Missbrauchsopfer sollen im Mittelpunkt stehen

Missbrauchsopfer sollen im Mittelpunkt stehen
Der Runde Tisch zum Thema sexueller Missbrauch sollte sich nach Ansicht der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Grünen vor allem um die Opfer kümmern. Das von der Bundesregierung einberufene Expertengremium tritt am Freitag erstmals zusammen.

Der amtierende EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider äußerte in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) die Erwartung, dass sich der Runde Tisch auf Grundsätze zum Umgang mit dem Thema verständigen könne. Nach den Worten der Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, müssen Sicherheit und Schutz für die Opfer oberste Priorität haben. Die Kultusminister der Länder beschlossen unterdessen Handlungsempfehlungen zur Vorbeugung und Aufarbeitung von sexuellen Missbrauchsfällen an Schulen.

Der Runde Tisch tritt auf Einladung der drei Bundesministerinnen für Familie, Justiz und Bildung am Freitag in Berlin zu seiner ersten Sitzung zusammen. Schneider sagte, die Situation der Opfer müsse "absolut an erster Stelle stehen". Gegenüber den Tätern dürfe es keine Toleranz geben. Mit der Justiz müsse es eine "klare und vorbehaltlose Kooperation" geben. Aus den 22 Landeskirchen der EKD seien bislang 28 Fälle von Missbrauchsverdacht aus den vergangenen acht Jahren bekannt geworden, erläuterte Schneider. "Darin eingeschlossen sind auch einige Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hat, weil eine Straftat nicht nachzuweisen war."

"Dass sie sich wehren können"

Kinder und Jugendliche müssten in der Erziehung so stark gemacht werden, "dass sie sich wehren können",  so der rheinische Präses weiter. In Schulklassen und in Einrichtungen der Erziehungshilfe müsse über Missbrauch geredet werden: "Dies ist schon ein wichtiger Schritt zur Prävention." Schneider geht davon aus, dass am Runden Tisch die EKD und die katholische Kirche keine unterschiedlichen Positionen vertreten werden. Nach dem ersten Termin, an dem für die EKD ihr Vertreter bei der Bundesregierung, Prälat Bernhard Felmberg, teilnimmt, werde es ein Gespräch zwischen EKD und katholischer Bischofskonferenz geben.

Zur Frage, ob die katholische Kirche stärker als die evangelische Kirche beim Thema Missbrauch betroffen sei, sagte Schneider: "Jede Kirche muss selbst ihre Aufarbeitung leisten und die Konsequenzen daraus ziehen." Mit Blick auf die Rücktrittsforderungen gegenüber dem Augsburger Bischof Walter Mixa auch aus dem evangelischen Bereich sagte der Ratschef, es habe ihn "sehr beruhigt zu hören, dass der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Zollitsch, im direkten Gespräch mit Bischof Mixa ist". Er wolle aber weder evangelischen noch katholischen Amtsbrüdern über die Medien Empfehlungen geben.

Auch soziale und religiöse Faktoren

Schneider räumte ein, dass Motive für körperliche Züchtigung auch soziale oder religiöse Faktoren haben könnten. Im Alten Testament heiße es im Buch der Sprüche: "Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber liebt hat, der züchtigt ihn beizeiten." (Sprüche 13,24) Allerdings müsse man sich vor pauschalen und kurzschlüssigen Folgerungen in Acht nehmen. Im Römerbrief des Neuen Testaments heiße es "in aller Klarheit, dass wir 'niemand etwas schuldig sein' sollen, außer dass wir uns 'untereinander lieben'", sagte der rheinische Präses.

Künast wies darauf hin, dass Konzepte zur Prävention und zum Umgang mit Tätern und Opfern längst vorlägen. Die Grünen forderten die Bundesregierung auf, eine Dunkelfeldstudie zu erstellen. Da nur ein Bruchteil von Missbrauchsfällen angezeigt wird, gibt es eine sehr hohe Dunkelziffer. Auch die stellvertretende Grünen-Fraktionschefin Ekin Deligöz äußerte die Befürchtung, dass am Runden Tisch über die Opfer, aber nicht mit ihnen geredet werde. Deligöz wird an den Beratungen teilnehmen.

Kultusminister verlangen Aufklärung

Die Kultusministerkonferenz setzt sich für eine "rückhaltlose Aufklärung und eine fundierte Prävention" ein, "um das Vertrauen in die Schule als geschütztem und sicherem Ort zu gewährleisten". In den von der Konferenz beschlossenen Handlungsempfehlungen wird eine "Kultur des Hinsehens und des Hinhörens" gefordert. Gefährdungen und Problemfälle müssten frühzeitig erkannt werden und die Opfer Hilfe erhalten. Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Ludwig Spaenle, sprach von einer guten Grundlage, die sexuellen Missbrauch in Schulen und Internaten wirksam verhindern solle.

Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch forderte die Religionslehrer auf, eine Kultur des Vertrauens sowie des "aufmerksamen Hinschauens" in der Gesellschaft zu stärken. "Seien Sie aufmerksam, wo Kinder und Jugendliche von Grenzüberschreitungen berichten", schreibt der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz in einem am Dienstag veröffentlichten Brief an die badischen Religionslehrer.

epd