Thailand: Die politische Zeitbombe tickt weiter

Thailand: Die politische Zeitbombe tickt weiter
In das thailändische Politdrama ist Bewegung gekommen. Premierminister Abhisit Vejjajiva stellte eine Roadmap zur nationalen Versöhnung vor. Doch die Situation bleibt schwierig. Noch ist ungewiss, ob die "Rothemden" ihre Besetzung ganzer Viertel in der Hauptstadt Bangkok beenden.
05.05.2010
Von Michael Lenz

Kernpunkt und Ziel der Regierungsvorschläge ist die Neuwahl des Parlaments am 14. November. Dazu muss das alte Parlament aufgelöst werden. Das ist auch eine Kernforderung der "Rothemden", jener Oppositionsbewegung, die seit gut fünf Wochen Bangkoks Innenstadt besetzt hält, um ihren politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Am Dienstagabend hatte die United Front for Democracy against Dictatorship (UDD), so der offizielle Name der Rothemden, nach langen Beratungen erklärt, die Roadmap unter zwei Bedingungen zu akzeptieren: Abhisit soll einen konkreten und verbindlichen Zeitplan für die Auflösung des Parlaments festlegen sowie sofort alle Schikanen gegen die Rothemden einstellen. Als Zeichen des guten Willens müsse die Regierung noch in der Nacht alle Soldaten und Polizisten aus dem von den Rothemden besetzten Gebiet abziehen.

Zeitpunkt geschickt gewählt

Abhisit hat den Zeitpunkt für seine "Roadmap" geschickt gewählt. An diesem Mittwoch wird der 60. Jahrestag der Krönung von König Bhumipol am 5. Mai 1950 gefeiert - und königliche Feiertage sind sakrosankt. Da wird nicht gestritten oder gar versucht, mit Gewalt einen Konflikt zu lösen. Also ist Zeit gewonnen, um hinter den Kulissen um die Details der Roadmap und die Bedingungen der Rothemden zu feilschen. Während der Zeremonien erklärte ein Oppositionsführer, die Rothemden würden bald wieder in ihre Heimatstädte zurückkehren, weil ihr Ziel, "für wahre Demokratie und die Rückkehr des Volkes an die Macht zu kämpfen", fast erreicht worden sei.

Doch die Reaktionen auf die Initiative des Premierministers, der den Konflikt politisch lösen will statt mit militärischer Gewalt, fallen bei vielen anderen Rothemden skeptisch aus. "Abhisit will nur Zeit gewinnen, um unsere Bewegung fertig zu machen", vermutet Nop, ein Bauer aus dem Isaan, jetzt einer der Bangkokbesetzer. Lek verkauft im besetzten Bangkok Gummischlappen, auf die das Gesicht Abhisits gedruckt ist. Wir will, kann für wenige Baht den verhassten Regierungschef mit Füßen treten. Kein Wunder, dass auch Lek Abhisit nicht mag und im Brustton der Überzeugung sagt: "Der lügt doch nur", sagt sie im Brustton der Überzeugung.

Thitinan Pongsudhirak, Direktor des Instituts für Sicherheit und internationale Studien an der Chulalongkorn Universität in Bangkok, steht der Roadmap skeptisch gegenüber. "Abhisit hat die Tendenz, die richtigen Dinge zu sagen, die dann aber nie umgesetzt werden", konstatierte Thitinan am Dienstag auf einer Veranstaltung des "Foreign Correspondents Club".

Falsche Zeit, falsche Seite

Thitinan ist ein Kritiker der Regierung Abhisit, obwohl er den jungen, in Oxford ausgebildeten Premierminister persönlich mag. Er findet aber: "Abhisit wäre ein guter Professor. Als Regierungschef aber ist er zu falschen Zeit am falschen Platz auf der falschen Seite der Geschichte." Will sagen, der intellektuelle Abhisit ist in der Krisenzeit nicht der richtige Mann, um das politisch vielschichtige, komplizierte, komplexe Thailand auf einen Weg der Versöhnung zu führen.

Verhandeln muss Abhisit nun nicht nur mit den Rothemden, sondern auch mit der parlamentarischen Opposition - und sogar mit Politikern seiner eigenen Partei und deren Koalitionspartnern, mit denen er seine Roadmap nicht abgestimmt hat. So verkündete Abhisits Chefberater Chuan Leekpai noch am Dienstagnachmittag, er habe von einer solchen Roadmap noch nie gehört.

Zusammenschießen geht nicht mehr

Die Hardliner in Abhisits Koalition halten von politischen Lösungen wenig. Aber die thailändische Konfliktlösung, Demonstranten einfach zusammenzuschießen, wie sie zur Niederschlagung der Proteste der Demokratiebewegungen 1973 und im Mai 1992 praktiziert wurde, ist nicht mehr so ohne weiteres anwendbar. "Die Welt heute ist anders als vor über 30 Jahren. Eine Gewaltlösung würde international nicht akzeptiert werden", sagt Thitinan.

Aber der Sicherheitsexperte kennt auch einen praktischen Grund, der gegen einen Militäreinsatz spricht: die schiere Größe des besetzten Gebiets. Die Rothemden, so Thitinan, hätten mit der Besetzung der Ratchaprasong Kreuzung, von der aus vier große Straßen abgehen, strategisches Geschick bewiesen. Alleine zur Räumung des Gebiets seien sechs Bataillone mit je 800 Soldaten notwendig. Ein solcher Einsatz würde viele Menschenleben fordern und enorme Sachschäden an den modernen Shopping Malls, den Hotels, den Bürohochhäusern im "roten Distrikt" verursachen. "Die Kosten eines solchen Einsatzes wären enorm."

Das Land bleibt ein Pulverfass

Selbst wenn Abhisits Roadmap mit einigen Ergänzungen und Änderungen letztlich von allen Akteuren des Politdramas akzeptiert würde, wäre der Konflikt nur vertagt, ist Thitinan überzeugt. Es gilt in Thailand als so gut wie sicher, dass die Partei der Rothemden, wie schon zweimal in der Thaksin-Ära und in der Wahl nach dem Putsch, auch aus den Neuwahlen als stärkste Partei hervorgehen wird. Das aber wird aller Wahrscheinlichkeit nach die "Gelbhemden" wieder auf die Straßen bringen - denn, so Thitinan, es fehle in Thailand der Konsens darüber, Wahlergebnisse zu akzeptieren.

Die Gelbhemden waren jene Demonstranten, die im Namen der alten Elite aus Adel und Militär Ende 2008 durch die Besetzung des Flughafens von Bangkok die gewählte Regierung von Premierminister Somchai Wongsawat - dem Schwager Thaksins - zu Fall und Oppositionsführer Abhisit an die Macht brachten. Die Gelbhemden favorisieren ein Parlament, dass zum Teil aus ernannten statt aus gewählten Abgeordneten besteht. Ihre Begründung: Das gemeine Volk ist "zu dumm zum wählen". Die politsche Zeitbombe in Thailand tickt weiter. Thitinan befürchtet einen Teufelskreis der Gewalt, die zu einer "Philippinisierung der thailändischen Politik" führen könnte.


Michael Lenz ist freier Journalist in Südostasien und schreibt regelmäßig für evangelisch.de.