Die "Klimawelle" kämpft um neue Energie

Die "Klimawelle" kämpft um neue Energie
Ein verschlafenes Dorf in der Nähe von Bonn ist seit Ende Mai Stützpunkt für Klimaretter. Parallel finden in der ehemaligen Bundeshauptstadt die internationalen UN-Zwischenverhandlungen für ein neues Klimaabkommen statt.
04.06.2010
Von Christine Veenstra

Während Politiker und Sachverständige über Papieren und Kompromissen rund um das Klima brüten, schultern in Bonn-Messdorf Tag für Tag Aktivisten ihr Gepäck. Sie folgen selbstgemalten Hinweisschildern auf der Suche nach einem idyllischen Fleckchen Grün, das eine Woche lang der Ort für Austausch und Protestaktionen ist. Um 21:30 Uhr am Mittwochabend wird Licht allmählich rar. Am Bahnhof in Duisdorf, in einem kleinen Ort im Umland von Bonn, ist um diese Zeit längst Ruhe eingekehrt. Kaum ein Mensch ist auf der Straße, und gäbe es auf dem Bahnsteig nicht das kleine Hinweisschild, auf das mit dickem Pinselstrich das Wort "Camp" und ein paar Pfeile gemalt sind, wäre man hier verloren.

Zehn Minuten soll es dauern, zu Fuß zum Klimacamp am Weidenpeschweg im Nachbarort Messdorf - ein Marsch, der auch mit großem Gepäck zu bewältigen ist. Es geht durch Wohngebiete und über Feldwege, und tatsächlich hat sich der letzte helle Streifen am Himmel fast verzogen, als das Klimacamp erreicht ist. An einem Infostand am Eingang sitzen zwei Gestalten und reichen Flyer über einen improvisierten Tresen. Vom Camp selbst ist wenig zu erkennen. Nur so viel ist klar: Das große Tohuwabohu, das die Internetseite der Organisatoren vom Bündnis "Klimawelle" vermuten ließ, gibt es auf dieser rheinischen Schafwiese nicht. Es ist ruhig. Große Jurten und kleine Zelte schälen sich allmählich aus dem Halbdunkel. Ein Feuer brennt und Menschen tauchen auf. "Essen ist noch warm. Da drüben", sagt einer, und das klingt erstmal gut.

Irgendetwas von "story telling"

Mit einem Teller Bratkartoffeln am Feuer zu sitzen, das hat viel von Pfadfindertum, wenig von Klimarettung. Dieses Thema nähert sich erst nach einigen Momenten in Gestalt eines Mannes Mitte 30. "Workshop in fünf Minuten", sagt der, und noch irgendwas von "story telling". Jetzt heißt es: Anschluss halten, den anderen nach. In einem kleinen Zirkuszelt zeigen die Klimaretter erstmals Gesicht. Mitglieder großer Organisation, etwa des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), aber auch Vertreter lokaler Bündnisse, die verteilt in ganz Deutschland gegen Kohleabbau und Flughafenerweiterungen oder für kostenloses Fahren mit dem öffentlichen Personenverkehr kämpfen, leben im Klimacamp zusammen.

Wie verschieden Ansätze und Denkweisen sind, wird schon bei dieser nächtlichen Begegnung klar. Im Workshop geht es um das Konzipieren von Kampagnen, darum, wie die PR-Apparate großer Konzerne funktionieren und wo kleine Organisationen ansetzen können, um ihre Botschaften erfolgreich zu verbreiten. Schon der Begriff "Kampagne" gilt manchem hier als Ungetüm, weil ihm etwas von Manipulation anhaftet. Kampagnen seien Mittel, derer sich die anderen bedienen, meint eine junge Frau. Für die Bewegung gelte es, Aufklärung zu betreiben, Fakten zu nennen. "Wir müssen unsere Wahrheiten verpacken. Fakten allein reichen nicht", meint ein anderer.

"Es muss eine Fundamentalopposition her"

Das Treffen offenbart: Es gibt zwar das eine Ziel, den Klimawandel zu bremsen, doch die Wege dorthin sind vielfältig. Auch später am Feuer zeigt sich das: Während rechterhand ein Austausch über die Gestalt von Ringelblumen-Keimlingen stattfindet, dreht sich linkerhand ein Gespräch um potenzielle Bündnispartner in Braunkohle-Abbaugebieten. "Wir brauchen keine Leute, die sich durchklagen und versuchen Wasserschutzwände durchzusetzen, um Schäden zu begrenzen", sagt einer. "Es muss eine Fundamentalopposition her. Wir müssen die Bagger besetzen." Sein Gegenüber vertritt den Standpunkt: Besser etwas tun als nichts. Es ist weit nach Mitternacht, Zeit für den Nestbau. Vom anderen Ende der Wiese weht ein Hauch Revolution herüber, während der Nachbar gleich nebenan bündelweise Räucherkerzen entfacht und sich in einem Strudel sakraler Gesänge ergeht.

Der Morgen kommt früh in Messdorf, noch bevor der erste Kaffee in der improvisierten Küche fertig ist. Beim ersten Tageslicht zeigt sich, dass nicht mehr als 60 Zelte auf der Wiese stehen. Das Lager hat nichts von den großen Protestcamps, wie es sie beim G8-Gipfel in Heiligendamm gab oder beim Klimagipfel in Kopenhagen. Doch die Menschen, die hier sind, sind ganz bei der Sache. Einer sitzt seit 2 Uhr in der Nacht auf dem Wachtposten am Eingang, um ungebetene Gäste fernzuhalten. Frühaufsteher werden eingespannt, um die nächste Schicht zu übernehmen. "Bei Gefahr ins Horn blasen", lautet die knappe Einweisung, und selbst die kommt nicht zum Tragen.

Eine alte Frau wünscht guten Morgen

Die einzige, die sich in der nächsten Stunde etwas unschlüssig dem Eingang nähert, ist eine alte Frau. Sie will "nur mal guten Morgen sagen" und einen neugierigen Blick auf die seltsamen Bewohner der Schafwiese werfen. Was daraus wird, ist ein Hinweis auf einen alten Bunker und letzten Endes ein Monolog über den Zweiten Weltkrieg. Mit dem Klima hat das nichts zu tun. Vielleicht prangt deshalb auf einem Hinweisschild für die Wachtposten die Aufforderung "Großmütter und Großväter abfangen".

Gleich im Anschluss ans vegane Frühstück wird im Camp am Netzwerk gestrickt. Schon zu Wochenanfang hat sich das europäische Netzwerk "Climate Justice Action" hier getroffen, um für den Herbst gemeinsame Aktionen abzustimmen. Das deutsche "Klima!Bewegungsnetzwerk" schließt dort an. Um 11 Uhr trudeln Vertreter von Aktionsgruppen aus ganz Deutschland im Zirkuszelt ein. Sie sind so etwas wie Abgeordnete, und vielleicht ist ihr Vorgehen rein formal dem bei den UN-Zwischenverhandlungen nicht unähnlich. Es gibt einen Moderator, eine Tagesordnung, angeregte Diskussionen, Abstimmungen. Gerungen wird hier nicht um Vertragsabschlüsse oder zu beziffernde Zielvorgaben.

Ausgeuferten Konsum bremsen

Das Bündnis ist sich einig: Das Abschlussdokument des gescheiterten Kopenhagener Klimagipfels, die Ergebnisse des Petersberger Treffens und auch die Klimaschutzmaßnahmen der Europäischen Union taugen nichts. Ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel muss her, um dem ausgeuferten Konsum und der Plünderung von Rohstoffen Einhalt zu gebieten - ökologisches Denken gepaart mit Kapitalismuskritik. Wie Wandel und Umdenken erreicht werden können, das ist die entscheidende Frage. Das Klima!Bewegungsnetzwerk, das sich erst nach den Verhandlungen in Kopenhagen gegründet hat, ist bisher ein relativ loser Verbund von Menschen, die vornehmlich lokale und regionale Projekte angehen. Wer im Rhein-Main-Gebiet zu Hause ist, hat den Frankfurter Flughafen im Blick, während im Norden das Kraftwerk Moorburg und tief im Osten der Tagebau in der Lausitz Thema sind.

Im Oktober soll es eine globale Aktionswoche geben. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit werden für den 12. und 16. Oktober Proteste geplant. "Wir sollten die Chance nutzen, die lokalen Gruppen zusammenzuführen", sagt einer und alle stimmen zu. Was bei allen guten Vorsätzen bleibt, sind aber Zweifel, ob der Wille einer Hand voll Menschen reichen wird, um im Süden Deutschlands Massen für Aktionen in Berlin oder Hamburg zu mobilisieren. Wer kann die Vorbereitung stemmen? Wo kommt das nötige Geld her?

Los geht's zur Fahrraddemo

Als am Nachmittag die ersten Aktivisten zur Fahrraddemo nach Bonn aufbrechen, sind viele Fragen offen aber ein Anfang ist gemacht. Im Juli wird die Planung der globalen Aktionswoche weitergehen, und bis dahin wird niemand untätig bleiben. Auf der Wiese warten riesige Puppen darauf eingekleidet zu werden. Sie sollen am Samstag bei der Abschlussdemonstration der "Klimawelle" aufmarschieren. Neue Aktivisten wollen eingewiesen und andere verabschiedet werden. Nicht alle können bleiben bis zum Ende, aber wer da war, hat etwas getan. Auch zu Hause werden wohl die meisten bei veganer oder vegetarischer Küche bleiben, um den Ausstoß von klimaschädlichem Methan durch Kühe, Schweine und andere Fleischlieferanten zu vermindern. Sie werden Fahrrad und Bahn fahren - das alles scheint besser als nichts.


Christine Veenstra ist freie Journalistin.