In Indien boomt der Medizintourismus

Screenshot mit der Zahnchirurgin Apurva Pandita
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Zahnchirurgin Apurva Pandita behandelt ihre Patient:innen in Neu-Delhi.
Zur OP nach Neu-Delhi
Der Medizintourismus hat sich in Indien zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt. Rund zwei Millionen Patienten aus Dutzenden Ländern kommen jedes Jahr. Die Versorgung gilt nicht nur als hochwertig, sondern auch als erschwinglich.

Auf der Weltkarte im Wartesaal des Yatharth-Krankenhauses bei Neu-Delhi sind Länder markiert, aus denen die Patientinnen und Patienten kommen: Süd- und Zentralasien ebenso wie Staaten des Nahen Ostens, Afrikas oder auch Russland. "Indien hat sich zu einem führenden Gesundheitszentrum für Patienten aus aller Welt entwickelt", erklärt Apurva Pandita. Die Zahnchirurgin leitet die internationale Abteilung der Klinik in Noida, einer Satellitenstadt von Neu-Delhi. "Wir haben kompetente Ärzte, unsere Technologie ist auf dem neuesten Stand", sagt Pandita, "und all das ist erschwinglich". Patienten zahlten durchschnittlich nur ein Drittel des Betrags, der für eine vergleichbare Behandlung in Industriestaaten anfiele.

Für manche gibt der Preis den Ausschlag, für viele die medizinische Qualität und Expertise. Die Kranken kämen für Transplantationen, Krebsbehandlungen und chirurgische Eingriffe, erläutert die Ärztin. Um Sprachprobleme zu überwinden, bietet das Krankenhaus einen Übersetzerdienst.

Selbst an die Fahrt vom Flughafen zur Klinik ist gedacht. "Als ich in Indien ankam, holte mich ein Team des Krankenhauses am Flughafen ab", sagt die Patientin Unaisi Radowa Tuitubou in einem vom Krankenhaus aufgenommenem Video. Denn journalistische Interviews mit den Patienten sind unerwünscht. Die 64-Jährige reiste aus Fidschi an, weil sie seit Jahren unter Schmerzen in den Knien litt und Probleme mit der Wirbelsäule hatte. "Ich war 16 Stunden unterwegs, war müde, deprimiert und hatte große Schmerzen."

Jede ihrer Bewegungen sei eine Tortur gewesen, erklärt die Frau. Sie habe weder laufen noch das Becken bewegen können. Schon vier Tage nach ihrer Ankunft habe sie auf dem Operationstisch gelegen. "48 Stunden nach dem Eingriff konnte ich bereits wieder aufstehen. Nach dem dritten Tag konnte ich wieder laufen." Der behandelnde Arzt Shobhit Bhardwaj - ebenfalls auf dem Video - erklärt: "Wir haben Frau Tutubou untersucht, geröntgt und entschieden, dass sie einen Knieersatz braucht." Ein Routine-Eingriff, sagt Bhardwaj.

Kontakt zum Ärzteteam auch noch in Deutschland

Normalerweise würden die Patientinnen und Patienten noch 15 bis 20 Tage nach ihrer Entlassung in Indien bleiben, damit sie weiterhin das Behandlungsteam sehen können, erklärt Apurva Pandita. Auch nach der Rückkehr in die Heimatländer bleibt die Klinik mit den Behandelten in Kontakt.

Rund zwei Millionen Patienten aus mehr als 100 Ländern lassen sich den offiziellen Schätzungen zufolge jährlich in Indien medizinisch behandeln. Stationen für internationales Klientel entstanden in zahlreichen indischen Städten, allen voran im Großraum der Hauptstadt, aber auch in Hyderabad, Mumbai, Chennai oder Chandigarh. 2.000 bis 3.000 solcher Krankenhäuser, die sich an Patientinnen und Patienten aus dem Ausland wenden, soll es landesweit geben, sagt Nain Singh. Der Geschäftsmann hat bereits vor 25 Jahren eine Firma namens Perfect Health Care gegründet, die als Brücke zwischen den zu Behandelnden und den Krankenhäusern dient.

"Viele Patienten kommen nach Indien, weil sie hier kaum Wartezeiten haben", erklärt Nain Singh. Der entsprechende Antrag auf ein Visum könne online erledigt werden: "Die Patienten müssen sich nur einloggen und die benötigten Dokumente hochladen: Ausweispapiere, die Verschreibung des Arztes und einen Nachweis der Zahlungsfähigkeit." Kürzlich hat die Regierung im Rahmen der Initiative "Heal in India" versprochen, die bislang teils als schleppend kritisierten Visa-Prozesse zu erleichtern. Denn auch sie hat erkannt, dass der internationale Tourismus für Medizin und Wellness große Entwicklungsmöglichkeiten bietet.

Prognosen des Industrie- und Handelskammerverbands sagen dem Medizintourismus nach Indien eine weitere enorme Entwicklung voraus: Demnach könnte der Markt von neun Milliarden US-Dollar (rund 8,3 Milliarden Euro) im Jahr 2022 auf fast das Doppelte im Jahr 2030 wachsen.