Gute Vorsätze?

Gute Vorsätze?
2019 dürfte für journalistische Medien ein noch schwierigeres Jahr als 2018 werden. Das zeigen schon die ersten Tage.

Gute Vorsätze zu finden ist selten schwer. Für die journalistische Medien war es zum neuen Jahr besonders leicht. Die Aufdeckung des
Fälschungs-Skandals um den "Spiegel"-Reporter Claas Relotius zeigte im Dezember krass, was schlecht gelaufen ist – und das in Zeiten, "in denen man sowieso das Gefühl hat, sich bei jedem Familienfest, bei jedem zweiten Kneipenbesuch, in sozialen Medien rechtfertigen zu müssen für seinen Job" (wie die Journalistin Nora Frerichmann im Altpapier schrieb).

Zugleich waren es Zeiten, in denen Vertreter journalistischer Medien einander ganz besonders viele Preise verliehen: Die Liste der "Journalisten und Journalistinnen des Jahres" war just veröffentlicht worden (wobei dem rührigen "medium magazin" zugute gehalten werden muss, dass im großen Nominierten-Feld Relotius keine ganz große Rolle gespielt hatte). Der Preis mit dem ausgesprochen doofen Namen "Lead Award" war gut eine Woche zuvor wiederbelebt worden (und zwar ausgerechnet zur "Stärkung der Bedeutung freier, hochwertiger Publizistik für die Demokratie"). Seinen letzten Deutschen Reporterpreis hatte Relotius eine weitere Woche zuvor überreicht bekommen erhalten.

Zu all dem ist inzwischen viel geschrieben worden. Einer der besten Texte war einer des freien Journalisten Konstantin Richter auf zeit.de. Seine – von vielen ähnlich formulierte – Erklärung für den Fall lautet, dass Relotius "so perfekt erzählen wollte, dass er darüber das Recherchieren unterließ". Dann vergleicht Richter, der in den USA Journalismus studiert hatte, US-amerikanische Reportage-Methoden und hiesige ("... der deutsche Reporter ist kein Stenograf, lieber arbeitet er mit Zitatschnipseln und indirekter Rede. Oder er kriecht in den Kopf seines Protagonisten und schreibt nieder, was da wohl vor sich geht ..."). Und er schaut über den Fall hinaus:

"Relotius ist ein Extremfall. Aber wir wissen alle, dass es auch andere gibt, die sich die Wirklichkeit hier und da zurechtbiegen, damit sie besser in die Geschichte passt. Der Einzelfall ist harmlos, die Gesamtwirkung ist es nicht."

Was damit gemeint sein könnte? Vielleicht das, was Boris Rosenkranz nun bei uebermedien.de aufzeigte: Relotius' Story vom "Jungen, mit dem der Syrienkrieg begann" war nicht mal originell erdacht, sondern "eine variantenreiche Legende", die seit 2011 nicht nur, aber auch in deutschen Medien schon häufig erzählt worden ist. Genau dafür gab's Anfang Dezember 2018 noch einen Preis ...

Nicht mehr in Köpfe kriechen ...

Dass das in dieser Form funktionieren konnte, hängt auch damit zusammen, dass Relotius' Zielgruppen – zunächst die "Spiegel"-Chefetagen und die bis vor kurzem vergleichsweise legendäre, nun nachhaltig blamierte "Dok", also Faktencheck-Abteilung – offenkundig das wohlwollender lasen, was in ihr Weltbild passte. Richter fragt:

"Wären die Leute beim 'Spiegel' ebenso nachlässig gewesen, wenn Relotius ein äußerst detailliertes, aber poetisches und schwärmerisches Porträt über Björn Höcke geschrieben hätte? Wir werfen rechten Medien wie 'Breitbart' vor, dass sie Geschichten über kriminelle Migranten erfinden. Doch wahrhaftiger als die 'Breitbart'-Meldung über randalierende Migranten in Dortmund ist das, was Relotius geschrieben hat, wohl nicht, und das ist sehr traurig."

Ähnlich formulierte es übrigens Hans Leyendecker, der ja nicht mehr für die "Süddeutsche Zeitung", aber derzeit für die Evangelische Kirche tätig ist.

"Wahrhaftigkeit", lieber zu stenografieren als in Köpfe zu kriechen, Worte auf Goldwaagen zu legen statt sich Wirklichkeit zurechtzubiegen, das sind schöne und gute Vorsätze.

All das war vergangenes Jahr. Es kann auch gut sein, dass jenseits der Journalisten-Milieus die Relotius-Sache längst vergessen ist oder sowieso "die Bevölkerung ... null" interessierte, wie Harald Schmidt gerade in einem launigen "FAZ"-Interview sagte (wobei Schmidt ja auch "Spiegel"-Mitarbeiter ist, und zwar mit der schwierigen Aufgabe, Online-Publikum zum Bezahlen zu animieren ... ). Jedenfalls ist 2019 schon wieder viel passiert und wird, zumindest in Nischen, diskutiert. Zum Beispiel: Darf man die Ereignisse in Amberg und Bottrop ("Prügelattacken durch offenbar alkoholisierte junge Flüchtlinge" bzw. dass ein "Autofahrer ... absichtlich in Gruppen von Ausländern hineingefahren sein soll") in einem Atemzug nennen? Es gibt gute Gründe, es nicht zu tun. Gründe es zu tun, gibt es aber auch, schon weil beide Ereignisse in Orten, die gewöhnlich nicht in überregionalen Nachrichten auftauchen, unter der Spitzmarke "Kriminalität" durch die Ticker rauschten.

Darf die Tat in Bottrop "Amokfahrt", darf sie nicht "fremdenfeindlich", sondern muss "rassistisch" genannt werden? Und wie sieht es beim Angriff auf den Bundestagsabgeordneten der AfD in Bremen aus? Gut beraten war, wer die Wortwahl der AfD ("Mordanschlag" ...) nicht übernahm, scheint es am Donnerstagvormittag. Andererseits, klingt "Krankenhausreif"-Schlagen (wieder der Ticker ...) nicht arg nach Wirtshausschlägerei und verharmlosend?

Wörter auf Goldwaagen

Solche Fragen können nicht nur diskutiert werden, sondern sollten bis müssen es, nachdem offenbar wurde, wie der prestigträchtige "Edelfederjournalismus" (Bernhard Pörksen in noch einem zeit.de-Beitrag) sich die Wirklichkeit zurechtbog. Oder zu biegen pflegt? Eindeutig beantwortet und einvernehmlich geklärt werden können sie nicht, erst recht nicht, wenn man den Erscheinungs-Zeitpunkt der jeweiligen Texte betrachtet.

Informationen werden ja nachgefragt, sobald etwas bekannt wird. Die Dinge müssen schnell vermeldet und zuvor benannt werden und wird gleichzeitig instrumentalisiert. Das Interesse lässt ungefähr dann nach (bzw. ist zu neueren Themen weitergezogen), sobald genug überprüfte Informationen erlauben, die Dinge fundiert zu benennen. Was natürlich kein neues Phänomen ist. Journalistische Medien kämpfen damit ungefähr seitdem sie die Bedeutung des Internets halbwegs richtig einschätzen.

Bloß wird es eher noch schwieriger – wie auch das größte Medien-Hallo des neuen Jahres belegt: das um den "Datenklau". So lautet der wohl präziseste Begriff für das, was zuvor mit Medien-Schlagzeilen und -Formulierungen wie "Hackerangriff erschüttert die Repubik", "Cyber-Alarm" und "Hacker-Super-GAU" oder auch "Angriff auf die digitale Sicherheit Deutschlands" umschrieben wurde. Und sich mit rasch in den Nachrichtenfluss eingespeisten Politiker-Zitaten wie "Angriff auf unsere Demokratie""Angriff auf unsere Demokratie" oder "Angriff auf demokratische Grundwerte" prima ergänzte.

Inzwischen ist bekannt, dass hinter dem Datenklau ein einzelner, bei seinen Eltern wohnender Schüler aus einem hessischen Fachwerkstädtchen steckte. Sich hinterher über Fehleinschätzungen zu belustigen, ist natürlich leichter als passende Begriffe zu finden, solange wenig bekannt ist, aber aktuell berichtet werden muss.

Einerseits also wird Wortwahl im Journalismus immer noch wichtiger. Ein Zurechtbiegen von Ereignissen und Erklärungsansätzen müssen Journalisten jetzt erst recht vermeiden – damit im Zweifel das ihre Berichte von nichtjournalistischen Beiträgen (und auch: vorschnellen Politiker-Wortmeldungen) unterscheiden kann. Insofern ist es richtig und wichtig, Wörter auf Goldwaagen zu legen. Andererseits muss und kann es oft beim Streit darüber bleiben. Solche "Goldwaagen" sind ja nur eine Metapher und zeigen keine konkreten Ergebnisse an. Dass unterschiedliche Medien mit unterschiedlichen Haltungen vieles in unterschiedlichen Worten vermelden und unterschiedlich gewichten, ist Medien- und Meinungsvielfalt und ebenfalls enorm wichtig und muss, unabhängig von der individuellen Meinung, mit abgewogen werden.

2019 dürfte, das zeigen schon die ersten Tage, für journalistische Medien ein noch schwierigeres Jahr als 2018 werden. Vielleicht wirkt der Relotius-Skandal nicht sehr lange nach. Aber bei jeder (irgendjemand) passend erscheinenden Gelegenheit wieder hervorgeholt werden wird er.

 

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.