Pogrom-Gedenken: Grossers Auftritt in Paulskirche ohne Eklat

Pogrom-Gedenken: Grossers Auftritt in Paulskirche ohne Eklat
Als der Publizist Alfred Grosser in der Frankfurter Paulskirche zum Gedenken an die Pogromnacht von 1938 spricht, spricht er auch über seine Kritik an Israel. Aber der befürchtete Eklat bleibt aus: Keiner verlässt den Saal.
10.11.2010
Von Anne-Katrin Einfeldt

Es ist eine unspektakuläre Rede, die der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser am Dienstag in der Frankfurter Paulskirche zum Gedenken an die Pogromnacht von 1938 hält. Er thematisiert die damals in ganz Deutschland brennenden Synagogen und die Zerstörung jüdischer Geschäfte nur am Rande. Er kritisiert die Haltung der evangelischen und der katholischen Kirche im Nationalsozialismus: Die hätten sich zu wenig gegen den Antisemitismus zur Wehr gesetzt.

Grosser bleibt bei Israel-Kritik

Dann spricht er doch über Israel. Der Staat gehöre für ihn zu Europa und "deswegen bin ich kritisch", sagt der 85-Jährige, der in Frankfurt in eine jüdische Familie geboren wurde. Die Werte der westlichen Welt seien Werte für alle, sagt er vor prominenten Vertretern des Judentums aus Frankfurt und Deutschland. Alle Menschen müssten die Leiden anderer anerkennen. Man könne von keinem Palästinenser verlangen, "dass er die Schrecken der Attentate versteht, wenn man nicht ein großes Mitgefühl hat, die Leiden im Gazastreifen zu verstehen".

Dann betont Grosser, dessen Rede mehrfach von Beifall unterbrochen wird, seine besondere Traurigkeit, wenn er auf die israelische Politik schaue. "Meine vier Großeltern waren Juden. Ich fühle mich mehr betroffen, was da (im Gazastreifen) geschieht", als wenn es in Südamerika oder anderswo wäre." Grosser ruft dazu auf, die Leiden anderer anzuerkennen. So sei beispielsweise die Art, wie "Ausländer hier und anderswo behandelt werden können, eine Verletzung der Grundwerte". An den Anderen zu denken sei eine Voraussetzung für den Frieden, meint er.

Gedenktag "wichtiger als persönliche Befindlichkeiten"

Grosser betritt den Saal gemeinsam mit Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) und wird mit verhaltenem Applaus empfangen. Dann nimmt er mit Roth Platz zwischen den beiden Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, den Frankfurtern Salomon Korn und Dieter Graumann. Von Missstimmung ist nichts zu spüren.

Gleichwohl betont Graumann, der vor Grosser spricht: "Wir haben Einwände, haben sie klar artikuliert und sie haben sich nicht aufgelöst." Letztlich sei aber der Gedenktag für die Juden "wichtiger als persönliche Befindlichkeiten". Die jüdische Gemeinschaft habe "über manchen Schatten springen" müssen: "Jetzt sind wir hier und wir sind dabei."

Graumann, der Ende November zum Vorsitzenden des Zentralrats gewählt werden will, geht besonders auf die veränderte Situation der Jüdischen Gemeinden ein: 90 Prozent der Juden in Deutschland seien Menschen, die in den vergangenen 20 Jahren aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion gekommen seien. Diese feierten eher den 9. Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus 1945: "Die jüdische Erinnerung verändert sich." Der Zentralrat brauche eine "Prise frischen Wind". Er müsse mehr Impulsgeber als nur Mahner sein.

Knobloch mahnt zur Erinnerung an Pogromnacht

Zum Jahrestag der Pogromnacht vor 72 Jahren hat die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, ein Plädoyer gegen das Vergessen gehalten. "Über sieben Jahrzehnte nach der sogenannten Reichspogromnacht lehren uns die Ereignisse der Jahre 1933 bis 1945, in welche Katastrophe der Mensch seinesgleichen zu stürzen vermag", sagte sie laut Mitteilung am Dienstag in München.

Die Erinnerung müsse lebendig gehalten werden, verlangte Knobloch. Der NS-Terror werde bald nicht mehr Teil persönlicher Erfahrung von Menschen sein. Deshalb müsse jungen Menschen vermittelt werden, dass Gedenken kein Selbstzweck sei, sondern die Verantwortung für die Zukunft bewusst machen solle. "Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus ­ Diskriminierung in welcher Form auch immer ­ sie sind nicht nur das Problem der betroffenen Gruppe. Sie sind vor allem das Problem der Gesellschaft, in der sie vorkommen."

dpa