Moskauer Kuratoren droht Straflager wegen anti-religiöser Hetze

Moskauer Kuratoren droht Straflager wegen anti-religiöser Hetze
Gefährlich sieht Andrej Jerofejew eigentlich nicht aus. Der 1956 als Sohn eines Diplomaten geborene Russe mit dem schon licht werdenden Haar hat ein rundliches Gesicht und trägt passend dazu eine runde Brille. Die russisch-orthodoxe Kirche sieht in ihm jedoch einen der gefährlichsten Männer Russlands. Denn Jerofejew kann auch kantig sein und provozieren. Seine Ausstellung "Verbotene Kunst" soll gotteslästerlich sein. Wegen anti-religiöser Hetze drohen ihm nun sogar drei Jahre Gefängnis.
09.07.2010
Von André Ballin

2006 präsentierte das Moskauer Sacharow-Zentrum die von Kurator Jerofejew organisierte Ausstellung "Verbotene Kunst". 23 Exponate hinter einer Wand mit kleinen Gucklöchern erregten schnell die Öffentlichkeit. Kein Wunder, denn die Künstler hatten dort christliche Motive in sehr provokanter Form verarbeitet. Bilder von Jesus, der auf einem Werbeplakat "Coca Cola - Das ist mein Blut" deklamierte oder als Micky Maus in einer Fotocollage auftrat, spalteten die Meinung des Publikums.

Die orthodoxe Kirche reagierte scharf. Kirchensprecher Wsewolod Tschaplin erklärte, die Ausstellung sei rechtswidrig und verletze die Gefühle von Gläubigen. Religiöse Bewegungen demonstrierten vor dem Gebäude gegen die Bilderschau. Glücklicherweise ging es glimpflicher ab als bei der Vorgänger-Ausstellung "Vorsicht Religion", die von Fanatikern gestürmt und zerstört wurde.

Jerofejew: "Zensurverbote diskutiert und dafür auf die Zähne bekommen"

[listbox:title=Die umstrittenen Bilder im Netz[... auf der Webseite von Jerofejew]]

Die Randalierer wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Dafür ging es den Organisatoren der Ausstellung an den Kragen. Der Direktor des Sacharow-Zentrums, Juri Samodurow, musste wegen der "Verbotenen Kunst" auf den von der Kirche erzeugten öffentlichen Druck hin sein Amt aufgeben. Auch Jerofejew wurde 2008 als Leiter der Abteilung für Öffentliche Kunst in der Tretjakow-Galerie entlassen. Beide stehen nun vor Gericht. Am Montag soll das Urteil verlesen werden. Die Anklage fordert je drei Jahre Haft, weil die Kuratoren religiösen Hass geschürt hätten.

"Wir haben Zensurverbote diskutiert und dafür auf die Zähne bekommen", urteilt Jerofejew. Er habe nie die Gefühle von Gläubigen verletzen, sondern einzig auf die in der Gesellschaft bestehende Zensur hinweisen wollen, erläutert er den Grundgedanken seiner Ausstellung. Sein Mitangeklagter Samodurow macht eine "Nötigung zum Orthodoxismus als Indikator des Patriotismus" als Grund für die Anklage aus.

Als Zeuge der Anklage war Medienberichten zufolge ein Mönch aufgetreten, der den Ausstellungsmachern Gotteslästerung vorwarf und angab, für den Kulturrat des Patriarchats zu sprechen. Offiziell hielt sich die orthodoxe Kirchenleitung mit Stellungnahmen allerdings zurück.

Russisch-orthodoxe Kirche und Kreml stehen eng zusammen

Tatsächlich ist die Bedeutung der orthodoxen Kirche in den vergangenen 20 Jahren stark gewachsen. Nach dem Ende des Kommunismus und staatlich verordneten Atheismus füllte die Orthodoxie das entstandene Sinn-Vakuum aus. Selbst Kremlführer geben sich betont religiös. Die Kirche hat nicht nur ihr Eigentum wiederbekommen, sie hat auch gesellschaftlichen Einfluss erlangt. Die Grundlagen der Orthodoxie wurden als Unterrichtsfach im multireligiösen Russland durchgesetzt und gerade formuliert das Moskauer Patriarchat im Kampf gegen liberale Bürgerrechtler christlich geprägte "orthodoxe Menschenrechte". Die russisch-orthodoxe Kirche dankt dem Kreml seine Unterstützung mit großer Loyalität.

Die zunehmende Verflechtung von Staat und Kirche sehen viele auch als Gefahr für die Freiheit der Kunst. "Die Situation verschlechtert sich von Tag zu Tag", klagt etwa der Maler Dmitri Wrubel, dessen Projekt, Bibelverse mit modernen Bildmotiven zu unterlegen, ebenfalls schon auf Widerstand in konservativ-orthodoxen Kreisen gestoßen ist.

Offener Brief an Medwedew um Hilfe im Prozess

Sein "Evangelien-Projekt" war bereits in der kleinen kirchlichen Ausstellung "Dialog" in der Tatjana-Kirche in der Nähe des Kreml zu sehen. Es war der von einem Diakon initiierte Versuch einer Annäherung zwischen Kirche und Gegenwartskunst, der prompt auf Proteste stieß. Wegen Drohungen religiöser Fanatiker musste die Schau vorzeitig geschlossen werden.

Nun haben sich 13 Künstler in einem offenen Brief an Präsident Dmitri Medwedew gewandt, um seine Hilfe in dem Prozess gegen Jerofejew und Samodurow zu erbitten. Alle Hoffnung auf einen rechtsstaatlichen und unabhängigen Prozess haben die Künstler angesichts schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit wohl fahren lassen.

epd