"Christen und Moslems können voneinander lernen"

"Christen und Moslems können voneinander lernen"
Der neue Generalsekretär des Weltkirchenrates, der Norweger Olav Fykse Tveit, warnt vor einem ideologischen Konflikt zwischen Christentum und Islam. Das wäre nicht im Interesse von Milliarden Christen und Muslimen, sondern nur von einigen Fanatikern, sagte der 49-Jährige in Genf.
30.12.2009
Von Jan Dirk Herbermann

evangelisch.de: Herr Tveit, das Verhältnis des Christentums zum Islam ist gespannt, das Bauverbot für Minarette in der Schweiz belastet die Beziehungen zusätzlich. Werden die Spannungen eskalieren?

Tveit: Wir alle müssen aufpassen, dass kein ideologischer Konflikt entsteht, das wäre nicht im Interesse der Milliarden Christen und Muslime. Ein ideologischer Konflikt wäre aber im Interesse einiger Politiker und einiger Fanatiker.

evangelisch.de: Wie kann der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) mit seinen 350 christlichen Mitgliedskirchen und den 560 Millionen Gläubigen zur Entspannung zwischen Christentum und Islam beitragen?

Tveit: Zunächst müssen wir akzeptieren, dass wir verschiedene Erfahrungen und verschiedene religiöse Traditionen haben. Gerade deshalb aber können wir voneinander lernen. Die führenden Vertreter des Christentums und des Islam müssen bessere persönliche Beziehungen entwickeln und pflegen. Ein fester Kontakt auf der Führungsebene kann verhindern, dass es zu Missverständnissen kommt. Zudem ist es wichtig, dass Christen und Muslime versuchen, gemeinsame Werte zu entwickeln. Diese Werte müssen auf den Menschenrechten wie etwa dem Recht auf Religionsfreiheit basieren.

evangelisch.de: In einigen muslimischen Ländern werden Christen stark diskriminiert, ihnen ist es verwehrt, ihre Religion auszuüben. Werden Sie diese bedrückende Lage gegenüber den Vertretern des Islam ansprechen?

Tveit: Ja, das werde ich. Wir Christen müssen untereinander solidarisch sein. Wenn wir Christen nicht untereinander solidarisch sind, können wir auch nicht mit Verfolgten anderer Religionen solidarisch sein. Es gibt aber auch Zeichen der Hoffnung in der islamischen Welt. In Pakistan etwa wehren sich muslimische Geistliche und Christen gemeinsam gegen die Diskriminierung von Christen.

evangelisch.de: Im Nahost-Konflikt stehen christliche Araber an der Seite der Muslime. Christliche Würdenträger nennen die israelische Besatzung palästinensischer Gebiete eine "Sünde gegen Gott".

Tveit:
Wir können mit der Besatzung nicht leben, es wird nur einen gerechten und dauerhaften Frieden geben, wenn die Israelis die besetzten Gebiete wieder räumen.

evangelisch.de: Der Dialog des Christentums mit dem Islam wird durch die Fragmentierung des Christentums und auch die Fragmentierung des Islams erschwert. Wie werden sich die Beziehungen des ÖRK zur katholischen Kirche entwickeln?

Tveit: Ich habe großen Respekt vor der katholischen Kirche und ihrer Arbeit. Es ist sehr wichtig, dass wir einen engen Kontakt halten. Dabei spielen die persönlichen Beziehungen eine überragende Rolle.

evangelisch.de: Wann wird Sie der Papst empfangen?

Tveit: Das wird entschieden, wenn ich mein neues Amt als ÖRK-Generalsekretär übernehme.


Der lutherische Pfarrer Tveit übernimmt am 1. Januar 2010 das Amt des Generalsekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Er folgt dem Kenianer Samuel Kobia an der Spitze der rund 560 Millionen Christen repräsentierenden Organisation.

epd