Jürgen Becker: Religion und Humor gehören zusammen

Jürgen Becker: Religion und Humor gehören zusammen
Schade, dass es im Gottesdienst so wenig zu lachen gibt, meint der Kabarettist. Für ihn gehören Religion und Humor zusammen. Denn Humor kann Brücken bauen.

chrismon plus rheinland: Herr Becker, was glauben Sie denn: Trinkt Gott Kölsch oder Altbier?

Jürgen Becker: Ich glaube, es gibt einen Gott, der Kölsch trinkt, und es gibt einen, der Alt trinkt.

Frage: Und was würden Sie dem Wirt sagen, wenn es Gott gar nicht gibt?

Jürgen Becker: Dann finden sich andere, die mittrinken. Denn die Menschen machen sich die Götter.

Frage: Religion ist, sagen Sie, wenn der Mensch sich einen Punkt über sich denkt und darüber nachsinnt, was dieser Punkt über ihn denken mag. Warum sollte beim Nachdenken nicht auch ein positives Stück Religion herauskommen?

Jürgen Becker: Ja, das ist ja der Sinn der Religion: dass man noch etwas Zusätzliches hat neben der vordergründigen Vernunft. Deshalb ist man als Humorist mit der Religion immer eng befreundet. Religion und Humor haben dasselbe Prinzip: Beide sehen die Dinge anders, als es die Vernunft nahelegt. Es widerspricht der Vernunft, dass ein Toter wieder aufsteht, eine Jungfrau ein Kind kriegt oder einer übers Wasser läuft. In der Religion aber geht das. Und auch der Humor ist unvernünftig, bringt er doch Dinge zusammen, die nicht zusammenpassen, die berühmte Torte im Gesicht. Dass der Humor aus der Religion verschwunden ist, war ein Fehler.

Wenn man lacht, ist man leicht wie ein Engel

Frage: Aber das katholische Rheinland treibt doch im Karneval manche humorvolle Blüten.

Jürgen Becker: Ja, im Karneval. Aber es ist doch schade, dass die Menschen im Gottesdienst nicht lachen können. Lachen ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Wenn man lacht, erzählt der Diakon Willibert Pauls, dann ist man leicht wie ein Engel. Nur wer über den Dingen schwebt, kann sie auch belächeln. Darum gehören Religion und Humor untrennbar zusammen. Die Religion hat die Humoristen auch immer angezogen, weil sie eine solide Fallhöhe vorgibt. Jeder kennt Loriots Sketch "Das Jodeldiplom". Der funktioniert ja, weil es um etwas Ernstes geht, nämlich um den Ernst des Lebens: Schule. In diesem ernsten Rahmen folgen dann völlig unsinnige Inhalte: §Jodeldiedeldadeldö, zweites Futura Sonnenaufgang§. Das ist die Fallhöhe, durch die Humor entsteht. So funktioniert es. Bei der Religion ist die Fallhöhe noch extremer, weil hier der Anspruch am höchsten ist.

Frage: Religion humorvoll aufzugreifen ist das eine. Aber braucht Religion in sich Humor?

Jürgen Becker: Kein Frieden ohne Frieden der Religionen. Humor kann Brücken bauen. Da sitzen zum Beispiel ein Imam und ein katholischer Priester beim Essen zusammen. Der Priester fragt: "Wann werdet ihr Muslime endlich vernünftig und esst Schweinefleisch?" Sagt der Muslim: "Das machen wir – auf deiner Hochzeit." Humor schafft die Distanz in der Betrachtung, die Fundamentalisten oft fehlt.

Frage: Wie kann mehr Humor in der Kirche gelingen?

Jürgen Becker: Die evangelische Kirche hat in Düsseldorf einmal ein Seminar zum Humor in der Predigt angeboten. Da tut sich was. Ich habe zum Beispiel mal eine Predigt in einem Urlaubsort gehört. Es ging um Ostern. Der Pfarrer sagte: "Glauben wir das wirklich, dass dieser Jesus in den Himmel aufgefahren ist?" Und um zu verdeutlichen, was Glauben bedeutet, erzählte er eine Anekdote von einem Pfarrer, der sich auf der Kanzel mit Pinsel und Rasierschaum rasiert habe. Dann habe er den Leuten gesagt: "So, jetzt könnt Ihr alle nach Hause gehen und sagen: 'Der Pfarrer hat sich auf der Kanzel rasiert!' Das glaubt euch kein Mensch." Die ganze Kirche hat gelacht. Es gibt natürlich einen Unterschied zwischen einer Rasur und der Auferstehung Jesu. Aber wenn einer das so provozierend karikiert, kommt er dem Kern oft näher als mit ernster Dialektik.

Doppelmoral lässt mehr Raum für Satire

Frage: Es heißt oft, Evangelische seien weniger humorvoll als Katholiken. Merken Sie das als Kabarettist?

Jürgen Becker: Es stimmt natürlich nicht, dass die Evangelen keinen Humor haben. Es fällt mir als Kleinkünstler jedoch auf, dass in evangelischen Regionen sehr viel weniger Kabarettveranstaltungen stattfinden als in katholischen. Dort lässt die Doppelmoral traditionell mehr Raum für Satire. In protestantisch imprägnierten Ecken findet man hingegen noch die alte Grundhaltung, dass man das Leben eher in büßender Haltung durchschreitet. Ältere Evangelen kennen noch den Satz: "Das Bein, das sich zum Tanze regt, wird im Himmel abgesägt!" Dennoch funktioniert Kabarett heute auch in protestantischen Gegenden ganz ordentlich. Wenig Platz hat der Humor hingegen in fundamentalistischen Gesellschaften. Fundamentalisten haben Angst vor Humor, weil er nicht kontrollierbar ist. Lachen ist ein Reflex.

Frage: Was wollen Sie erreichen mit Ihren Programmen?

Jürgen Becker: Ich will zuerst einmal den Leuten einen schönen Abend machen. Die haben ja auch viel Mühe damit gehabt. Die Frauen mussten ihre müden Männer überreden, mussten Karten besorgen. Frauen sind meistens diejenigen, die in den Familien die Kultur betonen. Deswegen ist es das Allerwichtigste, dass sie viel lachen und herausgehen mit dem Eindruck: Das war richtig gut. Wenn die Leute nach einer Vorstellung dann auch noch sagen: Das habe ich so noch nicht gesehen, das ist ein interessanter Gedanke, dann freut mich das umso mehr.

Frage: Aber vermutlich wollen Sie als Kabarettist doch mehr als nur unterhalten.

Jürgen Becker: Das schon. Im Unterschied zur Comedy vermittelt Kabarett eine Haltung. Es ist wie ein Kommentar in der Zeitung oder eine Karikatur. Eine Haltung ist beispielsweise: Ich hoffe, dass sich ein neuer Polytheismus entwickelt, der die bestehenden Religionen vereinen kann.

Germanen war klar, dass im Himmel eine Frau sitzen muss

Frage: Da würde sich so manches Kirchenmitglied aber die Haare raufen. Christen würden ihren Glauben doch als monotheistisch bezeichnen.

Jürgen Becker: Ich finde, dass das Christentum in der Tendenz polytheistisch ist. Die Dreifaltigkeit, die vielen Heiligen, Maria! Eine quasi weibliche Gottheit, die legitime Nachfolgerin für unsere alte Freya. Uns Germanen war immer klar, im Himmel muss eine Frau sitzen, sonst räumt doch da keiner auf! Für Muslime sind wir Polytheisten, Heiden, die Ungläubigen, viele meinen, dass wir alle in die Hölle kommen. Ich finde das nicht schlimm, dann sehen wir uns da wieder. Wer kommt schon in den Himmel? Der Papst vielleicht – dann sitzt er da oben mit einem Teller Haferschleim und beschwert sich beim Petrus: "Was ist das für ein miserables Essen? In der Hölle gibt es besseres." "Tja", meint Petrus, "für zwei Mann kochen lohnt sich nicht!"

Frage: Der Monotheismus ist in Ihren Augen ein Hitzeschaden der Religion. Ist Heilung möglich?

Jürgen Becker: Ja, durch humorvollen Umgang. Darum habe ich mit meinem Kollegen Norbert Alich das Lied geschrieben "Ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin". Darin werden viele Klischees ironisch aufgegriffen. Natürlich plädieren wir damit in Wahrheit für Toleranz. Wir brauchen in unserer multikulturellen Gesellschaft die tägliche Freude an der Unterschiedlichkeit, das ist gelebter Polytheismus. Das heißt: Die vielen Erscheinungsformen der Religion unter einen Hut zu bringen, würde ich als gelebten Polytheismus beschreiben.

Frage: Sie sagen auch, dass der Monotheismus das Schlimmste ist, was den Menschen passiert ist. Können Sie nachvollziehen, dass sich überzeugte Christen in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen?

Jürgen Becker: Ich kritisiere ja nicht den Glauben, sondern das, was daraus entstanden ist. Seit Erfindung des Monotheismus hatten wir über 16.000 Kriege, die meisten davon waren Religionskriege – dann kann man doch sagen: Er wäre besser nicht passiert. Ich spiele in zahlreichen Kirchen, kritische Äußerungen habe ich dazu noch nie gehört. Die polytheistischen Religionen hatten keine Religionskriege, die Römer haben nicht gesagt, die Griechen sind die Ungläubigen. Der Ägyptologe Jan Assmann bezeichnet das als große Toleranzleistung. Die wünschen wir uns heute zurück.

Schmerzgrenze bei Naturkatastrophen

Frage: Und wie reagieren Muslime auf Ihr Programm?

Jürgen Becker: Muslime beschweren sich mitunter, dann aber vor allem gerichtlich – wobei ich immer freigesprochen wurde.

Frage: Wie weit darf ein Kabarettist gehen, wenn er sich das Thema Religion vornimmt? Gibt es eine Schmerzgrenze?

Jürgen Becker: Satire über Religion müssen die Menschen aushalten, das gehört zur Kultur. Es ist ja auch keiner gezwungen, sich meine Programme anzuschauen. Tabu sind für mich Naturkatastrophen oder persönliche Gebrechen.

Frage: Würden Sie sich als Atheist bezeichnen?

Jürgen Becker: Nein, das bin ich nicht. Ich würde keine Bezeichnung auf mich beziehen, in der Gott vorkommt. Niemand kann sagen, ob es Gott gibt oder nicht. Da spricht genauso viel dafür wie dagegen. Mich interessiert mehr, was an Mythen, Geschichten, Weisheiten daraus entstanden ist. Auch an Missständen, Krieg und Gewalt. Ich bin einfach kein spiritueller Mensch. Früher war ich in der evangelischen Kirche aktiv, habe da Jugendarbeit in einem Jugendzentrum gemacht und saß im Presbyterium. Die Vertreterin des Altenclubs und ich galten als die Ungläubigen, aber man mochte uns. Gerade durch die schillernde Besetzung war die Atmosphäre oft unglaublich heiter. Heute wünsche ich mir so eine Gesellschaft für christlich-atheistische Zusammenarbeit. Es gibt ja auch die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Man muss solche Foren bilden, weil Vielfalt Freude macht. Man spürt dann auch, wer man selbst ist. Die Muslime sollten wir dazu überreden. Nicht einfach ist das, aber das sollte man als unsere Kultur begreifen, als ständigen Dialog.

Frage: Es gibt in den Kirchen einen Traditionsabbruch: Viele kennen die biblischen Geschichten nicht mehr. Merken Sie das in Ihren Programmen?

Jürgen Becker: Komischerweise nicht. Ich bin viel in den neuen Bundesländern, die sind ja sehr atheistisch geprägt. Die Zuschauer dort finden die biblischen Geschichten sehr interessant. Ich baue manchmal noch Sachen aus der Region ein, das kommt an. In Bremen und Hamburg ist es genauso; man muss halt ein bisschen mehr erklären. Aber auch im Rheinland kennen viele die Geschichten nicht. Deswegen sind meine Programme auch immer ein wenig Wissensvermittlung.

Karneval als Integrationsmöglichkeit

Frage: Jetzt ist Karneval. Gibt es überhaupt noch religiöse Bezüge im Karneval?

Jürgen Becker: Selten. Dabei ist der Karneval eine grandiose Möglichkeit der Integration. Ich baue zum Beispiel mit Hauptschülern, darunter viele Muslime, einen Karnevalswagen für die Kölner "Schull- un Veedelszöch". Das ist ein Riesending. Wenn man Karneval als christliches Fest begreift, ist das religiöser Missbrauch von Minderjährigen (lacht auf), aber das ist ja eine säkularisierte Form. Die muslimischen Hauptschüler finden das ganz toll. Die kannten das gar nicht, sie waren noch nie bei einem Karnevalsumzug gewesen.

Frage: Aber Karneval in Köln kann man doch nicht nicht mitbekommen.

Jürgen Becker: Doch, das ist so. Man glaubt gar nicht, wie eng diese Schüler an ihren Kiez gebunden sind. Die waren teilweise noch nicht einmal auf der anderen Rheinseite. Das ist traurig. Das war für die wirklich eine neue Welt. Das Wurfmaterial war nach einer Viertelstunde weg. Die waren in einem Rausch.

Frage: Wenn Gott in Köln eine Karnevalssitzung besuchen wollte – würde er eher in eine evangelische Prot's-Sitzung oder in eine Stunksitzung gehen?

Jürgen Becker: Da es mehrere Götter gibt, hat man auch mehrere Sitzungen. Die Prot’s-Sitzung finde ich fantastisch, bin selbst dort aufgetreten. Dass das möglich ist, im Gottesdienstraum, in der Kirche, eine Karnevalssitzung mit 500 Jecken! Wenn Köln evangelisch wäre, würde die Prot's-Sitzung im Kölner Dom stattfinden. Schönes Bild!

Frage: Wie feiern Sie Karneval?

Jürgen Becker: Im traditionellen Karneval trete ich nicht auf. Ich schreibe immer gerne eine Sitzung für Kinder, da macht auch meine Tochter mit. Die Stunksitzung besuche ich natürlich auch. Während des Straßenkarnevals feiere ich jeden Abend in Kneipen, bis es hell wird. Als Treckerfahrer im Zug sieht man mich auch öfters. Wenn der Zug einmal ausfällt, wie 1991 beim ersten Golfkrieg, dann gerät der Psychohaushalt der Stadt Köln ganz schön durcheinander – und meiner auch.

Die Fragen stellten Wolfgang Beiderwieden, Ute Stephanie Mansion für chrismon plus Rheinland. Das Interview ist erschienen in der Ausgabe 2/2010.


Der Kabarettist Jürgen Becker wurde 1959 in Köln geboren. Bekannt wurde er als "Irokesen-Heinz" – so nannte er sich als Präsident der Kölner Stunksitzung, einer Alternative zu traditionellen Karnevalssitzungen. Im WDR-Fernsehen moderiert er die Sendung "Mitternachtsspitzen"; im Radio lädt er auf WDR 2 jeden Freitag mit seinem Kollegen Didi Jünemann zur kabarettistischen "Frühstückspause". Mit seinem Programm "Biotop für Bekloppte" absolvierte er 300 Auftritte. Zum aktuellen Programm "Ja, was glauben Sie denn" erschien kürzlich eine DVD.