Krieg: Die Wahrheit ist das erste Opfer

Krieg: Die Wahrheit ist das erste Opfer
Die Opposition wirft dem ehemaligen Verteidigungsminister und jetzigen Arbeitsminister Franz Josef Jung vor, er habe die Öffentlichkeit nach dem tödlichen Luftangriff auf zwei Tanklaster nahe Kundus unzureichend informiert. Jung bestreitet dies, tritt aber dennoch von seinem Amt zurück. Klar ist ohnehin, dass zumindest sein ehemaliges Ministerium Informationen zurückgehalten hat. In Kriegen gilt die unschöne Tradition, dass Militär und Politik zensieren und manipulieren, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Bestes Beispiel: Der zweite Golfkrieg 1990/1991.
26.11.2009
Von Henrik Schmitz

Kurz vor Ausbruch des Golfkriegs 1990 sorgte die Geschichte der kuwaitischen Krankenschwester Nayirah weltweit für Entsetzen. Unter Tränen berichtete sie vor dem amerikanischen Kongress-Ausschuss für Menschenrechte von den Greueltaten irakischer Soldaten in Kuwait. Babys seien aus ihren Brutkästen gerissen und auf den Boden geworfen worden. Die "Brutkasten-Geschichte" trug erheblich zur Rechtfertigung der damaligen Golfkriegspolitik bei.


Heute ist klar, dass diese Brustkasten-Geschichte eine Brutkasten-Lüge war. Die PR-Strategen der Firma Hill und Knowlton hatten sich den Propaganda-Coup ausgedacht und dafür zehn Millionen Dollar von der kuwaitischen Regierung erhalten. Erst als der Krieg vorbei war, entpuppte sich Nayirah als Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington. Gut in Erinnerung sind der Öffentlichkeit auch noch die angeblichen Bilder irakischer Massenvernichtungswaffen, die die USA vor dem Irakkrieg 2003 der Weltöffentlichkeit präsentierten - und die sich ebenfalls als Fälschungen erwiesen.

"Wir erfuhren nichts"


"Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit", erklärte 1917 der amerikanische Senator Hiram Johnson. Zuschauer, Zuhörer oder Leser erwarten von den Journalisten stets neue Informationen. Doch diese haben in Kriegsgebieten schon aus Sicherheitsgründen selten Gelegenheit, sich frei zu bewegen und selbst zu recherchieren und sind daher auf das angewiesen, was ihnen die Militärs übermitteln. Weil wie etwa im Fall des Golfkriegs 1990/1991 zum Teil 24 Stunden lang live berichtet werden musste, wurden stets die selben Informationen wiederholt und notfalls Gerüchte verbreitet. "Wir erfuhren nichts. Aber das stundenlang", brachte es der inzwischen verstorbene Kaberretist Matthias Belz während des Golfkriegs 1991 auf den Punkt.


Gerade das amerikanische Militär hatte beim Golfkrieg und 2003 wieder im Irakkrieg über die sogenannte Pool-Bildung die Medien fest im Griff. Ein Prinzip, dass schon die Eiserne-Lady Magareth Thatcher im Falkland-Krieg erfolgreich praktizierte: Eine ausgewählte Gruppe von Journalisten, die vorher vom Militär auf Linientreue überprüft werden, darf bei militärischen Einsätzen dabei sein. Ihre Informationen und Bilder müssen sie den anderen Journalisten zur Verfügung stellen. Abgesehen davon, dass diese Berichte eher Truppenbesuchen gleichen, als journalistischen Recherchen, darf nur weitergegeben werden, was vom Militär genehmigt wird. Ortsangaben, Zahlen über Truppen, Schiffe und Flugzeuge oder Angaben über Opfer sind verboten. Auf die Einhaltung dieser Richtlinien achteten die Militärs im zweiten Golfkrieg (1990/1991) streng. So wurde dem Fernsehsender NBC die Leitung gekappt, als ein Korrespondent nach dem dritten Angriff auf Tel Aviv wahrheitsgemäß von Verletzten berichtet hatte. Der damalige RTL-Korresponent Ulrich Klose wurde verwarnt, nachdem er unzensiertes Material gesendet hatte.

Zensur aus Sicherheitsgründen?


Begründet wird die Zensur in der Regel mit Sicherheitsfragen. "Zensur muss sein im Kriege, um dem Feind nicht auf die Sprünge zu helfen", erklärte der Journalist Dieter Buhl einst  in der "Zeit". In der Tat laufen Journalisten Gefahr, mit ihren Berichten einer Kriegspartei militärische Informationen zu liefern. Einem Bericht des amerikanischen  "Center for Public Integry" zufolge orientiert sich die Zensur des amerikanischen Verteidigungsministeriums jedoch nicht an der nationalen Sicherheit, sondern an politischen Zielen. "Die Erfolgsraten von Waffensystemen wurden gefälscht, um die öffentliche Unterstützung für den Krieg zu steigern", berichtet Jacqueline E. Sharkey, Professorin für Journalistik an der Universität Arizona. Gleichzeitig sei der Kongreß mit den gefälschten Zahlen dazu gebracht worden, das Budget für Militärausgaben zu erhöhen. Dabei waren etwa die im zweiten Golfkrieg hochgelobten Patriot-Abwehrrakten waren längst nicht so effektiv, wie das Pentagon behauptete. Inzwischen wird sogar diskutiert, ob sie nicht mehr Schaden anrichteten, als zu verhindern.

Obwohl Journalisten bewußt ist, dass sie von den Militärs an der Nase herumgeführt werden, fallen sie auf die Kriegspropaganda herein. Im Golfkrieg erlagen sie der Faszination der High-Tech-Präzision und zeigten Bilder von satellitengesteuerten Raketen, die metergenau in ihr Ziel trafen. Auf RTL war von der "Schönheit des Feuerwerks" die Rede. Diese von den Militärs freigegebenen Filme sollten die Illusion eines opferfreien Krieges pflegen. Der Krieg wurde zum Video-Spiel. Übersehen wurde, dass die Präzisionsgeschütze gerade mal neun Prozent der insgesamt 84.200 Tonnen Bomben ausmachten, die über dem Irak abgeworfen wurden und vor allem die Zivilbevölkerung trafen.

Krieg zum Frühstück


Obwohl sich Journalisten über die Praxis der Pool-Bildung beschweren, streiten sie untereinander um die Zulassung zu eben diesen Pools. Wirtschaftliche Interessen stehen bei der Kriegsberichterstattung oft im Vordergrund. Wer nicht mit den Militärs kooperiert, muss das Land verlassen und erhält überhaupt keine Informationen mehr. Dabei ist mit Kriegsberichten viel Geld zu machen. Der Fernsehsender CNN etwa steigerte während des zweiten Golfkriegs seine Einschaltquoten und Werbeeinnahmen und schloß Kooperationsverträge mit ARD und ZDF ab. Die ihrerseits etablierten damals ihr Frühstücksfernsehen. Medien und Militär kamen sich teilweise entgegen. "Militärische Aktionen im Golfkrieg wurden zu den attraktivsten TV-Sendezeiten in den USA gestartet", schreibt der Marburger Politikwissenschaftler Jörg Becker in seinem Aufsatz "Medien im Krieg". Im Gegenzug dafür, dass CNN-Reporter Peter Arnett in Bagdad bleiben durfte, nutzte Diktator Sadam Hussein den Sender für eigene Propaganda wie Berichte aus zerbombten Wohngebieten und Krankenhäusern, aber auch für direkte Ansprachen an Präsident Bush sen.


Und so scheint die einzig nachprüfbare im Wahrheit im Krieg die zu sein, dass alle Informationen einer Zensur unterliegen und daher nicht unbedingt mit Gewähr auf Richtigkeit übermittelt werden. Auch wenn Franz Josef Jung das Wort Krieg im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr stets vermied, so drängt sich doch der Eindruck auf, dass auch hier die Öffentlichkeit längst nicht alles erfährt. -Den möglichen Grund dafür erkannte während des 1. Weltkriegs der englische Premierminister Lloyd George: "Wenn die Menschen wirklich alles wüßten, wäre der Krieg morgen vorbei." Solche Erfahrungen haben die USA gemacht. Der Rückzug des US-Armee aus Vietnam 1973 hing auch mit den massiven Protesten im eigenen Land zusammen. Und die wiederum wurden vor allem ausgelöst durch Medienberichte und Bilder von Opfern des Krieges.