"Ich will nie mehr, dass du nicht da bist"

Markus und Sebastian trauen sich
Foto: Patricia Dries
Vom Standesamt auf den Weihnachtsmarkt: Sebastian (links) und Markus.
"Ich will nie mehr, dass du nicht da bist"
So vieles spricht dagegen: die Scheidungsrate, bittere Enttäuschungen, der Rosenkrieg bei Freunden, die Lust am Experimentieren. Dennoch wollen viele junge Menschen ihrem oder ihrer Liebsten vor Gott das Jawort geben: in der Hoffnung, ihr Glück möge ewig währen, die Zweisamkeit gute und schlechte Zeiten überdauern. Auch evangelisch.de-Redakteur Markus Bechtold hat sich nach zehn Jahren Beziehung getraut und geheiratet. Lesen Sie hier einen Teil seiner Lebensgeschichte.

Markus will nicht mehr ausgehen. Er ist geschafft, hat zu viel gearbeitet und zu viel studiert. Aber dann gibt er sich doch einen Ruck, er muss fotografieren. Markus arbeitet neben dem Publizistik-Studium als freier Journalist für ein schwul-lesbisches Web-Portal in Rhein-Main, das er ins Leben gerufen hat. Dafür macht er Party-Fotos und spricht mit allen, um Werbung für die Webseite zu machen. Sebastian steht der Sinn auch nicht nach Party. Er will absagen, aber sein guter Freund Marc besteht darauf, dass er mitkommt. Sebas­tian hatte ihm versprochen, mit in den Geburtstag hinein zu feiern.

Freitagabend, 13. Dezember 2002, auf der lesbisch-schwulen Uni-Fete "Warm ins Wochenende" in Mainz. Da steht in einer Gruppe auch Sebastian vor Markus’ Kamera. Etwas unentschlossen, unsicher, er lässt sich nicht gern fotografieren. Den Fotografen hat er schon öfter gesehen, sie hatten sich vor Wochen einmal kurz unterhalten. Marc kennt Markus und hatte sie einander vorgestellt. Markus ist damals überall, wo sich die Szene trifft. Sein Lachen ist Sebastian aufgefallen, sympathisch und echt, aus ganzem Herzen. Markus setzt sich zu Sebastian. Sie reden übers Studium, ihre Seminare, über Markus’ Magisterarbeit, gerade ist er begeistert von Magnus Hirschfeld. "Ich glaube, er hätte mir alles erzählen können. Ich fand das faszinierend: Markus ist unglaublich interessiert und findet es ganz wichtig, was ihn gerade beschäftigt", erinnert sich Sebastian. Für Markus steht sofort fest: Er ist es. Das spürt er mit aller Gewissheit und Zuversicht. Er sagt es sogar schon an diesem Abend zu einem Freund.

Warme Schreibtischlampe trifft kalte Neonröhre

Gegen 3 Uhr geht das Licht an. Sie sind unter den letzten Gästen. Marc hatte bemerkt, wie gut sich die beiden verstehen, und Markus spontan zu seiner Geburtstagsparty eingeladen. Sie sind so gegensätzlich. Der eine nachdenklich und vorsichtig, der andere leidenschaftlich und engagiert. Warme Schreibtischlampe trifft kalte Neonröhre. Fast nie allein unterwegs und immer allein unterwegs. Pünktlich und unpünktlich. Aber das finden sie erst noch heraus. Am Abend auf der Geburtstagsparty bei Marc. Zu 20 Uhr sind sie eingeladen und Sebastian ist längst da. Er erzählt allen, dass Markus, dieser spannende Mann, kommen wird. Aber der kommt nicht. Sebastian wartet. Die Freunde versuchen, ihn abzulenken. Marc bittet ihn, den dunklen Treppenaufgang zum Party-Raum mit Teelichtern besser sichtbar zu machen, damit alle den Weg finden. Damit auch Markus den Weg findet, denkt Sebastian. Es ist schon nach 22 Uhr. Ob Markus noch auftaucht, er glaubt es nicht mehr, aber wünscht es sich doch.

Es ist Mitternacht und da ist Markus, holt sich ein Glas Sekt, stellt sich dazu, lächelt und sagt: "Ja, da bin ich." Sebastian wundert sich nur kurz über den nonchalanten Auftritt. Sofort geht ihr Gespräch weiter. Wie in der Nacht zuvor bis zum Schluss. Markus hat den ganzen Tag an Sebastian gedacht, aber er geht nie vor 23 Uhr auf eine Party: "Ich kam gar nicht auf die Idee, dass mich jemand um 20 Uhr erwartet. Ich kam auch nicht auf die Idee, dass das ein Problem sein könnte, wenn man später kommt. Ich war vorher noch schwimmen." ...

Dass beide ein Paar sind, sprechen sie noch lange nicht aus. Ihre ganze Geschichte lesen Sie in: "Warum wir heiraten"

Die Beziehung wirft viele Fragen auf

Drei Monate später nach einem Waldspaziergang, es ist schon dunkel. Sie stehen auf einem Hügel im "Großen Sand", einem Dünengebiet bei Mainz. Da sagen sie endlich, was sie fühlen: "Ich liebe dich." Für Sebastian ist das eine fundamentale Erkenntnis, sie heißt: "Ich will auch nie mehr, dass du nicht da bist." Das auszusprechen, verlangt Mut von ihm. Er erlebte die ersten Wochen der Partnerschaft vor allem als Fragen: Was kann ich, was will ich, was tut mir gut und ist es das, was ich jetzt tun soll, tun darf? Markus an seiner Seite gibt ihm Ruhe, Sicherheit und Vertrauen. Viele Antworten auf seine Fragen. Für Markus sind die Worte ein Bekenntnis, ein Versprechen auf Zukunft, gemeinsam. Die wünscht er sich mit Sebastian. Da ist er romantisch und Sebastian ist es auch.

In den nächsten Monaten macht Markus seinen Magister. An einem Sonntag sitzen sie in einem kleinen Café in Frankfurt und Markus eröffnet Sebastian, dass er seine Wohnung gekündigt hat, den Job aufgegeben hat und für ein Praktikum bei der "Berliner Zeitung" in die Hauptstadt zieht. Sebastian ist schockiert. Bald wäre der Prüfungsstress überstanden, sie könnten wieder entspannt zusammen sein und nun? Wie radikal und wie rücksichtslos! Sebastian hat das Gefühl, jetzt ist alles vorbei. Er ist mitten im Hauptstudium und kann schlecht nach Berlin wechseln. Doch Markus wollte schon immer, schon vor Sebastian in eine Metropole, in die große Großstadt. Zum Studium hatte es nicht geklappt, deshalb muss er jetzt tun, was er sich vorgenommen hat. Markus spürt die Unsicherheit von Sebastian und bekommt auch Angst, ob sie sich auf der langen Strecke verlieren werden? Aber er spricht es nicht aus, er kann nicht mehr zurück. Der Abend vor der Abreise ist schrecklich. Sie sind bei Sebastian, im Fernsehen läuft der Film "Shrek". Das passt nicht zur ihrer Stimmung. Sebastian hilft beim Umzug und bringt seinen Freund nach Berlin. ...

Warum Sebastian in Berlin Markus stark macht und weshalb Berlin eine Zeit des Stillstands wird und für Markus die Erlösung mit dem Zeitunsvolontariat  in Konstanz am Bodensee kommt, lesen Sie in: "Warum wir heiraten"

Mit der Fernbeziehung kommt das Pendeln

In der Redaktion [am Bodenseee - Anmerkung der Redaktion] vergisst Markus schnell seine Panik. Die Ausbildung ist gründlich, er hat gut zu tun und wird anerkannt. Dass er schwul ist und einen Freund hat, wird genauso aufgenommen wie das Liebesleben aller anderen Kollegen. Sogar auf der Lokal-Reporter-Station im tiefsten Schwarzwald treten sie als Paar auf und treffen auf freundliche Menschen. Sie hatten Angst vor Ablehnung, aber die begegnet ihnen nicht. Markus beginnt, die Provinz zu schätzen. Das Bodenständige, das Menschliche, die Landschaft, die Tradition. Sebastian ist jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter in Erlangen und arbeitet an seiner Dissertation über sakrale Räume. Per Luftlinie sind es nach Konstanz nur 250 Kilometer, aber mit der Bahn sind sie fünf­einhalb Stunden unterwegs, um zusammenzukommen. Es gibt keine direkte, schnelle Verbindung von Nürnberg an den Bodensee.

Die Fernbeziehung besteht nun aus Power-Wochenenden. ­Power-Wellness, Power-Spaziergängen, Power-Reisen, um die knappe gemeinsame Zeit so intensiv wie möglich auszu­kosten. In diesem Rhythmus lernen sie auch, sich nach einem Streit schnell wieder zu versöhnen. Nur nicht mit einem schlechten Gefühl verabschieden, das ganze Wochenende im Groll verbringen. Wer im Ärger auflegt, ruft noch mal an. Diese Lektion hilft ihnen heute noch beim Zusammenleben.

Markus arbeitet viel, zu viel. An einem späten Feierabend ist er mit dem Fahrrad auf dem Heimweg in Gedanken noch am Schreibtisch, da wird er angefahren. Er ist nicht schuldig, aber vielleicht hätte ihn Aufmerksamkeit geschützt? Zum Glück trägt er einen Helm, nur das Schlüsselbein ist gebrochen. Dieses Erlebnis gibt ihm zu denken: "Im Krankenwagen habe ich mich gefragt: Was war jetzt so wichtig? Und mir ist nichts eingefallen. Ich habe nur an Sebastian gedacht und an meine Familie. Alles, was mich so bewegt hatte, war in dem Moment nicht wichtig. Und was wichtig ist, das lebe ich nicht. Von dem Moment an war mir klar, dass ich was ändern muss in meinem Leben. Dass wir wieder näher zusammenkommen müssen."

Sie wollen ihrer Liebe einen Feiertaggeben

Markus macht das, was er denkt. Er sucht einen neuen Job. Dafür verlässt er nach sechs Jahren seine unbefristete Stelle in Konstanz und nimmt eine befristete in Frankfurt an. Nach der langen Fernbeziehung ziehen Sebastian und Markus zusammen. Mit diesem Schritt wissen sie auch sehr sicher, sie wollen heiraten. Diese Idee war ihnen beiden als Kinder ganz vertraut und selbstverständlich erschienen. Ihre Eltern lebten es vor, beide sind lange glücklich verheiratet. Die Welt in ihrer Kindheit war verheiratet, hatte Kinder. Warum sollte es bei ihnen nicht so sein, wenn sie groß sind? Als sie merkten, dass sie schwul sind, Männer lieben, schien der Gedanke mit dem Coming-out obsolet zu sein. Zwei Männer heiraten? Nicht erlaubt, nicht möglich. Wozu noch darüber nachdenken? Mittlerweile war nicht nur die eingetragene Lebensgemeinschaft etabliert, sondern auch die rechtliche Gleichstellung schwuler und lesbischer Partnerschaften mit der Ehe erfreulich fortgeschritten. Sie hatten am Bodensee viele junge Hetero-Paare erlebt, die verheiratet waren, Familien gründeten und das hat ihnen imponiert. Diese Selbstverständlichkeit, mit der andere sagen: "Mein Mann" oder "Meine Frau".

Sie wünschen sich beide, dass ihr Zusammenhalt mehr Gewicht bekommen soll, eine neue Tiefe. Sie wollen ihrer Liebe einen Feiertag geben wie andere Paare auch. Einen offiziellen Tag für sich und für ihre Welt. Es fehlt nur der richtige Augenblick, um es auszusprechen. Auf dem Lanzarote-Urlaub im Frühjahr 2011 will Markus ihn finden, aber es ergibt sich nicht. Sebastian trägt den Gedanken auch mit sich herum, nur wie er ihn rauslassen kann, weiß er nicht. Er weiß, dass Markus eine Schwäche für den großen Auftritt, das demonstrative Bekenntnis hat. Nur genau das liegt Sebastian so gar nicht, er mag keinen Rummel um seine Person, aber für Markus würde er eine Ausnahme machen. Sie beide haben in den Jahren ihre verschiedenen Eigenheiten und Bedürfnisse aneinander angepasst. Markus ist jetzt pünktlich und zuverlässig, Sebastian kann mit mehr Licht leben und ist entschiedener in seinen Wünschen.

Markus (links) und Sebastian an der holländischen Nordseeküste vor ihrer Verlobung.

Ein Jahr später, sie verbringen die Neujahrstage in Wijk aan Zee, an der holländischen Nordseeküste. Es ist stürmisch und kalt. Sie machen ausgiebige Spaziergänge. Markus hat sich fest vorgenommen, diesmal zu fragen. Aber wie fragen, was sagen? Er hat nichts vorbereitet, keine Ringe, keine Inszenierung. Sie sind schon einmal lange gelaufen an diesem Tag, zwei Tage vor der Abreise, Anfang 2012. Da überredet Markus Sebastian, noch mal an den Strand zu gehen. Als sie draußen sind, bricht der Himmel auf, die Sonne schickt ihre Strahlen über das Meer, an den Strand. Markus greift Sebastian an die Schulter und fragt ihn: "Willst du mein Mann werden?" Sebastian antwortet prompt, kraftvoll und strahlend: "Ja." Beim Abendessen feiern sie den Entschluss. Die Familien werden gemeinsam nach Frankfurt eingeladen und bei einem Essen erzählen die Söhne mit hoch­roten Köpfen, dass sie heiraten wollen. Das wird mit großer Freude aufgenommen, natürlich sind die Mütter gerührt: Jetzt gibt es doch noch ein Fest. Sie hatten befürchtet, die beiden würden heimlich heiraten. Der Termin ist für Sebastian und Markus klar: Es wird der 13. Dezember 2012, der Tag, an dem sie sich vor zehn Jahren gefunden haben.

Entscheidene Station einer Reise: Das Jawort

Sie machen es, wie es viele Frankfurter machen: Sie heiraten im Römer. Mit der klassischen Aufnahme des Hochzeits-paares vor dem Frankfurter Schrank. Ihre Familien, ein paar Freunde und zwei Trauzeugen sind dabei. Für Markus bedeutet die Hochzeit, ihrem Bund Tiefe zu verleihen, gern auch bis an das Ende der Zeit. Für Sebastian ist es eine entscheidende Station auf einer langen Reise. "Du hast das Gefühl, du bist lange unterwegs, und da war manchmal auch schlechtes Wetter, der Weg war schwierig, du hast dich verlaufen, zu zweit, irgendwann kommst du an einen Punkt und du denkst, das ist gut, jetzt wissen wir, wo wir sind und von hier geht es in eine bestimmte Richtung weiter."

Morgens beginnt für beide der Tage mit einer Tasse Kaffee.

Ihre Ehe könnte auch einen anderen verschütteten Traum wiederbeleben, eine Familie zu gründen. Aber als nächsten Schritt haben sie den festen Plan, mit einem großen Fest und allen Freunden kirchlich zu heiraten. Vor Gott. Ihr Glaube ist ihnen wichtig. Markus hat ihn mit Sebastian wiedergefunden. Als Kind und Jugendlicher wirkte er aktiv in seiner Gemeinde. Als Schwuler fühlte er sich in der Kirche nicht willkommen und lehnte sie ab. Sebastian hat die Kirche immer als Heimat erlebt, auch als Schwuler. Er hat Markus über die Jahre wieder vertraut gemacht und auch versöhnt mit dem Glauben und der Institution, die dazugehört. Deshalb arbeitet Markus heute aus Überzeugung auch in einem kirchlichen Verlag. Es bedeutet ihnen beiden viel, dass ihre Ehe gesegnet wird.

Wenige Wochen nach dem Standesamt stirbt plötzlich Markus’ Vater. Dieser Schmerz überschattet das ganze Jahr, die Trauer lähmt sie. Jetzt planen sie, die Hochzeit wirklich zu feiern. Sie wissen schon, welcher Pfarrer sie trauen soll. Sie haben eine Idee, wo sie feiern können. Bis dahin wollen sie auch die Ringe gefunden haben, als Erkennungszeichen ihres Bundes. Oder besser, die Ringe sollen sie gefunden haben. Doch was könnte zu ihnen passen? Auf keinen Fall werden sie in ein Hochzeitsgeschäft gehen, wo viele Paare die Eheringe aussuchen. Das ist nicht ihr Weg, ihr Stil. Diese Freiheit von Vorbildern gefällt ihnen, sie können und wollen selbstbestimmt und selbstbewusst ihren gemeinsamen, ihren eigenen Weg gehen.

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