Startbahn West: "Wer nicht kämpft, hat schon verloren"

Startbahn West: "Wer nicht kämpft, hat schon verloren"
Die Bürgerbewegung gegen den Bau der Startbahn West am Flughafen Frankfurt am Main gilt als eine der größten sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik. Bürger aus allen Gesellschaftsschichten engagierten sich gemeinsam gegen Fluglärm und für Umweltschutz – konnten den Bau jedoch letztlich nicht verhindern. Gescheitert ist die Bewegung, die vor genau 45 Jahren ihren Anfang nahm, aus Sicht vieler Beteiligter dennoch nicht.

Am Anfang der Anti-Startbahn-Bewegung war ein Brief. Als zu Beginn der 60er Jahre Gerüchte über einen Ausbau des Frankfurter Flughafens kursierten, schrieb der erst 36 Jahre alte Pfarrer Kurt Oeser am 9. November 1964 an den damaligen hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn (SPD). Die Lebensqualität von Menschen dürfe nicht wirtschaftlichen Interessen geopfert werden, machte Oeser schon damals die Auffassung klar, die auch in den späteren Auseinandersetzungen von den Startbahn-Gegnern vertreten wurde.

Ministerpräsident Zinn hingegen teilte Oesers Ansichten nur bedingt. In einem Antwortschreiben verwies er auf die "ungeheure Bedeutung" des Flughafens für die gesamte Bundesrepublik und "das größere Ganze", dem er sich verpflichtet fühle. Dieser Linie blieb auch Zinns Nachfolger, Holger Börner (SPD), treu. Im April 1965 gründete Oeser, Pfarrer im Örtchen Mörfelden nahe dem Flughafen, die "Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms".

Erste "Waldbegehung im Herbst 1979"

Dirk Treber sitzt an einem Holztisch in der Gartenhütte seines Wohnhauses in Mörfelden. Auf der Fensterbank steht ein Glas mit Korken von den Bio-Weinen, die er neben seinem Beruf als Kommunikationsberater verkauft. "Mein Elternhaus stand schräg gegenüber des Pfarrhauses", erinnert sich der 57-Jährige. Als Oeser im Konfirmandenunterricht gefragt habe, wer bereit sei, Flugblätter gegen den Ausbau zu verteilen, habe Treber sich gemeldet. Einige Jahre sei das Thema Flughafen dann aber wieder "vom Radar" verschwunden, bis sich Ende der 70er Jahre nach mehreren Gerichtsentscheidungen der Bau der Stadtbahn West angekündigt habe. Treber wurde aktiv – und mit ihm viele andere.

"Im Herbst 1979 fand die erste Waldbegehung statt", berichtet er. Etwa 200 Bürger seien an die Stelle gefahren, wo der Ausbau der bestehenden Landebahn – die Vorstufe zur Startbahn West – beginnen sollte. Schnell habe sich eine Allianz der "Grauhaarigen und Langhaarigen" gegen den Startbahn-Bau gebildet. Dass sich so viele Menschen in den Orten Mörfelden und Waldorf am Protest beteiligten, hat aus Trebers Sicht auch historische Gründe. "In Mörfelden waren schon in den 20er Jahren die Kommunisten sehr stark, weshalb der Ort auch 'Klein-Moskau' genannt wird", sagt er. Zudem gehörten beide Orte zu den Ausläufern des Ried, der Heimat des Revolutionärs Georg Büchner. "Dem fühlten sich hier viele Menschen verbunden und haben seine Literatur gelesen. Nicht umsonst haben wir später viele Flugblätter der Bürgerinitiative mit 'Georg Büchner' unterzeichnet", sagt Treber. "Viele Leute hier hatten damals das Gefühl, dass ihnen mit dem Wald ein Stück Heimat genommen werden soll. Und natürlich ging es auch um das Thema Fluglärm."

Brecht und Rudi Hechler

Rudi Hechler steht in seinem Gartenhaus in Mörfelden. Überall stehen Kartons mit Aktenordnern, dazwischen finden sich getöpferte Frauenfiguren. An den Wänden hängen Radierungen von Karl Marx und Zitate von Bertolt Brecht: "Traurig das Land, das Helden nötig hat." Zu Beginn der Startbahnbewegung war der 75-Jährige weder grau- noch wirklich langhaarig. Aber auch Hechler zählte zu den Ersten, die sich engagierten. Schon in den 60er Jahren verwies er darauf, dass für den Bau der Startbahn West über 200 Hektar Wald gerodet werden müssten. "Das Engagement liegt mir im Blut", sagt er. "Mein Vater war als Kommunist während der NS-Zeit im Konzentrationslager. Ich selbst bin nach dem Krieg erst in die KPD, und nachdem diese verboten war in die DKP eingetreten."

 

Auch Hechler berichtet von einer breiten Allianz, von der die Anti-Startbahn-Bewegung getragen worden sei. "Es gab Unternehmer, Angestellte, Hausfrauen und Studenten", erinnert er sich. Für ihn selbst spielte vor allem das Thema Frieden eine wichtige Rolle. "Die Startbahn West wurde ja auch so geplant, dass von dort aus große Maschinen der am Flughafen stationierten US-Airbase starten konnten", sagt er. Und Dirk Treber berichtet, noch zu Beginn 90er Jahren seien US-Transportflieger von Frankfurt aus zu ihren Einsätzen im ersten Irakkrieg geflogen.

Dass die Anti-Startbahn-Bewegung von einer breiten Allianz getragen wurde, beweist auch die wohl außerordentliche Parteien-Aktionsgemeinschaft, die sich im Oktober 1980 in Mörfelden gründete. SPD, CDU, FDP und DKP kämpften gemeinsam gegen die Startbahn und stellten sich damit in Opposition zu den eigenen Parteien, die den Ausbau im Landtag befürworteten. Die Mörfeldener Fraktionsvorsitzenden traten sogar in einen gemeinsamen Hungerstreik ein. Vor dem Rathaus wurde ein Transparent mit einer Zeichnung aufgestellt, auf der ein in einer Dampfwalze sitzender Ministerpräsident Holger Börner (SPD) Bäume umfährt. Als auch die Teilnahme des Hamsters "Gottfried" an dem Hungerstreik verkündet wurde, führte dies zu einem Einsatz der Polizei wegen Tierquälerei. "Das Tier war aber kugelrund und wurde von den Kindern, die das Rathaus besucht haben verwöhnt", sagt Hechler lachend.

Gewaltig, aber gewaltfrei

Überhaupt sei die Anti-Startbahnbewegung zumindest in den Anfangsjahren von großer Kreativität gekennzeichnet gewesen. "Gewaltfrei, aber gewaltig, war unser Motto", sagt Hechler. Und er muss lachen, als er sich an verschiedene Protestaktionen erinnert, die er geplant hatte. Als die Medien Ministerpräsident Börner mit der Aussage zitierten, er würde gegen die Startbahn-Demonstranten mit einer Dachlatte ins Feld ziehen, bestellte Hechler bei einem Schreiner mehrere Dachlatten, beschriftete sie mit Anti-Startbahn-Parolen und verteilte sie bei der nächsten Demonstration.

Ein anderes Mal wollten die Startbahngegner aus Protest gegen Kerosinverschmutzungen der US-Airbase einen Kanister Öl im Wald ausgießen. Zu der angekündigten Aktion rückte die Staatsanwaltschaft an und kündigte ein Strafverfahren an, nachdem Hechler den Kanister tatsächlich entleerte. "Wir hatten aber nachts an der Stelle eine Folie im Erdreich vergraben und haben die verseuchte Erde kurzerhand zusammengepackt und entsorgt. Da hat die Polizei natürlich gestaunt." Einmal malte Rudi Hechler eine Anti-Startbahn-Parole an eine Hauswand und schreibt seine Adresse und Telefonnummer direkt dazu. "Die Rechnung über 392,60 Mark habe ich gern gezahlt, Plakate oder Flugzettel zu drucken kostete schließlich auch Geld und hat nicht immer so viel Aufmerksamkeit gebracht."

Bau des Hüttendorfes

Einen ersten Höhepunkt erreichte der Protest gegen die Startbahn mit dem Bau einer Hütte im Wald, welcher der Startbahn weichen sollte, am 3. Mai 1980. "Die Aktion war von langer Hand vorbereitet, weil wir eine breite Unterstützung bei den Bürgern erreichen wollten", erinnert sich Dirk Treber. Allen sei klar gewesen, dass die Hütte im Wald der Stadt Flörsheim illegal gewesen sei. "Aber wir wollten ein Zeichen setzen, dass der Ort, an dem die Startbahn entstehen sollte, den Bürgern gehört." Aus der ersten Hütte wurde schnell ein ganzes Hüttendorf. Viele Umlandgemeinden errichteten eigene Hütten, aber auch Studenten aus Darmstadt oder die Jusos und die Junge Union aus Mörfelden und Waldorf waren vertreten.

In einer eigenen Hüttenbibliothek wurde eine Schreibwerkstatt eingerichtet, in der unter anderem Horst Karasek, der Bruder des Autors und Journalisten Helmuth Karasek, sowie der Schriftsteller Peter Härtling eigene Werke verfassten. Auch viele Bürger brachten Bücher heraus oder verfassten eigene Gedichte. Nach der Frankfurter Buchmesse im Oktober 1981 seien von dort sehr viele Bücher für die Bibliothek gespendet worden, erinnert sich Treber.

Jeden Mittwoch nach der Arbeit fuhr er in das Hüttendorf und übernachtete in einem Schlafsack in einer der Hütten. "Am nächsten Morgen bin ich dann raus, habe daheim geduscht und bin wieder zur Arbeit gefahren." Mehrere Bürgerinitiativen sorgen dafür, dass an jedem Wochentag Menschen im Wald präsent sind. Es gibt Diskussionsveranstaltungen und Musikaufführungen. Auch mit selbstgedichteten Liedern machen sich die Waldbewohner gegenseitig Mut: "Der Lärm der Düsenriesen, der stört uns Tag und Nacht. Damit es nicht noch mehr wird, drum halten wir hier Wacht", heißt es etwa in einem Text aus der Liedersammlung der Bürgerinitiative. Versorgt werden die Aktivisten von der Waldorfer "Küchenbrigade", die überwiegend aus Hausfrauen besteht und dafür sorgt, dass der Protest im Wald überhaupt durchgehalten werden kann.

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Die Hüttenkirche

Teil des Hüttendorfs ist auch eine Hüttenkirche der Gemeinden Waldorf und Mörfelden. Kurt Oeser, der inzwischen zum Umweltpfarrer der Evangelischen Kirche in Deutschland ernannt worden war, hält dort mehrere Gottesdienste; aber auch die Gemeindepfarrer der umliegenden Orte feiern Gottesdienste mit den Hüttendorf-Bewohnern. Sogar Hochzeiten und Taufen finden statt. Träger des Protestes seien aber die Gemeinden selbst gewesen, erinnerte sich der 2007 verstorbene Mörfelder Gemeindepfarrer Walter Bohris in einem Interview für das Buch "Der Startbahn-West-Konflikt" von Hartmut Johnsen.

Als "moderate Leute" hätten die Pfarrer auf den ganzen Prozess moderierend gewirkt. "Starke Sprüche" hingegen seien weder seine noch die Sache Kurt Oesers gewesen, sagt Bohris in dem Interview. Der 2008 verstorbene Oeser selbst äußert in dem Buch, am liebsten seien ihm die Gottesdienste im Wald gewesen, zu denen auch Polizeibeamte gekommen seien. "Und so ist wenigstens an einer Stelle deutlich geworden, dass es bei allem Streit in der Sache Möglichkeiten des menschlichen Brückenschlags gibt."

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Kritik aus der Kirche

In der Evangelischen Kirche von Hessen-Nassau wird das Engagement der Gemeindepfarrer vor Ort durchaus kritisch beurteilt. Die Kirchenleitung in Darmstadt fühlt sich bei einigen Aktionen in ihrer Kompetenz übergangen, zudem sieht sie den Bau der de facto illegalen Hüttenkirche skeptisch. Die Synode von 1980 spricht sich nicht wie von einigen Synodalen gefordert klar gegen die Startbahn West aus, sondern nimmt eine eher vermittelnde Position ein. Unter anderem fordert sie in einer Resolution, die "tiefe Betroffenheit der Menschen ernst zu nehmen" und alle Gutachten und Untersuchungen zum Bau der Startbahn West der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im März 1981 verweist der damalige Kirchenpräsident Hild darauf, dass auch die Kirche und die Gemeinden verpflichtet seien, "sich an die rechtsstaatliche Rechtsordnung zu halten".

Dass sich die Kirchenleitung nicht klar gegen die Startbahn positionierte, sorgte bei den Gemeindemitgliedern in Mörfelden und Waldorf für Enttäuschung. "Wir hätten uns schon gewünscht, dass die Synode eindeutige Beschlüsse fasst", äußerte sich Pfarrer Bohris verärgert. Der ehemalige Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche von Hessen-Nassau, Helmut Spengler, der 1981 ebenfalls an einem Gottesdienst in der Hüttenkirche teilnahm, hält dem entgegen: "Kirche ist keine Institution, die zugunsten bestimmter politischer Forderungen mit religiöser Begründung operieren darf."

Gewaltsame Auseinandersetzungen

Vor allem im Jahr 1981 nehmen gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Startbahn-Gegnern und Polizei zu. Im Mai wird der hessische Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry in seinem Wohnhaus in Frankfurt erschossen. Bis heute ist nicht geklärt, ob für den Mord an Karry – neben Ministerpräsident Holger Börner der Hauptgegner der Anti-Startbahn-Bewegung - Flughafengegner verantwortlich sind. Im Wald am Flughafen kommt es im Laufe des Jahres immer wieder zu kleineren Scharmützeln zwischen Polizei und Demonstranten. "Die Bewegung hat sich mit der Zeit verändert, die Wut ist gewachsen. Sicher wurden da auch Steine geworfen", gibt Rudi Hechler zu.


Hintergrund sei auch, dass die Bewegung im Laufe der Zeit unübersichtlicher geworden sei. "Es waren ja nicht mehr nur Einheimische, sondern Menschen aus der ganzen Republik aktiv. Darunter waren auch einige Chaoten, und Sie haben dann auch keine Chance mehr, das Ganze komplett zu steuern." Wie Dirk Treber sieht Hechler auch die Landesregierung in der Verantwortung. "Die Polizei musste ja den Kopf für das hinhalten, was die Politiker entschieden hatten. Die wurden aber regelrecht aufgehetzt. Auffällig ist auch, dass vor allem Polizisten, die eben nicht hier aus der Region kamen, besonders hart gegen Demonstranten vorgegangen sind."

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Robert Philippi, damals Leiter eines Sondereinsatzkommandos, äußert in dem Buch "Der Startbahn-West-Konflikt", es sei vorgekommen, dass Beamte überreagiert hätten und auch der "ein oder andere, der wirklich nur brav da war", etwas "abbekommen" habe. Dies sei allerdings auch Ausdruck der Hilflosigkeit, weil in der Eskalation alle normalen Mittel, zum Beispiel das Gespräch, versagten. "Wir hatten es zuletzt wirklich mit hochpotenziellen Gewalttätern zu tun."

Der "Blut-Sonntag"

Schlimm ist den Startbahngegnern vor allem der 11. Oktober 1981 in Erinnerung, der noch heute als "Blut-Sonntag" bezeichnet wird. 15.000 Menschen nehmen an diesem Tag an einer Demonstration mit anschließendem Gottesdienst teil, der von der Polizei gestört wird, offenbar nachdem einige Demonstranten versucht hatten, das Fundament einer Absperrmauer zu untergraben. Mit Wasserwerfern habe die Polizei "geholfen, die Bibel umzublättern", heißt es später. Mehrere Demonstranten, aber auch Polizisten, werden an diesem Tag bei Kämpfen zum Teil schwer verletzt. "An dem Tag ist das Vertrauen, das viele Bürger noch in den Rechtsstaat hatten, für lange Jahre kaputtgehauen worden. Es gab keinen Grund, so massiv gegen Besucher eines Gottesdienstes vorzugehen", sagt Dirk Treber. Auch dass am Flughafen bereits mit Rodungen begonnen worden sei, bevor letzte Gerichtsentscheidungen gefällt worden seien, habe zur Eskalation beigetragen.

Am 2. November 1981 räumt die Polizei das Hüttendorf. Hier kommt es ebenfalls zu Ausschreitungen, bei denen mehrere Demonstranten und Polizisten verletzt werden. "Die Menschen wurden aus den Hütten gezerrt und geprügelt", sagt Dirk Treber. Anschließend seien die Hütten "plattgemacht" worden, einzig die Hüttenkirche sei fachgemäß abgebaut und zunächst eingelagert worden. 1983 und 1985 wurde sie dann auf den Kirchentagen in Hannover und Düsseldorf aufgebaut. "Die war jedes Mal ein echter Zuschauermagnet", sagt Treber. Seit 1986 steht die Hüttenkirche nun zwischen Waldorf und Mörfelden und erinnert damit noch heute an den Protest von einst.

Willy Brandt sorgt für "Staatsräson"

Nach der Räumung des Hüttendorfs machten sich am 7. November 1981 30.000 Menschen in den Wald auf. Weil einige Demonstranten zum Beweis ihrer Gewaltfreiheit trotz niedriger Temperaturen nur leicht bekleidet in den Wald gingen, ist dieser Tag heute noch als "Nackten-Samstag" in Erinnerung. Die Demonstranten wollten erreichen, dass die Bauarbeiten ausgesetzt werden, bis die nötigen Unterschriften für ein Volksbegehren gegen die Startbahn eingereicht sind. "Der damalige Innenminister Ekkehard Gries (FDP) hat auch zu erkennen gegeben, dass er sich für einen Aufschub einsetzt", sagte Dirk Treber, dessen Frau damals mit Gries verhandelte. In der nächsten Woche war das Thema Aufschub jedoch vom Tisch. "Zu einer Sitzung der SPD-Landtagsfraktion war extra Willy Brandt angereist, um den Abgeordneten klarzumachen, dass die Staatsräson Vorrang haben müsse."

Die Unterschriften für das Volksbegehren wurden am 14. November übergeben. Die Übergabe ist gleichzeitig die größte Anti-Startbahn-Demonstration überhaupt: 150.000 Menschen versammeln sich in Wiesbaden. Nach einer Flughafenblockade am folgenden Tag, ebbt der Protest langsam ab. Im Januar 1982 erklärt der Hessische Staatsgerichtshof in Wiesbaden ein Volksbegehren gegen den Startbahnausbau für unzulässig: Der Bau gehe auf Bundesrecht zurück, das Vorrang vor hessischem Landesrecht habe, lautet die Begründung.

Die Startbahn West wurde zügig gebaut. Am 12. April 1984 hob um 9.25 Uhr als erste Maschine der Lufthansa-Airbus 'Lüneburg' Richtung Paris von der Startbahn West ab. Heute werden etwa 60 Prozent aller Starts über die Startbahn West abgewickelt, die Zahl der Flugbewegungen hat sich von 1984 bis 2008 von 227.000 auf 486.000 erhöht. "Gleichzeitig hat sich die Zahl der Arbeitsplätze von rund 34.000 auf etwa 70.000 verdoppelt", sagt Flughafensprecher Wolfgang Schwalm und untermauert damit das Hauptargument der einstigen Startbahn-Befürworter, welche die wirtschaftliche Bedeutung des Flughafens betont hatten.

Schüsse im November

Das endgültige Ende fand die Startbahn-West-Bewegung am 2. November 1987. Bis zu diesem Jahr waren jedes Jahr Menschen in den Wald an der Startbahn gekommen, um an die Räumung des Hüttendorfs zu erinnern. Doch 1987 erschießt ein Demonstrant zwei Polizisten. "Das hatte nichts mehr mit dem zu tun, was wir einst begonnen haben", sagt Dirk Treber traurig. In den kommenden Jahren geht am 2. November niemand mehr in den Wald.

Trotz des letztendlichen Scheiterns der Startbahn-Gegner wertet Treber den Protest aber als Erfolg: "Wir haben in Hessen dazu beigetragen, dass sich in Deutschland mehr Sensibilität für das Thema Umwelt entwickelt hat. Wegen uns ist am Atomkraftwerk Biblis kein Block C gebaut worden, und wegen uns hat es keine Atomwiederaufbereitungsanlage in Diemelstadt gegeben." Die Startbahn-Bewegung ist wohl auch mitverantwortlich dafür, dass die Grünen 1981 in viele Kommunalparlamente in Südhessen einziehen und es 1982 auch in den Landtag schaffen. In der ersten Landtagsfraktion saß damals auch Dirk Treber. Nach zweieinhalb Jahren scheidet er wegen des damals praktizierten Rotationsprinzips aus dem Parlament aus, arbeitet aber unter anderem Joschka Fischer weiterhin als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fraktion zu.

"Wer nicht kämpft, hat schon verloren"

Was den Erfolg der Anti-Startbahn-Bewegung angeht, ist Rudi Hechler skeptischer als Treber. "Nur: Wer nicht kämpft, hat schon verloren", sagt er, fährt sich mit der Hand durch die inzwischen grauen Haare und seufzt. "Ich kann mir heute noch in die Augen gucken, bin weiterhin aktiv und froh, dass wir in unserer Gemeinde insgesamt ein linksliberales Klima haben. Das ist mir wichtig", sagt er. Währenddessen donnert ein Flugzeug über sein Gartenhaus.

So wie Treber ist Hechler noch heute in Sachen Flughafen aktiv. Nur, dass es aktuell nicht mehr die Startbahn West, sondern die geplante Nordwest-Landebahn ist, die beide kritisieren. "Die alten Kämpfer von damals sind wieder dabei. Nur auf Bäume klettern wird nicht mehr, das müssen andere für uns tun", sagt Treber.

Die Bilder im Artikel stammen aus dem Buch "...und nichts wird vergessen!" mit freundlicher Genehmigung von Rudi Hechler.


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de.