Your own virtual Jesus

Your own virtual Jesus
Kann eine künstliche Intelligenz lernen, wie Jesus zu handeln?

Am Rande des größten E-Sports-Turniers der Welt wird seit vergangenem Jahr eines der spannendensten Spiele unserer Zeit ausgetragen: Die künstliche Intelligenz, die von der Initiative OpenAI entwickelt wird, spielt das Videospiel Dota 2 beim Turnier "The International" gegen Menschen. 2017 gewann die Maschine im 1-gegen-1-Match gegen Dota-2-Legende Danylo "dendi" Ishutin. In diesem Jahr stellte sich OpenAI im regulären 5-gegen-5 zweimal einem Profi-Team – und verlor.

Trotzdem ist das KI-Spektakel lehrreich. Denn es ist ein weiterer Mosaikstein auf dem Weg dahin, dass grundlegende soziale Interaktion auch von Maschinen ermöglicht werden kann. Miteinander spielen ist bei Tieren und Menschen zutiefst verankert. Wir alle haben Lust am Spiel, am kooperativen oder konfrontativen Üben in selbst definierten Räumen, die abgekoppelt sind von existentiellen Handlungen. "Mit Essen spielt man nicht" ist die sprichwörtliche Erkenntnis, dass Spiel etwas ist, das für unsere Lebenserhaltung nicht unmittelbar nötig ist. Wobei ein Leben ohne Zerstreuung auch nur Dahinvegetieren ist, wie man zum Beispiel Berichten aus der Einzelhaft entnehmen kann – echte Langeweile halten die meisten Menschen nicht gut aus, und Spielen ist eine gute Gegenmaßnahme.

Künstliche Intelligenz kann uns also Spielpartner geben, die uns ebenso herausfordern wie andere Menschen. Sie verhalten sich manchmal anders – 2017 sagte dendi nach seinen Niederlagen, der Bot "fühlt sich ein bisschen an wie ein Mensch, ein bisschen wie etwas anderes".

Künstliche Intelligenz kann uns außerdem Gesprächspartner geben, die ebenfalls von Menschen nicht immer unterscheidbar sind, das hat uns Google "Duplex" neulich demonstriert. Es ist also absolut vorstellbar, dass ich gegen eine KI spiele, anschließend Alexa erzähle, wie das Spiel gelaufen ist und mit ihr dann Strategien für das nächste Mal bespreche. Ganz so, wie ich es auch mit menschlichen Spiel- und Gesprächspartnern tun kann. Soziale Interaktion mit KI, die von zwischenmenschlicher Interaktion nicht mehr zu unterscheiden ist, ist in der Science Fiction nichts Ungewöhnliches – der Terminator, die Replikanten aus Blade Runner, Halos Cortana, Beispiele gibt es genug. Die Realität nähert sich dem Zukunftsbild in Riesenschritten an.

Die OpenAI-KI lernt komplexe Systeme, indem sie von einem kleinen Set an Grundannahmen und Belohnungsmodellen ausgeht, eigenständig Erfahrungen macht und diese Erfahrungen in neues Handeln umsetzt. So kann sie nicht nur Dota 2 spielen, sondern auch eine Roboterhand steuern, ohne vorher ein Modell der physikalischen Welt einprogrammiert zu bekommmen.

Ich fände es hochspannend, eine solche künstliche Intelligenz auch auf Religionen anzuwenden. Die kann man nämlich ebenfalls als komplexe Systeme betrachten, die sich aus einem kleinen Set an Grundannahmen entwickelt haben. Welches Christentum kommt dabei raus, wenn man eine KI mit der Bibel füttert und ihr sagt, welche Gebote von Mose bis zur Offenbarung des Johannes welche Priorität haben sollen? Wie verändert sich das Christentum, das diese KI repräsentiert, wenn man diese Prioritäten verändert? Wie reagiert eine solche KI auf vorgegebene Situationen – zum Beispiel auf Geldwechsler im Tempel oder einen Verletzten am Straßenrand?

"Your own personal Jesus" versprechen Depeche Mode in ihrer 1989er Hitsingle. "Your own virtual Jesus" könnte der Slogan eines solchen Experiments sein. Ich fände es hochspannend.

Vielen Dank für’s Lesen & Mitdenken!


Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!

*(Dota 2 ist seit Erscheinen 2013 eines der populärsten Videospiele der Welt. 25,5 Millionen Dollar Preisgeld kamen dieses Jahr für "The International" zusammen, die Zuschauer füllen fünf Tage lang große Hallen. Online kamen fast 15 Millionen Menschen zusammen, um das Finale zwischen OG und PSG.LGD zu sehen. Das Action-Strategie-Spiel ist hochkomplex. Jeder der fünf Spieler hat die Wahl zwischen mehr als 100 Helden, die gemeinsam die drei Wege zu ihrer Basis verteidigen und gleichzeitig das Zentrum des gegnerischen Teams (genannt "Ancient") zerstören müssen. Auf dem Weg dahin müssen Spieler sowohl die Fähigkeiten ihrer Helden aufleveln als auch Gold verdienen, um Gegenstände zu kaufen, die sie unterstützen. Ein Dota-2-Spiel kann bis zu einer Stunde dauern.) zurück

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