Die Pflicht ruft: Erschießen wir ein paar Aufständische

Die Pflicht ruft: Erschießen wir ein paar Aufständische
Vor drei Jahren brachte die US-Armee zwei irakische Reuters-Mitarbeiter um, die in Baghdad unterwegs waren. Die Soldaten hatten die beiden für Aufständische gehalten. Das Video des Angriffs ist bezeichnend und zeigt eine Seite des Krieges, die das Militär eigentlich geheim halten will: Die Kaltblütigkeit des Tötens. So etwas kannte man bisher vor allem aus Videospielen.
07.04.2010
Von Hanno Terbuyken

Ein Kampfhubschrauber der US-Armee tötet 2007 eine Gruppe angeblicher Terroristen in Baghdad. Dabei waren auch zwei Reuters-Mitarbeiter, beide Iraker, Namir Noor-Eldeen und Saeed Chmagh. Drei Jahre lang hat die Nachrichtenagentur versucht, das Video vom Tod ihrer Mitarbeiter zu sehen zu bekommen – erfolglos. Nun hat das Internetportal "WikiLeaks" das Video in die Hände bekommen und veröffentlicht. Es ist der Auftrag, den sich "WikiLeaks" auf die Fahnen geschrieben hat: Geheime Dokumente zu veröffentlichen, damit alle sie sehen können.

Das Video, betitelt "Collateral Murder" (Kollateral-Mord) verbreitete sich innerhalb von wenigen Tagen durch die Medienlandschaft. Es ist ein grausames Dokument eines Krieges, der offiziell im März 2003 begann und im April 2003 endete, ohne wirklich zu Ende zu sein. Es ist zudem ein unzensierter Blick auf die Realität des Krieges, den Zivilisten selten zu sehen bekommen.

Der Versuch des Militärs, Bilder zu kontrollieren

Die Geschichte der Kontrolle über die Bilder von Krieg ist wechselhaft, gerade in Zeiten moderner und immer mobiler werdender Übertragungstechniken. Im Vietnamkrieg ließen die USA Reporter beinahe unbegrenzt ins Kriegsgebiet. Das Resultat war eine Berichterstattung, die die Opfer des Krieges in den Mittelpunkt stellte und vielen Menschen bis heute eindringlich in Erinnerung geblieben ist. Im Generalstab der USA blieb vor allem hängen, dass die freie Berichterstattung die Demonstrationen gegen den Krieg verursacht hat – ein Zusammenhang, der so einfach nicht ist, der von den Generälen aber gern konstruiert wurde.

Im zweiten Golfkrieg 1990/91 versuchten es die Militärs dann anders. Der sogenannte "Reporter-Pool" entstand, Gruppen von Journalisten, die durch das Militär direkt zu bestimmten Orten gefahren wurden, von wo sie dann über die Ergebnisse der Präzisionsbomben berichten durften. Das Militär kontrollierte die Berichterstattung streng, auch die Fernsehbilder. Der "CNN-Krieg", wie der Golfkrieg noch immer genannt wird, bestand für die Fernsehzuschauer vor allem aus grünstichigen Bildern von zielgenauen Explosionen. Tote Menschen gab es da keine zu sehen, nur die beeindruckende technische Präzision und Überlegenheit der amerikanischen Kriegsmaschinerie.

Ein authentischer, ungefilterter Blick auf den Krieg aus der Luft

Nun also Irak. Während der Invasion in Irak und Afghanistan waren noch Journalisten mit den Soldaten unterwegs, die so genannten "embedded reporters", der aktuellste Versuch der Meinungskontrolle. Denn wer mit den Soldaten unterwegs ist, ihr tägliches Leben erlebt, der fühlt mit ihnen mit und stellt sie in einem guten Licht da. Das war zumindest die Kalkulation der Militärs, und sie ist zum größten Teil aufgegangen.

Das nun an die Öffentlichkeit gelangte Video, gefilmt von der Waffenkamera eines Apache-Kampfhubschraubers, ist echt und ungefiltert, auch nicht durch die Augen eines Journalisten. Es entblößt die grausame Wirklichkeit, dass Krieg zum Alltag werden kann. Denn der eigentliche Skandal ist nicht, dass die beiden Piloten eine Gruppe Iraker erschossen hat. Das ist traurig, tragisch – und leider alltäglich. Die "Washington Post" berichtet in ihrer Online-Ausgabe, dass die Piloten den "rules of engagement" korrekt gefolgt sind, also den Regeln, die den Einsatz von Waffengewalt im Soldatenalltag regulieren.

In der Tat scheinen einige der Zivilisten, die von dem Hubschrauber beschossen werden, Waffen zu tragen. Dass das Teleobjektiv des Reporters von den Piloten als "RPG" erkannt wird – als Granatwerfer mit Treibsatz – ist in einer Kriegszone an einem Tag, an dem der Hubschrauber nicht zum ersten Mal auf eine Gruppe mit Waffen trifft, eher Pech als Absicht. Dass wohl nicht auf den Hubschrauber geschossen wurde, ist da irrelevant – Menschen mit Waffen sind in einer Kriegszone nun einmal Feinde, wenn sie nicht eindeutig Freunde sind.

Fantastische, unwirkliche Kaltblütigkeit

Nein, es ist nicht nur der Tod vieler Menschen, der das Video so entsetzlich macht. Es ist vor allem die kalte Selbstverständlichkeit, mit der der Pilot und sein Schütze die "Abschüsse" kommentieren. Bisher war dies nur in der Welt des Fantastischen festgehalten. Im Videospiel "Call of Duty 4: Modern Warfare", erschienen im August 2007 (USA), gibt es eine Szene, die fast identisch aussieht. Der Spieler übernimmt dort die Rolle eines Bordschützen in einer AC-130, einem schwerbewaffneten Kampfflugzeug. Der Pilot, der das Flugzeug fliegt (und vom Computer gespielt wird), gibt dazu Kommentare ab, in völlig nüchternem Ton. "Nice." "You got 'em." "Light 'em up." "Uh, we got a runner here." "Good kill, good kill." "Kaboom." So kommentiert der Pilot das virtuelle Töten des Spielers.

Als das Spiel auf den Markt kam, war diese Szene der genaue Gegensatz zum action-reichen Rest von "CoD 4: Modern Warfare". Spieler und Kritiker waren fasziniert von dem Gegensatz zwischen der Unverwundbarkeit in luftigen Höhen, begleitet von der coolen Stimme des Piloten, und der bleihaltigen Atmosphäre in den anderen Missionen als Fußsoldat. Kalte Schauer des Gruselns aus der Sicherheit des eigenen Sofas schickte dieses Level durch die kollektive Spielerschaft.

Die Wirklichkeit holt das Videospiel ein

Das wirkte als Überhöhung der Wirklichkeit, als Stilisierung zu einem kaltblütigen, gruseligen Killer aus der Luft, der den eigenen Jungs am Boden die Bahn ebnet (im wahrsten Sinne des Wortes) und den es so nicht gibt, nicht geben kann, weil man als Mensch doch nie so kaltblütig reagieren kann, wenn man selbst Tod und Zerstörung auf andere herunterregnet. Sowas gibt es nur im Videospiel, dachte man.

Bis jetzt.

Denn das Video des Hubschrauber-Schützen in Baghdad sieht genauso aus und hört sich auch genauso an, nur dass es dabei um echte Menschen geht und nicht um ein Videospiel. "Let's shoot." "Light 'em all up." "Come on, fire!" Dann lässt der Schütze eine Salve Schüsse aus der 30-Millimeter-Kanone des Hubschraubers los. Acht Menschen gehen zu Boden.

Das Video des Levels aus "Call of Duty 4: Modern Warfare"

"I got 'em", sagt er, "ich habe sie erwischt". "Oh, yeah, look at those dead bastards", schau dir die toten Bastarde an, sagt der Schütze, während der Hubschrauber über dem Schlachtfeld kreist. "Nice", antwortet der Pilot. Und es klingt nicht anders als im Videospiel. Es gibt noch weitere Beispiele für diese im Videospiel alltägliche, in der Wirklichkeit gefährliche Distanz in dem Video des Kampfhubschraubers. Als sich ein Fahrzeug nähert und zwei Menschen versuchen, den verletzten Reuters-Mann abzutransportieren, bittet der Schütze nahezu um die Erlaubnis, auch den Wagen abschießen zu dürfen. Die bekommt er.

Das Video aus dem Kampfhubschrauber, editiert und veröffentlicht von WikiLeaks

Was der Schütze nicht weiß: In dem Wagen sitzen zwei Kinder. Eines der Mädchen muss schwerverletzt ausgeflogen werden, entscheidet der amerikanische Armee-Sanitäter, der sie findet. "Ah damn. Oh well", sagt der Hubschrauberschütze, nachdem er das erfährt: "Ist halt ihre Schuld, wenn sie ihre Kinder mit in die Schlacht nehmen." Ob die beiden, die dem verletzten Reuters-Mann helfen wollten, überhaupt in die Schlacht gezogen sind, fragt er nicht.

Es sind genau diese Bilder und Dialoge, die die US-Armee nicht in der Öffentlichkeit sehen wollte. Es ist ein Beleg dafür, dass Soldaten im Krieg Menschen töten und dass schwarz und weiß, gut und falsch, wir und die niemals so genau definiert sind, wie die Militärs es gerne hätten. Ob der Pilot und sein Schütze anschließend mit Gewissensbissen über das Töten oder einem Bier angesichts eines erfolgreichen Einsatzes zu Bett gegangen sind, wissen nur sie selbst. "WikiLeaks" behauptet, es gebe noch weitere solche Videos. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Denn Soldaten sind zum Töten ausgebildet, und täglich sterben ihre Kameraden im Irak – Rache ist ein starkes Motiv und eine wirksame Rechtfertigung.

Wie man auf diese Weise mit einer solchen Armee einen Staat aufbauen soll, darauf blieb bisher jeder Militär und jeder Politiker die Antwort schuldig. Mit Kampfhubschraubern und Soldaten gewinnen die Amerikaner den Kampf um die "hearts and minds", die Herzen und das Denken der Iraker, allerhöchstens im Videospiel.


 

Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Gesellschaft und Wissen, und schreibt das Blog "Angezockt".