Bürokratie macht Eltern behinderter Kinder das Leben schwer

Foto: epd-bild/Rolf Zöllner
Weil die Kinder angeblich keinen ernsthaften Mietforderungen seitens ihrer Eltern ausgesetzt sind zweifeln die Sozialämter etliche Mietverträge als unwirksam an.
Bürokratie macht Eltern behinderter Kinder das Leben schwer
Eltern, die sich um ihre schwerbehinderten erwachsenen Kinder kümmern, haben eigentlich genug zu tun. Neuerdings müssen sie auch noch einen Mietvertrag mit dem Nachwuchs abschließen, damit sie kein Geld einbüßen.
20.10.2012
epd
Bettina Markmeyer

Hermann Linke lebt mit seiner Frau und dem 32-jährigen, geistig und körperlich schwerbehinderten Sohn Tobias (Namen geändert) im Kreis Starnberg. Linkes haben ein Eigenheim. Bis zum vergangenen Jahr hat das Sozialamt die Ausgaben fürs Wohnen gedrittelt und das Drittel für den Sohn übernommen. Linkes Sohn bekommt - wie alle behinderten Menschen, die kein eigenes oder ausreichendes Einkommen erzielen - die Grundsicherung. Sie funktioniert wie Hartz IV: Es gibt den Regelsatz und dazu die Kosten für die Unterkunft.

Jetzt aber muss der 67-jährige Hermann Linke mit seinem Sohn einen Mietvertrag abschließen, damit er die Kosten für Miete und Heizung weiterhin erstattet bekommt. Linke hat das getan. Der Papierkram hat den Ingenieur im Ruhestand Monate gekostet. Er sagt: "Das ist so komplex, dass viele das nicht machen werden."

Mietvertrag mit der 50-jährigen, behinderten Tochter

Er selbst habe jede Menge Erkundigungen einziehen müssen, um keine Fehler zu machen. Setze man die Miete zu niedrig oder zu hoch an, frage das Finanzamt nach. Wegen der Mieteinkünfte müsse man außerdem plötzlich eine Einkommenssteuererklärung machen. "Der ganze Aufwand bleibt bei den Eltern hängen", kritisiert Linke. "Dass ein Gericht sagt, man braucht einen Mietvertrag, das ist mir unbegreiflich."

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Gesagt hat dies das Bundessozialgericht in zwei Urteilen aus dem vergangenen Jahr. Nur durch Mietverträge nachgewiesene Ausgaben könnten erstattet werden. Seit diesem Sommer beginnen sich die Urteile auszuwirken, weil die Sozialämter anfangen, die Rechtsprechung umzusetzen.

Die Sozialrechts-Expertin des Bundesverbandes für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (bvkm), Katja Kruse, bekommt nun ständig Anrufe wegen der Wohnkosten: "Die Leute sind wahnsinnig verärgert", sagt sie. Gerade war eine 80-jährige Witwe mit einer Rente von 900 Euro da, die nun mit ihrer 50-jährigen behinderten Tochter einen Untermietvertrag abschließen muss, damit sie weiterhin die Unterstützung für die gemeinsame Wohnung bekommt.

Das Gesetz ändern, und zwar schnell

In der Regel geht es um 200 oder 300 Euro im Monat. Hermann Linke hat als Miete inklusive aller Nebenkosten für seinen Sohn 320 Euro angesetzt. Als erstes musste er dafür zum Amtsgericht und einen "Ergänzungsbetreuer" für seinen nicht geschäftsfähigen Sohn bestellen lassen. Normalerweise ist er selbst Tobias' rechtlicher Betreuer. Beim Mietvertrag aber funktioniert das nicht, denn er schlösse ihn dann praktisch mit sich selbst ab. Linke schlug dem Amtsgericht also eine Bekannte vor, die für Tobias unterschrieb. Dafür musste auch sie zweimal zum Gericht.

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In Linkes Fall zahlt das Sozialamt. In etlichen anderen Fällen, berichtet Katja Kruse vom Verband, zweifelten die Sozialämter die Mietverträge als unwirksam an, "weil die Kinder angeblich keinen ernsthaften Mietforderungen seitens ihrer Eltern ausgesetzt sind". Die Fälle gingen dann weiter zu den Sozialgerichten.

Aus Sicht des Verbandes, in dem 28.000 Familien mit behinderten Kindern organisiert sind, gibt es daher nur die Möglichkeit, das Gesetz zu ändern - und das möglichst schnell. Der bvkm hat Bundesratspräsident Horst Seehofer (CSU) gebeten, sich dafür einzusetzen und will sich auch an den Bundestag wenden.

Sie können ihren Sohn nie alleinlassen

Der Bundesrat befasste sich am vergangenen Freitag (21. September) mit einem Gesetzentwurf der Regierung, wonach der Bund ab 2014 die Kosten der Grundsicherung vollständig übernehmen soll. An dieses Gesetzgebungsverfahren wollen die Betroffenen nun ihr Wohnkosten-Problem andocken. Ob ihre Forderung, die frühere Regelung der Kosten-Aufteilung wieder anzuwenden, Gehör und eine Mehrheit findet, ist allerdings völlig offen.

Offenbar hat allein der Behinderten-Beauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe (CDU) das Problem erkannt. Er nennt die neuen Vorschriften "bürokratischen Unsinn". "Es kann nicht sein, dass bei einer Heimunterbringung Tausende von Euro problemlos gezahlt werden, hier aber jede Menge Hürden aufgebaut werden", sagte Hüppe.

Hermann Linkes Sohn Tobias fährt jeden Morgen in die Behindertenwerkstatt, in der er arbeitet. Nachmittags kommt er wieder. "Hallo Tobias", sagt Linke dann und weiß, dass er und seine Frau jetzt wieder voll gefragt sind. Sie können ihren Sohn nie alleinlassen. "Alles, was wir erledigen müssen, muss zwischen halb acht morgens und halb fünf nachmittags passieren", sagt Linke. Er würde es sehr begrüßen, wenn Mietverträge mit dem eigenen Kind nicht dazu zählten.