Du sollst deinem Bruder keinen Zins auferlegen ...

Du sollst deinem Bruder keinen Zins auferlegen ...
Ein religiöses Zinsverbot setzen Christen seit dem Mittelalter nicht mehr um. Der Islam und das Judentum haben es der Gegenwart angepasst: Scharia-konforme Finanzprodukte gibt es in den meisten islamisch geprägten Ländern und auch die israelischen Banken bieten Kreditformen an, die von Religionsgelehrten durchdiskutiert wurden. Jetzt gibt's das auch hierzulande.
26.03.2010
Von Miriam Bunjes

Seit Anfang März ist ein deutsches Unternehmen in den religiösen Bankmarkt eingestiegen: Meridio Global Islamic Multi Asset heißt der erste so in Deutschland gemanagte Aktien-Mischfond und wurde aufgelegt von der Meridio Vermögensverwaltung. Deren Chef Uwe Zimmer will damit insbesondere die vielen deutschen Muslime erreichen. Denn über zwei Drittel der rund 4,3 Millionen in Deutschland lebenden Muslime wollen islamkonforme Finanzprodukte, zeigt eine Umfrage des Institute for Islamic Finance. Passende Angebote für sie warem in Deutschland bislang Mangelware. Moralischer Umgang mit Geld ist ein Geschäft – und für die Meridio AG wird es wahrscheinlich ein sehr erfolgreiches.

Was viele Muslime wollen: Geld im Einklang mit ihrer Heiligen Schrift verwenden. Dazu gehört vor allem das Zinsverbot. Das steht schon im Ersten Testament und ist somit auch ein Teil des Judentums und des Christentums: "Du sollst deinem Bruder keinen Zins auferlegen, Zins für Geld, Zins für Speise, Zins für irgendeine Sache, die man gegen Zins ausleiht. Dem Fremden magst du Zins auferlegen, aber deinem Bruder darfst du nicht Zins auferlegen, damit der Herr, dein Gott, dich segnet in allem Geschäft deiner Hand in dem Land, in das du kommst, um es in Besitz zu nehmen" steht zum Beispiel in Deuteronomium 23,20. Ähnliches steht auch in Exodus 22,24 und Levitikus 25,35-37.

"Izaak-Modell" in israelischen Banken

"Das Instrument Zinsen ist aber auch wichtig für den Forschritt", sagt der Duisburger Rabbiner Yacoov Zinvirt auf einer Tagung des Initiativkreises 9,5, der das Zinsverbot auch für Christen umsetzen will. "Ohne Zinsen kann es keine Kredite für Arme geben, weil sich das für die Banken nicht rentiert. Und auch das ist nicht im Sinne des Talmud." In Israel habe man daher das Zinsverbot an die moderne Zeit angepasst. „Das Thema Zinsen wird seit jeher von jüdischen Gelehrten diskutiert und immer wieder an die Zeit angepasst“, sagt Zinvirt. Das Ergebnis: Israelische Banken bieten ihren Anleger und Kreditnehmer ein so genanntes Izaak-Modell an. "Die Hälfte des Geldes wird konventionell verzinst", erklärt der Duisburger Rabbiner. "Die andere Hälfte ist ein Teilhabe-Geschäft." Bei diesem sind beide Geschäftspartner – Bank und Kreditnehmer – an Gewinnen und Risiken einer Investition beteiligt. "Zinsen gibt es nicht, wahrscheinlich Gewinn, möglicherweise aber auch Verlust."

Es gebe bei allen israelischen Banken so ein Formular, die Finanzierungsform sei dort sehr bekannt und gefragt. "Das gibt es schon über 20 Jahre", sagt Zinvirt. "In Deutschland war das jedoch nie ein Thema." Entwickelt wurde diese Beteiligungsform von Schriftgelehrten. "Es gibt aber bislang noch keinen Präzedenzfall vor einem weltlichen israelischen Gericht, der sich mit dem Verlust durch so eine Anlage befasst", sagt Zinvirt. "Konflikte wurden offenbar bislang vor religiösen Gerichten geschlichtet."

Das Zinsverbot sei jedenfalls Bestandteil der jüdischen Religion, sagt Zinvirt, "es muss aber angepasst werden." Innerhalb vieler Gemeinden und jüdischen Wohlfahrtsorganisationen sei der völlig zinsfreie Geldverleih jedoch etabliert.

"Unterschied zwischen Handel und Zins ist dünn"

Zinsfreies Wirtschaften kann auch in der Jetzt-Zeit funktionieren – mit Gewinnen und mit Geldverleih, sagt Ibrahim El-Zayat von der Föderation islamischer Organisationen Europa und Chef einer Consulting-Firma, die europaweit Moscheebauten realisiert. „Der Unterschied zwischen Handel und Zins ist oft sehr dünn“, sagt El-Zayed auf der Tagung "Christen scheren aus – aber wie?" des Initiativkreis 9,5. "Es kann auch ohne Zinsen hohe Gewinnspannen geben – und das ist nicht unislamisch." Islamic Finance arbeitet vor allem mit Gewinn- und Verlustbeteiligung des Anleger und des Abnehmers. "Geht es beispielsweise um die Finanzierung eines Autos, wird bei einem Kredit gar keine Bank zwischengeschaltet", sagt El-Zayet. "Der Käufer und das Autohaus vereinbaren den Kredit und seine Bedingungen."

Verleiht eine Bank Geld, investiert sie in ein Geschäft oder ein Projekt und vereinbart mit dem Kreditnehmer genossenschaftliche Gewinn- und Verlustbeteiligung. "Es ist verboten, mit Unbestimmten zu handeln. Das Geld soll in die reale Wirtschaft fließen", erklärt El-Zayat. "Auch Glücksspiel ist tabu – das schließt Derivat-Geschäfte aus." Mit Anleihen wird dennoch gehandelt. Sie heißen Sukuk. Auch hier wird der Gewinn nicht über das Geld an sich geschöpft, sondern der Kunde ist Teilhaber an den Gewinnen aus den Geschäften, in die die Bank investiert hat.

Geld wächst nur so stark wie die Realwirtschaft auch

"Jedes Geschäft wird von einem Board aus Scharia-Gelehrten begutachtet", sagt El-Zayet. Auch das schützt nicht vor Spekulationsblasen: "In Dubai stehen kilometerweit leer stehende Immobilien. Sie sind zwar ein reales Bauprojekt. Dass sie niemals alle genutzt werden können, stand aber schon im Vorfeld fest", sagt El-Zayet. "Insgesamt entsteht durch die Einhaltung des Zinsverbots aber ein gerechteres Wirtschaftssystem, da das Geld real investiert wird. Dadurch wächst es nur so stark wie die Realwirtschaft auch."

El-Zayet sei durch seine Erfahrungen im Finanzvermittlungsbereich ein sehr wertvoller Input für die Tagung gewesen, sagt Gudula Frieling vom Initiativkreis 9,5. Der Tagungsgast ist in Deutschland allerdings sehr umstritten, da der Verfassungsschutz ihn und auch die Föderation islamischer Organisationen Europas in Verbindung mit der Muslimbruderschaft sieht, die als fundamentalistisch-islamisch gilt. El-Zayet selbst hat eine Mitgliedschaft öffentlich mehrfach bestritten und sprach sich auf der Tagung für eine christlich-jüdisch-muslimische Zusammenarbeit aus.

"Wir wussten, dass er umstritten ist", sagt Frieling. "Seine Erfahrungen kann man ungeachtet dieser Kontroverse aber gut gebrauchen. Sowohl im Islam als auch im Judentum gibt es praktische Erfahrungen mit dem Zinsverbot. Darauf können wir beim Aufbau eines christlichen Finanzsystems zurückgreifen."


Miriam Bunjes ist freie Journalistin und arbeitet in Dortmund.