Israel lässt nach Militäraktion alle Gaza-Aktivisten frei

Israel lässt nach Militäraktion alle Gaza-Aktivisten frei
Zwei Tage nach dem blutigen Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte hat Israel alle ausländischen Aktivisten wieder freigelassen. US-Präsident Obama will eine internationale Untersuchung.

Eine Sprecherin der israelischen Gefängnisbehörde teilte mit, 632 internationalen Häftlinge seien aus der Haft entlassen worden und auf dem Heimweg. Wie das Auswärtige Amt in Berlin mitteilte, konnten auch die letzten fünf festgehaltenen Bundesbürger das Gefängnis im israelischen Beerscheva verlassen. Ein weiterer, verletzter Deutscher werde noch im Krankenhaus versorgt. Die USA sprachen sich nach anfänglichem Zögern für eine glaubwürdige Untersuchung des umstrittenen israelischen Militäreinsatzes aus.

Der Großteil der Häftlinge sei bereits in die Heimatländer zurückgekehrt, sagte der israelische Außenamtssprecher Jigal Palmor. Die meisten Freigelassenen seien Türken. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes befanden sich die fünf freigelassenen Deutschen am Nachmittag auf dem Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv oder auf dem Weg dorthin. Die israelischen Behörden hätten zugesichert, "dass auch der verletzte deutsche Staatsangehörige zum Flughafen gebracht und außer Landes geflogen wird", sagte ein Ministeriumssprecher. Über die Art der Verletzung des 42-jährigen Mannes aus Nordrhein-Westfalen gab es keine genauen Angaben.

Westerwelle kritisiert Behörden

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) kritisierte das Verhalten der israelischen Behörden. Das Auswärtige Amt und die Deutsche Botschaft in Tel Aviv hätten sich nach den "bestürzenden Ereignissen" intensiv um Zugang zu den festgehaltenen Deutschen bemüht, schrieb er an den Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi. Trotzdem seien Mitarbeiter der Botschaft und auch der deutsche Geschäftsträger nach Landung der Schiffe nicht auf das Hafengelände in Aschdod gelassen worden. Westerwelle geht davon aus, dass die "dramatischen Ereignisse" auch im Bundestag zur Sprache kommen.

Nachdem sich die USA zunächst zurückhaltend zu dem weltweit kritisierten Einsatz geäußert hatten, sprach sich nun auch US-Präsident Barack Obama für eine Untersuchung aus. In einem Telefongespräch mit dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan habe Obama eine glaubwürdige, unparteiische, transparente Untersuchung gefordert, teilte das Weiße Haus mit. Erdogan verlangte in dem Gespräch eine Aufhebung der israelischen Blockade des Gazastreifens.

Verurteilung durch türkisches Parlament

Das türkische Parlament verurteilte den Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte am Mittwoch scharf. Die Abgeordneten forderten Erdogan auf, die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zu Israel auf den Prüfstand zu stellen und wirksame Maßnahmen gegen Israel zu ergreifen. Drei der sechs Schiffe der Hilfsflotte fuhren unter türkischer Flagge, mehrere hundert Türken waren an Bord.

Der UN-Menschenrechtsrat will den israelischen Einsatz von einem internationalen Ermittlungsteam aufklären lassen. 32 der 47 Mitgliedsländer des UN-Gremiums in Genf stimmten am Mittwoch für die Entsendung einer unabhängigen Untersuchungskommission. Die USA, Norwegen und Italien waren dagegen. Neun Länder, darunter auch weitere EU-Mitglieder, enthielten sich. In der Resolution wird Israel für sein Vorgehen gegen den Hilfskonvoi verurteilt. Israels Marine hatte am Montag die sechs Schiffe der Gaza-"Solidaritätsflotte" im Mittelmeer angegriffen, um sie an der Fahrt zu dem seit drei Jahren blockierten Gazastreifen zu hindern. Dabei waren nach israelischen Angaben neun Aktivisten getötet worden, Dutzende wurden verletzt.

Ein irisches Schiff mit Hilfsgütern ist noch auf dem Weg nach Gaza. Die «Rachel Corrie» war wegen technischer Probleme hinter der «Solidaritätsflotte» zurückgeblieben. Irlands Außenminister Michael Martin forderte die israelische Regierung auf, das Schiff nicht zu blockieren. Es sei «zwingend erforderlich», dass es kein weiteres Blutvergießen und keine neuen Konfrontationen gebe, wenn das Schiff vermutlich in den kommenden Tagen in Gaza eintreffe.

Henning Mankell spricht von Seeräuberei

Unterdessen kommen immer neue Details über den blutigen Militäreinsatz an die Öffentlichkeit. Ein an der Aktion beteiligter pakistanischer TV-Journalist erhob nach seiner Freilassung schwere Vorwürfe: Demnach sollen die Soldaten bei der Erstürmung der sechs Schiffe Aktivisten teils direkt in den Kopf geschossen haben. Der freigelassene schwedische Krimi-Autor Henning Mankell bezeichnete den Angriff als "Seeräuberei und Kidnapping".

Dagegen bezeichnete der Jüdische Weltkongress die Gaza-Aktivisten als "Lynchmörder" ("lynch mob"). Sie hätten die israelischen Soldaten mit Eisenstangen und anderen potenziell tödlichen Waffen angegriffen und damit die Konfrontation auf hoher See heraufbeschworen, heißt es in einer in New York veröffentlichten Erklärung. Empört kritisierte die Organisation die internationale Berichterstattung, in der "die gewalttätigen Aktivisten als humanitäre Helfer" dargestellt würden.

Dank für gute Behandlung

Israelische Sicherheitskräfte brachten die freigelassenen Ausländer mit Bussen zum internationalen Flughafen Ben Gurion. Mehr als 100 weitere Aktivisten, vor allem Muslime aus Ländern, mit denen Israel keine diplomatischen Beziehungen hat, wurden über die Grenze nach Jordanien abgeschoben. Rund 50 Aktivisten hatten Israel schon am Montag freiwillig verlassen. Eine Sprecherin der Gefängnisbehörde betonte, alle Häftlinge seien gut behandelt worden. Sie hätten Wasser und Lebensmittel sowie saubere Kleidung erhalten. "Sie wurden von Diplomaten, Rotkreuz-Mitarbeitern und Rechtsanwälten besucht", sagte sie. Einige hätten sich sogar für die gute Behandlung bedankt.

Israel begann am Mittwoch damit, die ersten Hilfsgüter der Solidaritätsflotte in den Gazastreifen zu bringen. Ein Armeesprecher sagte, dass zehn Lastwagen unter anderem Medikamente, Nahrungsmittel, Rollstühle und Kinderspielzeug zum Grenzübergang Kerem Schalom gebracht hätten. Obama bekräftigte, es müssten bessere Wege für die Lieferung von Hilfsgütern gefunden werden, ohne dass dabei die Sicherheit Israels gefährdet werde.

dpa