Sag das nicht!

junger Mann macht "Pssst"-Geste
© Ocean Biggshott / Unsplash
Zuversichtsbrief - Woche 100
Sag das nicht!
von Frank Muchlinsky
Pferden legt man ein Zaumzeug ins Maul, damit man ihnen die Richtung weisen kann. Warum lassen wir unseren eigenen Mündern alles durchgehen? Frank Muchlinskys 100. Zuversichtsbrief.

Meine Brüder und Schwestern! Es sollten nicht so viele von euch Lehrer werden. Ihr wisst doch: Wir Lehrer haben im Gericht ein besonders strenges Urteil zu erwarten. Wir alle machen ja immer wieder etwas verkehrt. Wer nie ein verkehrtes Wort sagt, der ist ein vollkommener Mensch. Denn wer seine Zunge im Zaum hält, kann auch seinen Körper beherrschen. Wir legen den Pferden das Zaumzeug ins Maul, damit sie uns gehorchen. So können wir ihren ganzen Körper lenken. Oder seht euch die Schiffe an: Sie sind groß und werden von starken Winden getrieben. Doch ein kleines Ruder reicht aus, um sie dahin zu lenken, wohin der Steuermann sie führen will. Genauso ist auch die Zunge nur ein kleiner Körperteil. Und doch prahlt sie damit, große Dinge zu vollbringen. Seht doch: Schon ein winziges Feuer kann einen großen Wald in Brand setzen. Solch ein Feuer ist die Zunge! Von all unseren Körperteilen steht gerade die Zunge für eine Welt voller Ungerechtigkeit. Sie macht den ganzen Menschen schmutzig, ja, sie setzt den Lauf des Lebens in Brand. Ihr Feuer wird von der Hölle entzündet.

Jakobus 3,1−6 in der Übersetzung der Basisbibel, hier vorgelesen von Helge Heynold.

Meine Brüder und Schwestern!

Herzlich willkommen zur Jubiläumsausgabe des Zuversichtsbriefes! Zur Feier des Tages habe ich einen Text aus dem Jakobusbrief ausgewählt. Dieser Brief ist besonders, weil er – anders als die Briefe des Paulus – immer wieder deutlich macht, wie wichtig gute Taten für Christinnen und Christen sind. Paulus betont immer, dass es auf den Glauben ankommt. Jakobus hält dagegen, dass man den Glauben am Verhalten erkennen können muss. Ich stimme dieser Aussage zu, und ich gehe auch den Schritt mit, den der Text für diese Woche macht: Was für Taten mit den Händen gilt, für sichtbare Handlungen, muss auch für Worte gelten.

Jakobus schreibt nicht von den Worten, sondern von der Zunge. Das macht besonders gut deutlich, dass Worte wirksam wie Taten sind: Wie man mit den Händen jemanden erschlagen kann, so kann man mit der Zunge Schicksale steuern und im schlimmsten Fall die ganze Welt vergiften. Alle wissen das, jeder Mensch hat schon einmal erlebt, was Lügen, Verleumdung oder Hetze bewirken können. Trotzdem nehmen die üblen Reden und giftigen Worte derzeit eher zu als ab. In diesen Tagen geistert immer mehr die Rede von der angeblichen Beschränkung der Rede- und Meinungsfreiheit durch unsere Gesellschaft. Der Satz "Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen!" gellt durch das Land und drückt lediglich aus, dass man für seine üble Rede nicht verantwortlich gemacht werden will. Menschen, die hingegen deutlich machen, dass Sprache etwas bewirkt, werden übel beschimpft. Wenn ich nur die Empörung ansehe, die die Diskussion über das "Gendern" ausgelöst hat, kann ich dem Jakobusbrief nur zustimmen: Die Zunge macht den ganzen Menschen schmutzig.

Jakobus konnte noch nichts von Internet und Social Media wissen, aber das Prinzip war bereits dasselbe: Die Zunge, die Worte können ein riesiges Feuer entzünden, sie können "für eine Welt voller Ungerechtigkeit stehen". Dieser enorme Gegensatz zwischen dem kleinen Körperteil Zunge und dessen großer Wirkung macht den Umgang mit unseren Worten so schwierig. Sehr häufig erleben wir nicht, was wir mit der "Zunge" anrichten. Wer jemand anderen mit den eigenen Fäusten niederschlägt, erlebt den verursachten Schmerz. Worte sind aber wie Gift. Sie wirken zunächst unsichtbar, und das Unheil, das sie verursachen, bleibt den Tätern oft verborgen.

Darum ist es gut, dass Jakobus in seinem Brief seinerseits scharfe und deutliche Worte nutzt, um vor dem Unheil zu warnen, das Worte bewirken können. Er wird dabei durchaus drastisch. Er fordert dazu auf, die Zunge zu zügeln, wie man Pferden "ein Zaumzeug ins Maul" legt. "Reißt euch am Riemen!" könnte man es frei übersetzen. Jakobus ist nur insofern gnädig mit seinen Lesenden, dass er gleich zu Beginn zugibt: "Wir alle machen ja immer wieder etwas verkehrt." Dennoch bleibt es dabei: Wenn es um Worte geht, sind wir ausnahmslos mit mächtigen Waffen versehen. Es soll niemand klagen, wenn er oder sie darauf hingewiesen wird, etwas Verletzendes gesagt oder geschrieben zu haben. Es muss nicht alles gesagt werden, es soll nicht alles gesagt werden! Und das ist keine Frage von Freiheit, sondern von Anstand. Wer sich verächtlich über andere äußert, macht etwas falsch. So einfach ist das. Mit den Worten von Jakobus: "Wir alle machen ja immer wieder etwas verkehrt." Aber es ist wichtig, erstens zu erkennen, dass man etwas verkehrt gemacht hat. Zweitens sollte man sich für den Fehler entschuldigen und drittens sollte man sich unbedingt vornehmen, es nicht wieder zu tun. Ausreden für die eigenen Worte setzen nur "den Lauf des Lebens in Brand".

Wohlgemerkt und noch einmal gesagt: Es geht Jakobus nicht darum, generelle Verbote auszusprechen. Er will sensibel dafür machen, wie mächtig Worte sein können. Er will, dass wir uns selbst in die Pflicht nehmen, auf unsere Zunge besser aufzupassen. Ich hoffe, all diese Mahnungen sind nicht zu viel für Sie. Der Jakobusbrief ist wie ein großer erhobener Zeigefinger, und ich weiß, dass wir derzeit aus vielen Richtungen Mahnungen zu hören bekommen. Andererseits sind es gerade die Worte, mit denen zurzeit fahrlässig umgegangen wird. Darum möchte ich diesen Zeigefinger ebenfalls erheben. Reißen wir uns am Riemen! Passen wir auf, was wir sagen und schreiben! Reden wir offen miteinander anstatt hinter dem Rücken der anderen! Entschuldigen wir uns für die Fehler unserer Zungen, wie wir uns für die Fehler unserer Fäuste entschuldigen würden! Verzichten wir auf Ironie, mehr noch auf Sarkasmus!

Wochenaufgabe: Machen Sie bitte mit!

Herzliche Grüße und Wünsche für Sie!

Ihr Frank Muchlinsky