Oberstleutnant Gilles Seifert schafft gleich mal Klarheit: "Wir sind hier ein Kampfverband", sagt der Presseoffizier der Panzerlehrbrigade 9 "Niedersachsen" in Munster, und weiter: "Der größte Heeresstandort in Deutschland mit 5.000 Soldaten, zahlreichen Puma- und Leopard-Panzern mit großer Feuerkraft." Auf einem Info-Plakat im Konferenzraum der Brigade fällt das Wort "kriegstauglich" ins Auge. Was das bedeutet, lässt sich im Wald des Truppenübungsgeländes Munster Nord, des zweitgrößten in Europa, beobachten: Junge Männer und Frauen in Tarnuniform, mit dunkel geschminkten Gesichtern treiben im Schützengraben ihre Spaten in den sandigen Boden.
"Ich packe gerne an", sagt Patrick W. (28), der seit Anfang Juli Soldat auf Zeit ist. Für ihn und die übrigen rund 40 Kameradinnen und Kameraden der Gruppe ist es das erste Biwak innerhalb der sechsmonatigen Basisausbildung. Drei Tage lang müssen sie sich mit ihrer gesamten Ausrüstung im Wald einrichten. "Am Ende der Ausbildung müssen sie marschieren können, im Gelände überleben und sich verteidigen können", sagt Lukas R., Chefausbilder der 5. Kompanie des Versorgungsbataillons 141.
Patrick hat sich freiwillig für zwölf Jahre verpflichtet. Er ist einer von derzeit rund 114.000 Soldaten und Soldatinnen auf Zeit in der Bundeswehr. Dazu kommen rund 11.000 Männer und Frauen, die einen freiwilligen Wehrdienst zwischen 7 und 23 Monaten leisten. Außerdem gehören noch knapp 60.000 Berufssoldaten der Bundeswehr an. Die Zahlen sind seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine gestiegen.
Der Ukrainekrieg sei auch für ihn ein Auslöser gewesen, erzählt Patrick. Der gelernte Großhandelskaufmann hat die Unteroffizierslaufbahn eingeschlagen: "Ich hatte eine schöne Kindheit und möchte Freiheit und Demokratie in unserem Land verteidigen." Einige seiner Kameraden schichten Baumstämme, Zweige und dicke Grasplacken über den unterirdischen Kommandostand. Zwei Rekruten
wickeln das Kabel für das Feldtelefon ab. "Das ist jedenfalls abhörsicher", erläutert Chefausbilder R. (28).
Ukraine-Krieg verändert Ausbildung
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine habe sich die Ausbildung an vielen Stellen deutlich verändert, sagt der Oberleutnant. "Wir bauen wieder richtige Grabensysteme." Die sollten von oben möglichst unsichtbar sein. Jahrzehntelang hätten die Soldaten nur gelernt, sich in flache Erdlöcher zu ducken. Aber der Ukrainekrieg mache deutlich: "Drohnen - klein und hässlich - sind die größte Bedrohung und die ist näher gerückt. Eigene Tarnung kann überlebenswichtig sein." Einen Krieg wolle er nicht erleben, sagt Patrick. "Das will niemand." Er findet es auch normal, Angst zu haben. Dennoch schrecke er nicht vor einem Einsatz zurück, auch wenn er dabei sein Leben riskiere.
Jeder Soldat sollte über Tod und Sterben nachdenken, findet der Stabsunteroffizier: "Ich setze mein Leben nicht leichtfertig aufs Spiel, sondern bewusst für eine gute Sache." Gerade scheint die Gefahr noch weit entfernt zu sein. Auf die erste Nacht im Biwak mit Schlafsack und Isomatte unter Zeltplanen freut sich der Stabsunteroffizier. Gemeinsam mit den anderen Rekruten hat er
sich auf dem Waldboden um eine Feuerstelle eingerichtet. Tetrapaks mit Milch und Eistee stapeln sich zwischen Blättern und jungen Tannenschösslingen. Die Kameradschaft untereinander ist Patrick wichtig: "In diesen ersten zwei Monaten sind wir schon extrem zusammengewachsen. Das findet man sonst
nirgendwo."
"Wenn es so weit kommt, werde ich das deutsche Volk und seine Werte verteidigen."
Schütze Jaida B. spürt keine Angst vor einem Krieg, allenfalls Respekt. Mit festem Griff hält die 23-Jährige das Gewehr vor dem Körper. "Wenn es so weit kommt, werde ich das deutsche Volk und seine Werte verteidigen." Die junge Frau hat sich für 13 Jahre verpflichtet und die Offizierslaufbahn eingeschlagen. Sie wird in dieser Zeit an der Universität der Bundeswehr in München Wirtschaftswissenschaften studieren, so wie sie es sich erträumt hatte.
"Ich wollte schon immer zur Bundeswehr", erklärt Jaida. Aber die Eltern waren zunächst dagegen. Deshalb begann sie ein duales Studium beim Zoll, das sie nun abgebrochen hat. Die Kameradschaft und der Zusammenhalt reizen auch Jaida bei der Bundeswehr. Die Eltern hätten noch immer Angst um ihre Tochter, sagt sie: "Aber sie sehen heute, dass mich das erfüllt."
Im Hintergrund ist das tiefe Grollen der Panzer zu hören, die nicht weit entfernt üben. Ansonsten herrscht im Wald Stille vor. Niemand brüllt Befehle. Die Ausbilder erklären ruhig und geduldig. Man duzt sich. "Wir betreiben hier Erwachsenenbildung", erläutert R.. Er habe Frieden nie für selbstverständlich gehalten, sagt der Chefausbilder, der an der Universität der Bundeswehr Staats- und Sozialwissenschaften studiert hat. "Aber durch die russische Bedrohung macht man sich mehr Gedanken." Trotzdem ist der Oberleutnant sich immer noch "zu hundert Prozent" sicher, den richtigen Beruf gewählt zu haben. Die Aussicht, Menschen zu verteidigen, die das selbst nicht könnten, gebe ihm ein gutes Gefühl. "Ich mag es, etwas für andere zu tun, ohne etwas zurückzubekommen. Das verleiht meinem Leben Sinn."