau aus Sachsen und sieben weitere Ausländer. Und an Heiligabend wurde im Norden des Landes ein deutscher Berater der KfW-Entwicklungsbank von Taliban-Kämpfern erschossen. Der Mitarbeiter hatte ein Straßenbauprojekt begutachtet.

Die Erwartungen an ein stabiles Afghanistan sinken. Vor der Parlamentswahl im September, die von massiver Korruption, Betrug und Fälschung geprägt wurde, hatten die Vereinten Nationen erklärt, das Stattfinden der Wahl sei bereits ein "Wunder". Und der NATO-Oberbefehlshaber in Afghanistan, David Petraeus, sagte, Afghanistan werde auch in zehn Jahren nicht zu einer Schweiz werden.

epd