Rekord-Tunnelbau: Grollen und Jubel im Gotthard

Rekord-Tunnelbau: Grollen und Jubel im Gotthard
Die Schweizer haben es geschafft: Sie halten den Weltrekord im Tunnelbau. Stolz feiern sie den Durchstich im 57 Kilometer langen Gotthard-Eisenbahntunnel. Die EU-Europäer sollten sich auch freuen, finden die Eidgenossen. Der Tunnel sei ja auch für sie gebaut.
15.10.2010
Von Heinz-Peter Dietrich

Oben strahlender Sonnenschein mit idealem Fernblick auf die grandiose Alpenlandschaft, unten dumpfes Grollen im nur spärlich beleuchteten Tunnelgewirr, dem jedoch frenetischer Jubel folgte. Das war die Szene am Freitagmittag, als die gewaltige Bohrmaschine "Sissi" endlich die letzten anderthalb Meter Gestein wegfräste. Damit waren 57 000 Meter des Gotthard-Basistunnels freigelegt: Weltrekord!

Die Schweizer haben ein Jahrhundertwerk geschaffen, die Worte "Emotionen" und "Stolz" gehörten zu den meistgebrauchten an diesem Festtag. Der Durchstich ist die Belohnung für rund 25 Jahre Planung und Bau - eine Meisterleistung, die nun praktisch auf ebener Erde die Nordsee und das Mittelmeer verbindet, zumindest auf der Schiene.

Direkte Abstimmung der Schweizer hatte für den Tunnel gestimmt

"Sissi" hatte leichtes Spiel: Die letzten Zentimeter stellten keine wirkliche Herausforderung mehr dar. Doch beim gewaltigen Lärm bekamen die rund 200 Augenzeugen in 800 Metern Tiefe ein wenig Gefühl für das, was die mehr als 2.000 Bergleute aus ganz Europa im vergangenen Jahrzehnt geleistet haben. Acht Kumpel verloren ihr Leben, das letzte Opfer starb im vergangenen Juni.

[linkbox:nid=24267;title=Fotogalerie]

Der Schweizer Verkehrsminister Moritz Leuenberger, dessen letzte große Amtshandlung vor seinem Ruhestand dieses Ereignis war, konnte seine Tränen kaum verbergen. Er lobte die Schweizer Demokratie, die es über die direkte Abstimmung möglich gemacht habe, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen - ohne große Proteste.

Das künftige tägliche Verladen von hunderten Lastwagen auf die Schiene ist aus Schweizer Sicht ein riesiger Beitrag zum Umweltschutz. "Der Berg ist zusammengestürzt - es sind große Hoffnungen damit verbunden", sagte Leuenberger.

Teuer, aber es lohnt sich

Bevor im Tunnel mit Jubel, Jodeln und viel Champagner gefeiert wurde, hatten die Schweizer eine Menge Überzeugungsarbeit in Europa für ihre Idee der Lkw-Verladung leisten müssen. Das Projekt galt als zu ehrgeizig und teuer.

Beides stimme, so wurde am Freitag in Festreden und Interviews von den beteiligten Experten immer wieder betont, aber es werde sich lohnen. Die Schweizer hatten in Abstimmungen für diese Lösung gestimmt - der große Tag war nun an diesem Freitag.

Was sich schließlich in der Tiefe abspielte, auf der rund zwei Kilometer Gestein lasten, war gelungene Schweizer Präzision. So wie der ganze Bau. Zu Beginn der Festveranstaltung erklang im Tunnel eine Gotthard-Sinfonie, mit sphärischen Klängen und Lichtspielen, für die der deutsche Theaterregisseur Volker Hesse verantwortlich war. Seine Inszenierung sollte den Kampf des Menschen mit dem Gestein kunstvoll darstellen. Geistliche dankten für das Werk. Der Fortschritt von Wissenschaft und Technik solle ein Segen für die Menschen sein. Zudem sollten Völker und Nationen mit dem Durchschlag am Gotthard-Basistunnel näher zueinanderfinden.

Einen unterirdischen Bahnhof wird es nicht geben

Dann kam um 14.17 Uhr der große Moment, als sich der zehn Meter breite Bohrkopf durch die Wand bohrte. Wenig später reichten sich Bergleute aus Sedrun im Kanton Graubünden und Faido im Tessin die Hände. Fahnen der Heimatländer der Kumpel wurden geschwungen. Hoch oben in einer Halle in Sedrun verfolgten weitere Bergleute, Bauarbeiter, Projektteilnehmer und Journalisten den Gotthard-Durchschlag am Bildschirm.

Für viele Beteiligte ist in knapp zwei Jahren Schluss. Der Flecken Sedrun mit 1.800 Einwohnern hat in den vergangenen Jahren kräftig von der Großbaustelle profitiert, dort wo eines der Eingangstore für die Arbeiten im Tunnelgeflecht ist. Nun müssen sich die Bürger auf härtere Zeiten einstellen.

Aus einem geplanten Projekt "Porta Alpina", das einen unterirdischen Bahnhof in der Mitte des Gotthard-Basistunnels vorsieht, wird aus finanziellen Gründen wohl nichts werden. Ernüchterung, was die Zukunft angeht, ist im Dorf überall zu spüren.

dpa