Liz Mohn, Bertelsmann und die Religion

Liz Mohn, Bertelsmann und die Religion
Nach dem Tod Reinhard Mohns übernimmt seine Witwe Liz die Führungsrolle bei Bertelsmann. Wie ihr Mann beruft sie sich auf christliche Werte.
16.10.2009
Von Thomas Schuler

Als Liz Mohn noch Elisabeth Beckmann hieß, damals, in ihrer Kindheit und Jugend, war sie Pfadfinderin. Mit sechs Jahren wurde sie "Wichtel", später Gruppenleiterin. Als sie später eine Pfadfindergruppe für ihre Kinder suchte, war sie enttäuscht. In Folge der 68er-Bewegung seien Pfadfinder "in die konservative Ecke gestellt" worden, wie sie es formulierte, und sie fand keine Gruppe.


Liz Mohn wurde als viertes von fünf Kindern einer Hutmacherin und eines Handwerkers 1941 geboren. Sie sei katholisch erzogen, schrieb sie in ihren Erinnerungen "Liebe öffnet Herzen". Sie habe das Kirchenblatt "Dom" in ihrer 8.000-Seelen-Gemeinde in Wiedenbrück bei Gütersloh ausgetragen und regelmäßig, auch in bitterer Kälte, frühmorgens die Kirche besucht. Diese Zeit habe sie geprägt. Bis heute, schrieb sie 2001, folge sie dem Pfadfindermotto "Jeden Tag eine gute Tat." Dann halte sie Ausschau, wem sie ein Lächeln schenken könne.


Vielleicht kann sie die Bundeskanzlerin anlächeln, die als gute Bekannte gilt und die sie schon zu Oppositionszeiten unterstützte. Vielleicht eine Königin. Oder einen Präsidenten, Unternehmer oder Staatsmann. Oder einen der Mitarbeiter oder Menschen, mit denen sie über ihr Unternehmen oder ihre Stiftung bisweilen zusammen kommt. So empfindet sie es, zumindest schreibt sie es so. Am Ende ihres Buches formuliert sie ihre 13 Gebote, "Schlußthesen" genannt. Es geht um "Dialogfähigkeit" und "Menschlichkeit", die von Liz und ihrem Mann Reinhard als Grundpfeiler ihrer Unternehmensphilosophie genannt werden. Punkt vier lautet: "Religion: Sie gibt Halt, Rat und Hilfe in guten und in schweren Zeiten und ist für viele Menschen notwendig."

Die Bedeutung der Religion


Ihre Botschaft: "Man kann von materiellen Dingen keine Sinngebung erwarten. Ein Auto oder ein schönes Haus, Erfolge im Beruf ersetzen keine liebevolle Umarmung." Oder: "Ich bin sehr froh, dass ich den Blick für die kleinen Dinge des Lebens behalten habe und mich daran erfreuen kann. An einer schönen Blume, einem Sonnenuntergang am Meer, dem Anblick riesiger Berge, dem Lächeln eines Menschen..."

Macht? Das sei für sie ein negatives Wort, das sie nicht gerne hört, hat sie einmal gesagt. Liz Mohn pflegt stattdessen von Verantwortung und Unternehmenskultur zu sprechen – so hat sie es von ihrem Mann Reinhard, ihrem Lehrmeister, übernommen. Die 13 Thesen könnten fast wortgleich von ihm stammen, denn so oder so ähnlich hat er Vieles in seinen vier Büchern formuliert. Man könnte das die Religion der Mohns nennen.


Nach dem Tod ihres Mannes, der am 3. Oktober im Alter von 88 Jahren starb, erbt Liz nun eine Machtfülle in Europas größtem Medienkonzern, die überraschend und beängstigend ist. Überraschend, weil Reinhard früher die Kontrolle seiner Familie und seiner Manager sehr am Herzen lag und er jahrelang an einem System arbeitete, das allzu viel Macht eines Einzelnen ausschließen sollte. Früher dozierte er, dass die Herrschaft der Familie in Unternehmen ein Auslaufmodell sei, oder zumindest durch die Börse oder Manager ausbalanciert werden muß.

Liz Mohn mit Veto-Recht


Nun hat er in seinem Testament offenbar das Gegenteil seiner hehren Gedanken und Ansprüche verfügt und seiner zweiten Frau sein Veto in allen Entscheidungen vererbt. Die 68jährige Liz soll bis zu ihrem 75. Lebensjahr an der Spitze des Machtzentrums, der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft (BVG) stehen und dann ihren Nachfolger bestimmen. In Frage kommen zwei ihrer drei Kinder: Brigitte und Christoph, die beide schon heute in den maßgeblichen Gremien sitzen. Die BVG bündelt alle Stimmen der Eigentümer (76,9 Prozent Stiftung; 23,1 Familie Mohn). Diese Regelung ist überraschend. Seit Jahren und bis zuletzt hatte es geheißen, Liz werde mit 70 Jahren aus der BVG ausscheiden, außerdem sterbe das Veto mit Reinhard. Im Unternehmen heißt es, Reinhard Mohns Entscheidung sorge für Kontinuität. Das ist insofern richtig, als er den Wandel als Kontinuität sah.


Am heutigen Freitag wird man bei Bertelsmann in Gütersloh noch einmal in tiefer Trauer Reinhard Mohn gedenken. Beigesetzt wurde er am Mittwoch vergangener Woche "im ganz kleinen Kreis", wie es bei Bertelsmann heißt. Ein Sicherheitsdienst schirmte die Trauergemeinde ab. Neben seiner zweiten Frau Liz, den Kindern und Angehörigen waren Vertreter seiner Stiftung und des Unternehmens dabei. Seine erste Frau Magdalene, mit der er 33 Jahre verheiratet war und drei der sechs Kinder hat, war dagegen nicht erwünscht.

1.000 Trauergäste


Heute sind rund 1.000 Gäste in die Stadthalle geladen, dorthin, wo der Patriarch des Unternehmens in den vergangenen Jahren seine letzten öffentlichen Auftritte hatte. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Minister hielten damals dort gerne Festansprachen, stellten Mohns Bücher vor und verliehen in seinem Sinne Lob, Tadel und Preise. Nun werden Regierungspolitiker Leben und Werk würdigen.


Am Sonntag dann wird RTL, ebenfalls ein Bertelsmann-Sender, einen rund einstündigen Film mit Spiel-, Dokumentar- und Interviewszenen zeigen, in dem der Schauspieler Sebastian Koch ("Das Leben der anderen"; "Die Manns") Mohn darstellt. Der Film wurde von Bertelsmann produziert und Mohn zum 85. Geburtstag geschenkt. Er erzählt, wie Mohn aus dem kleinen Verlag einen Weltkonzern mit heute mehr als 16 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 100.000 Mitarbeitern machte. Zum Unternehmen gehören die Senderfamilie RTL, das Zeitschriftenhaus Gruner+Jahr, die Buchverlage von Random House, die Druck- und Dienstleistungssparte Arvato und das Buchclubgeschäft.

Die 1977 gegründete Bertelsmann-Stiftung gilt als die einflussreichste ihrer Art in Deutschland, ein neoliberaler Reformmotor in Politik, Kultur und Gesellschaft, der einflussreiche Kontakte in Regierungen und Unternehmen hält. Kritische Dinge, etwa die Legende vom Widerstandsverlag im Dritten Reich oder Schwieriges aus dem Privatleben sind in dem Film freilich ausgespart. Als Kritik laut wurde, der Film beschönige Vieles und spare Entscheidendes aus, etwa die Ehe mit Mohns erster Frau Magdalene, reagierten Vertreter von Bertelsmann mit dem Hinweis, der Film sei schließlich ein Geburtstagsgeschenk und er sei nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. In Wahrheit sind Geburtstagsgeschenke an Mohn stets Geschenke an die Öffentlichkeit gewesen, die die Geschichte des Unternehmens auf unangreifbare Art vermitteln sollten. Der Film ist ein Geschenk, das Mohn sich selbst machte, schließlich hatte er selbst bestimmt, welche Szenen verfilmt werden sollen.

Gesangsbücher und Bibeln


Reinhards Ururgroßvater Carl Bertelsmann hat 1824 eine Druckerei und elf Jahre später einen Verlag gegründet, der Gesangsbücher, Bibeln und Missionsschriften verlegte. Religion und Glaube waren stets Geschäftsgrundlage bei Bertelsmann. Reinhards Vorväter haben das kirchliche Leben in Gütersloh geprägt. Carl Bertelsmann hat das Evangelisch-Stiftische Gymnasium gegründet. Reinhards Urgroßvater Johannes Mohn spielte im Posaunenchor des Gymnasiums und wollte eigentlich Pastor werden. Doch ein chronisches Halsleiden verhinderte, dass er sich zum Predigen eignete. Also ging er bei Carl Bertelsmanns Sohn Heinrich in die Lehre und heiratete dessen Tochter. Seitdem besitzt die Familie Mohn das Verlagshaus Bertelsmann. Der Name der Eigentümerfamilie wechselte, der Glaube blieb. Ob unter Johannes oder dessen Sohn Heinrich, die Religion sorgte für Kontinuität in Gütersloh. Das Familienleben der Mohns war geprägt vom Glauben.


Reinhard wurde am 29. Juni 1921 geboren, als fünftes Kind von Heinrich Mohn. "Wer wie ich mit vier älteren Geschwistern und einem jüngerem Bruder aufgewachsen ist, dem sind Freuden und Nöte der menschlichen Gemeinschaft von Kindesbeinen an vertraut", schrieb er in seinen Erinnerungen "Von der Welt lernen", die er 2008 veröffentlichte.

Reinhard galt als sensibel. Er litt an Allergien, war oft krank. "Krank sein aber hieß immer auch allein sein, der streng geführte Haushalt meiner Mutter Agnes ließ keine Sonderbehandlungen zu. So war ich spürbar das fünfte Kind in unserer großen Familie, das die Rituale unseres Familienlebens und die Aktivitäten seiner älteren Geschwister genau beobachtete, ohne sich dabei immer zugehörig zu fühlen." Reinhard rebellierte und verweigerte sich. "In einem auf christliche Erziehung und strenge Disziplin ausgerichteten Elternhaus musste das zu Konflikten führen."

Christliche Erziehung

Seine Eltern hätten versucht, ihn konservativ gläubig zu erziehen, sagte Reinhard Mohn 2001 zur ZEIT. Aber "das gelang ihnen nicht. Ich war ein junger Mensch, der alles richtig und gerade sehen wollte. Dem wurde gesagt: Wenn du glaubst, dann wird das alles. Also habe ich es ausprobiert und vor der Lateinarbeit gebetet, und es lief überhaupt nicht. Ich bin nicht so leicht zu überzeugen und seit der Nazizeit sehr skeptisch gegenüber allen Dogmen." Eigentlich wollte er Ingenieur werden. Den Verlag übernahm er nur, weil seine beiden älteren Brüder im Krieg gefallen oder in Gefangenschaft geraten waren. Der Vater war politisch belastet. Blieb Reinhard.


Reinhard Mohns Religion während der Aufbaujahre war der Rechenschieber. Später dann, ab 1977 und bis zuletzt, war es seine Stiftung. Sein Glaube war stets die Messbarkeit aller Dinge. Religion war für ihn interessant als Ordnungssystem, das geistige Werte vermittelt. Für ihn war Religion real, wenn sie die Dinge ordnete. Bei einem Besuch in Kairo beglückwünschte er die Menschen dafür, dass sie mit dem Islam eine intakte Religion haben, die Orientierung bietet. "Eine Gesellschaft braucht das Gerippe geistiger Orientierung", sagte er. Er dozierte zwar viel über die Freiheit, die er seinen Managern ließ, damit sie erfolgreich waren.


Und er selbst wollte sich der Religion nicht unterwerfen. Das galt auch für sein Privatleben. Jahrelang hatte er zwei Familien. 33 Jahre lang war er mit Magdalene verheiratet, von 1948 bis 1981. Von ihr hat er drei Kinder. Liz hat ihn 1958 als 17jährige Telefonistin im Unternehmen kennen gelernt und wurde seine Geliebte, die drei Kinder von ihm bekam. Im christlich-konservativen Gütersloh musste sie zum Schein allerdings einen anderen Angestellten des Unternehmens heiraten. Erst nach dem Tod seiner gläubigen Mutter ließ Reinhard sich von seiner ersten Frau Magdalene scheiden und heiratete Liz - 24 Jahre hatte sie darauf warten müssen.

Fasziniert von Systemen


Reinhard Mohn war fasziniert von Systemen. Wenn andere ihren Glauben lebten, dann betrachtete er das System. Ein Land, wo Glauben herrscht, ist ein Ort, an dem Ordnung herrscht und Menschen sich mit einer Person oder Idee identifizieren. Das bewunderte Mohn. Das entsprach seinem Denken von "Zielverständnis" und Identifikation. Mit solchen Vokabeln beschrieb er auch das System Bertelsmann. Wo Religionen Glaubensgrundsätze oder Gebote haben, verwies Mohn auf die Bertelsmann Essentials. Mitarbeiter, Beobachter und Kritiker sprachen bewundernd oder irritiert von Mohns Sekte.


Im hohen Alter beschäftigte Reinhard Mohn die Frage der Religion so sehr, dass er anregte, weltweit den Glauben der Menschen zu messen. Dafür hat die Stiftung eigens einen so genannten "Religionsmonitor" erfunden. Dabei, schrieb seine Frau Liz, interessierte ihn die Frage: Was gibt den Menschen Orientierung? Kulturübergreifend lasse sich eine Idee von Religiosität nachweisen, die einer Gemeinschaft verpflichtet sei, schrieb Reinhard in seinem Buch "Von der Welt lernen". Auf seine Weise war Reinhard Mohn Prediger und Missionar. In seiner Stiftung lebt dieser Geist. Ohne geistige Orientierung kein Fortschritt und kein Wachstum, argumentierte er. Mohn, der Missionar, war im Geiste stets Unternehmer.


Thomas Schuler ist Autor des Buches "Die Mohns"