Die Last der rumänischen Vergangenheit

Die Last der rumänischen Vergangenheit
Der Literaturnobelpreis für die rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller, die aus einem Dorf im Banat stammt, hat bei der deutschen Minderheit in Rumänien zunächst Freude ausgelöst. Pfarrer und Minderheitenvertreter äußerten sich sehr positiv zu dieser als internationale Aufwertung der eigenen Volksgruppe empfundenen Auszeichnung. Müllers Beschäftigung mit dem Kommunismus und der Verfolgung durch die Securitate wurde über Jahre mit Genugtuung wahrgenommen.
09.11.2009
Von Jürgen Henkel

Nun hat sich die zierliche, aber wortscharfe Autorin mit einer Kritik an der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien an die deutsche Öffentlichkeit gewagt, mit der sie an ein bisheriges Tabu rührt: das Verhältnis der Evangelischen Kirche in Rumänien zum kommunistischen Staat und zum Geheimdienst Securitate bis 1989.

[linkbox:nid=5985,5964,4238,4163;title=Mehr zum Thema]

Ihr Vorwurf: die Kirchenleitung habe in einem Telefonat 1989 aus Ergebenheit gegenüber dem Staat ihre Ausladung vom Evangelischen Kirchentag in Deutschland erwirkt. Pikanterweise stützt sich der Vorwurf auf einen Telefonmitschnitt des ihr so verhassten Geheimdienstes Securitate, dessen bizarre Methoden Müller bisher so vehement kritisiert, gleichzeitig aber in diesem Falle selbst nutzt.

Zurückhaltende Äußerungen

Die Vergangenheitsbewältigung ist für die Siebenbürger Sachsen ein heißes Eisen: Ausgewanderte wie in Rumänien Verbliebene äußern sich zurückhaltend zu der Frage, inwieweit die eigene Volksgruppe im 20. Jahrhundert auch historische Schuld auf sich geladen hat. Denn zum Blick auf die Vergangenheit zählt auch die Frage nach der erkennbaren Begeisterung für das NS-Regime von 1933 bis 1944.

Das völkische Gedankengut der Nazis stieß bei der deutschen Minderheit in Rumänien auf offene Zustimmung. Sowohl die erste, als auch die größte SS-Auslandsrekrutierung fand bei den deutschen Gruppen in Rumänien statt. In der Evangelischen Kirchen wehrte sich Bischof Victor Glondys zunächst gegen die Nazis. So wurde er 1941 abgesetzt und durch den NS-freundlichen Bischof Wilhelm Staedel ersetzt, der 1944 abdanken musste.

Der junge rumänische Historiker Paul Milata untersucht in seinem Buch „Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu. Rumäniendeutsche in der Waffen-SS“ (Böhlau-Verlag 2007) genau diese Zusammenhänge zwischen der NS-Sympathie und der Implikation der Rumäniendeutschen in der Waffen-SS. Wie schwer sich die Siebenbürger Sachsen bis heute mit dem kritischen Blick auf diese Epoche tun, wird auch daran deutlich, dass eine Autorenlesung in Kronstadt abgesagt wurde. So wurde das Buch in Rumänien erstmals 2008 in der Evangelischen Akademie Siebenbürgen in Hermannstadt vorgestellt.

Erkennbare Nähe zum NS-Regime

Die Tendenz der siebenbürgisch-sächsischen Geschichtsschreibung geht dahin, die Nähe zum Nazi-Regime als Reaktion auf rumänischen Nationalismus zu interpretieren. Damit und unter Verweis auf die Deportation von Rumäniendeutschen nach Sibirien nach Kriegsende schafften es manche Historiker und Minderheitenfunktionäre, sich und der eigenen Volksgruppe eine Opferrolle zuzuschreiben.

Ausschließlich als Opfer sehen sich die Siebenbürger Sachsen und ihre Kirche auch nach 1945 im Kommunismus. Was die allgemeine politische Großwetterlage im Lande betrifft, ist das sicher zutreffend. Doch eine offene Beschäftigung mit Licht und Schatten der Vergangenheit steckt auch hier noch in den Anfängen.

Trotz aller Diskriminierung der Kirchen war die Evangelische Kirche wie die Orthodoxe Kirche staatlich als Körperschaft anerkannt, anders als etwa die Katholiken. Sie konnte ihr geistliches Leben zwar nicht frei, aber innerhalb der Kirchenmauern doch weitgehend ungehindert entfalten: auf Deutsch, mit eigenem Schrifttum, Gesangbüchern und auch einem eigenen deutschsprachigen Theologischen Institut in Hermannstadt. Die alltäglichen Schikanen bis hin zur Enteignung von Kirchengut betrafen die Siebenbürger Sachsen und die anderen Rumäniendeutschen wie alle Staatsbürger und Kirchen. Aktenstudien bei der rumänischen Gauck-Behörde CNSAS zeigen, dass sich die Securitate für die Evangelische Kirche der deutschen Minderheit wohl verhältnismäßig wenig interessierte.

Mäßiges Interesse der Securitate

Dass der Geheimdienst jedoch auch die Evangelische Kirche zu unterwandern versuchte, wenn auch offenbar mit nur mäßigem Erfolg, gilt als offenes Geheimnis, wird aber bisher nicht offen thematisiert oder gar erforscht. Und auch die Bischöfe der Evangelischen Kirche schrieben nach den Regeln des politischen Rituals pflichtgemäß ihre Glückwunsch- und Ergebenheitstelegramme an die Staats- und Parteiführung, nicht nur der orthodoxe Patriarch, wobei diese Telegramme meist vom Staatssekretariat für Kultusangelegenheiten angeordnet oder sogar verfasst waren, das die Arbeit der Kirchen und Kulte zu überwachen hatte.

Die Evangelische Kirche hält sich bisher mit Vergangenheitsbewältigung zurück: sie pflegt im deutschsprachigen Raum ihren Nimbus als verfolgte Brückenkirche zwischen Ost und West und profitiert vom besonders kritischen Blick des Westens vor allem auf die orthodoxe Mehrheitskirche und ihre Rolle im Kommunismus.

Einen misslungenen Versuch zur Vergangenheitsbewältigung bietet die Broschüre „Kirche unter kommunistischer Diktatur“ einer mit dem Thema offenbar überforderten Hermannstädter Doktorandin aus dem Jahr 2005 („Kirche unter kommunistischer Diktatur“, 44 S.). Dort wird das systemkonforme Verhalten der Kirchenleitungen grundsätzlich als alternativlos beschrieben, denn „gegen das sich mit Gewalt durchsetzende kommunistische Regime aufzubegehren, war letztlich keine Alternative“, heißt es da. Außerdem wird zwischen Staat und Kirche eine „Gemeinsamkeit im Dienst an dem gleichen Volk“ festgehalten. In der Tat nahmen die Kirchen in Rumänien keine solche Oppositionshaltung ein wie etwa die Katholische Kirche in Polen.

Die Opferrolle kann und will der deutschen Minderheit und ihrer Kirche in Rumänien niemand bestreiten. Eine Beschäftigung mit Nationalismus und Kollaborateuren in den eigenen Reihen würde jedoch bestehende Geschichtsbilder vervollständigen und der historischen Objektivität dienen. Die Zeit dafür ist reif. Vielleicht hat Herta Müller auch hier einen Stein ins Rollen gebracht.
 


Über den Autor:

Jürgen Henkel, geboren 1970 in Bad Windsheim, ist Pfarrer, Journalist und Publizist. 1990-1997 Studium, 1998-2001 Promotionsstudium in Erlangen und Sibiu/Hermannstadt (Rumänien). 2003-2008 Akademieleiter der Ev. Akademie Siebenbürgen (EAS) in Sibiu, seit 2007 Lehrauftrag an der Orthodoxen Fakultät Sibiu für "Ökumenische Sozialethik". 2002 Förderpreis der Südosteuropa-Gesellschaft für besondere Leistungen im Bereich der Südosteuropa-Forschungen; Mitglied u.a. der Südosteuropa-Gesellschaft, Europa-Union, im Ev. Freundeskreis Siebenbürgen/EAS, im Ev. Arbeitskreis der CSU/EAK. Seit 2008 Gemeindepfarrer in Erkersreuth.