Der Elefantengott in der Hasenheide

Foto: Vera Rüttimann
Vilwanathan Krishnamurthy, Vize-Präsident des Vereins "Sri Ganesha Hindu Tempel", wartet sehnsüchtig auf den Bau eines neuen Tempels in Neukölln.
Der Elefantengott in der Hasenheide
Seit neun Jahren planen Hindus auf einem Gelände des Volksparks Hasenheide in Berlin-Neukölln einen Tempel, dessen Bau sich immer wieder verzögert. Die festliche Puja-Zeremonie in einer einfachen Halle wird schon heute von vielen Hindus und Christen besucht.

Der Gott der Hindu ist vierarmig und sitzt auf einer Lotusblüte. Mit freundlichem Gesicht grüßt Ganesha Ankömmlinge von einem Plakat im Volkspark Hasenheide in Neukölln. Gezielt steuern die Besucher eine schlichte Halle auf der Wiese an, wo täglich um 17 Uhr eine Puja-Zeremonie stattfindet. Indern ist dieser Ort heilig. Man staunt: Die Hasenheide ist einer der größten Drogenumschlagplätze der Stadt. An der Hasenheide 106 halten sich arabisch aussehende Männer in Trainingsanzügen auf.

Sri Ganesha bedeutet "Der Glanz Ganeshas" – ersteinmal geht es knöcheltief durch den Matsch. Die Tür geht auf und das Staunen wird noch größer: Großäugige Götterstatuen wie Vishnu und Shiva sitzen in einem kostbaren Schrein auf Thronen, umrankt von Glitzergirlanden. Räucherstäbchen und frische Früchte für den Elefantengott verbreiten einen betörenden Duft.

Milch und Honig für Ganesha

Die Puja-Zeremonie ist ein Ereignis, zudem es tagtäglich viele indische Gläubige zieht. Sie sitzen am Boden einer ehemaligen Freiluftsporthalle, in der ein hinduistisches Gebetszelt aufgebaut wurde. Zu Füßen des Elefantengottes Ganesha liegen Rosenblätter, Süßigkeiten und Obst. Gläubigen Indern gilt Ganesha als Zerstörer des Bösen und als Quelle von Glück und Klugheit. Ein Hindu-Priester beginnt, die Statue mit den Worten "Om namah shivaya" anzubeten, während er sie mit einer Tinktur aus Milch, Joghurt und Honig übergießt. Eine Schale mit der Arati-Flamme wird herumgereicht und von den Anwesenden mit den Händen berührt. Ein Fest für alle Sinne.

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An der Puja-Zeremonie nehmen auch Christen und Muslime teil, die in dieser zugigen Halle eine spirituelle Oase gefunden haben. Längst ist der Sri Ganesha Hindu Tempel zum Ort der interkulturellen Begegnungen avanciert. Einige tragen einen roten Punkt auf der Stirn. Wie Vilwanathan Krishnamurthy, der neue Gäste per Handschlag begrüßt. "Viele Menschen in Berlin sind spirituell auf der Suche", sagt der Neuköllner, der vor fast vierzig Jahren aus Indien kam und als Facharbeiter beim Elektronikhersteller AEG in Berlin anheuerte. Der Mann mit dem dunklen Teint wird geschätzt als kommunikativer, gut gelaunter und blitzgescheiter Gesprächspartner. Nach der Zeremonie steht er mit anderen in einer Ecke und genießt die von Ganesah geweihten Speisen. Gekochter Safranreis mit Nüssen und Khir, Milchreispudding mit einem ordentlichen Schuss Zucker.

Warten auf den Tempel

Vilwanathan Krishnamurthy ist Vize-Präsident des Vereins "Sri Ganesha Hindu Tempel". Traurig sagt er: "Anstelle dieser Halle sollte längst unser neuer Hindu-Tempel stehen." Er soll Heimat werden für 7000 Hindus, die aus Indien, Sri Lanka oder Singapur nach Berlin gekommen sind. Immerhin, das Eingangsportal steht bereits, doch die indische Community wartet sehnsüchtig darauf, ihren neuen Tempel in voller Pracht zu sehen. An hinduistischen Hochfesten wie Ganesh Chaturthi gibt es in der provisorischen Halle längst kein Durchkommen mehr.

Puja-Zeremonie

Der Start gelang gut. 2007 feierten die Gläubigen mit Hindu-Priestern den Baubeginn. Doch bald geriet das Vorhaben ins Stocken. Weder aus Deutschland noch aus Indien flossen genügend Spendengelder. Dabei reiste eine Delegation aus Berlin extra ins indische Bangalore, um für den Tempelbau in der Hasenheide werben. Später wurden bei Bodenuntersuchungen auf dem Baugrundstück in sechs Metern Tiefe auch noch Trümmer aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Das Fundament muss nun viel tiefer ausgehoben werden als geplant.

Der Tempel soll in einer Mischung aus Spenden und Fördergeldern finanziert werden. Die Hindus in der Hasenheide glauben an seine Vollendung, zumal ein anderes Projekt zeigt, dass es geht: Im Neuköllner Ortsteil Britz steht seit Herbst 2013 der erste frei stehende Hindutempel Berlins. Die Gläubigen dort hatten offenbar mehr Glück als die in der Hasenheide.

Nach der Puja-Zeremonie zeigt Vilwanathan Krishnamurthy Gästen in der Halle das Modell der geplanten Tempelanlage. Mit leuchtenden Augen sagt er: "Der Tempel wird ein Wahrzeichen Neuköllns." Das Zeug dazu hat er: Der rechteckige Turm, der sich in einer Stufenpyramide nach oben windet, soll 17 Meter hoch werden und mit kunstvollen Figuren versehen sein. Das Gebäude ist architektonisch so gestaltet, dass immer wieder die heilige Zahl 108 enthalten ist.

Sozialer Treffpunkt und Lernort

Der Tempelbau der Hindus, dessen Bau sich so zäh verzögert wie der neue Flughafen BER in Berlin, wirft auch einen Fokus auf Berlins lebendige indische Community. Viele leben schon seit Jahrzehnten in der Stadt. Einst kamen sie wie Vilwanathan Krishnamurthy als gesuchte Fachkräfte nach Berlin, blieben hier und gründeten Familien. "Für ältere Inder soll der Tempel auch ein Seniorentreffpunkt sein, denn in Deutschland gibt es für sie kein soziales Netzwerk wie in Indien", sagt er. An der Spree gibt es viele indische Spuren. In Wilmersdorf steht ein kleiner Nachbau des berühmten Taj Mahal im indischen Agra. Und überall, auch in Neukölln, diesem multikulturellen Schmelztiegel, finden sich kleinen Läden mit indischen Lebensmitteln.

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Vilwanathan Krishnamurthy schaut auf die gegenüber liegende Straßenseite mit den vielen bunten Leuchtreklamen. Ob in asiatischen Imbisse oder Spielcasinos, überall lungern junge Typen herum. Scheinbar ohne Ziel. Auch sie hat der der Mann, der nebenbei als Stadtführer arbeitet, im Visier. Die Bildung liegt dem Hindu besonders am Herzen. Das Wissen, was indische Lebensweise und Kultur sei, so Krishnamurthy, sei bei vielen jungen Menschen kaum vorhanden. Interreligiöses Wissen, so Vilwanathan Krishnamurthy, sei in der heutigen globalen Welt jedoch dringend nötig. Vor allem im Berufsleben. "Wenn junge Geschäftsleute erstmals nach Indien fahren, müssen sie wissen, was ein Hindu-Tempel ist, wie man sich dort verhält und warum man dort die Schuhe ausziehen muss."

Der neue Tempel soll auch Nichtgläubigen offenstehen. Eine Bibliothek, Räume für Meditations-, Yoga- und Sprachkurse sind vorgesehen. Nach den letzten Gesprächen mit Förderern und Spendern ist Vilwanathan Krishnamurthy zuversichtlich, dass der Tempel in eineinhalb Jahren fertig sein wird. Schon jetzt bietet er für Interessierte in der zugigen Halle Führungen an. Geduldig erklärt er Religion und Rituale der Hindus und wird nicht müde, vom künftigen Tempel zu schwärmen. Vor seinen inneren Augen sieht er bereits die 400 Besucher, die dort auf 890 Quadratmetern Platz finden sollen. Wenn der Sri Ganesha Hindu Tempel fertig ist, wird er nach demjenigen in London der zweitgrößte in Europa sein. Ein Kaleidoskop von Sprachen, Religionen und Kulturen - genau wie Neukölln selbst.