Hilfswerke: Entwicklungspolitik muss raus aus der Nische

Foto: Jared Moossy/laif
Ein somalisches Mädchen mit einem Sack Reis. Die Bekämpfung von Armut und Hunger weltweit ist eine der zentralen Aufgaben der westlichen Entwicklungspolitik.
Hilfswerke: Entwicklungspolitik muss raus aus der Nische
Klare Forderung an die künftige Bundesregierung: Entwicklungspolitik muss nach Ansicht von Hilfswerken zur Querschnittsaufgabe werden, die alle Ministerien angeht und bei der alle an einem Strang ziehen. So ließe sich auch ein Flüchtlingsdrama wie vor Lampedusa vermeiden.

Hilfsorganisationen fordern von der neuen Bundesregierung eine Aufwertung des Entwicklungsministeriums mit deutlich größeren Kompetenzen. Entwicklungspolitik dürfe nicht bloß auf ein Ressort für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung reduziert werden, erklärten terre des hommes und die Deutsche Welthungerhilfe am Dienstag in Berlin. Sie forderten ein "Ministerium für internationale Zusammenarbeit und globale Nachhaltigkeit". Zur Begründung sagte die Chefin von terre des hommes, Danuta Sacher: "Damit die Entwicklungspolitik auf die globalen Herausforderungen unserer Zeit angemessen reagieren kann."

###mehr-artikel###Das künftige Ministerium solle eine kabinettsübergreifende Koordinierungsfunktion für die Bereiche globaler Politik erhalten, die Fragen der nachhaltigen Entwicklung und der Menschenrechte berühren, betonte der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Wolfgang Jamann. Alle Ministerien, insbesondere Wirtschafts-, Landwirtschafts-, Außen-, Umwelt- und Entwicklungsministerium müssten an einem Strang ziehen. Für das aufgewertete Entwicklungsressort wäre nach dem Vorbild des Finanzministeriums auch ein Vetorecht bei Regierungsbeschlüssen denkbar. 

Unter dem Titel "Raus aus der Nische!" präsentierten die beiden Hilfswerke am Dienstag ihren 21. Bericht zur Wirklichkeit der deutschen Entwicklungspolitik. Darin fordern sie in der neuen Legislaturperiode auch die Schaffung einer Enquete-Kommission unter Mitarbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie soll Vorschläge für Strukturreformen in Bundesregierung und Bundestag ausarbeiten, damit die deutsche Politik den weltweiten sozialen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen gerecht werden kann.

"Grundsätzlich neu definieren"

"Entwicklungspolitik muss heute grundsätzlich neu definiert werden", sagte Jamann. Das habe auch das Flüchtlingsdrama vor Lampedusa wieder schmerzlich vor Augen geführt. Regierungsoffizielle Bekundungen nach dem Unglück, die Fluchtursachen müssten in den jeweiligen Herkunftsländern bekämpft werden, sieht der Entwicklungsexperte kritisch. Im Moment klinge "das alles nicht nach einer strategischen Ernsthaftigkeit", sagte Jamann. Er warnte zudem vor einer einseitigen Verlagerung der Verantwortung für die Flüchtlingstragödien in die jeweiligen Herkunftsländer.

Die Schuld trägt nach Ansicht der Hilfswerke häufig der Westen beispielsweise mit verfehlten Agrarsubventionen, die eine Politik des "Tank statt Tellers" für Biogas und Biosprit fördert, wie Sacher sagte. Das treibe in vielen Ländern des Südens die Kleinbauern erst in den Ruin und dann in die Flucht nach Europa, um ihre Familien ernähren zu können.

Vorwurf an bisherigen Minister Niebel

Eine häufig nicht abgestimmte Politik einzelner Ressorts konterkariere immer wieder gute entwicklungspolitische Ansätze aus dem bisherigen Entwicklungsministerium. Auch dem scheidenden Ressortchef Dirk Niebel (FDP) sei es nicht gelungen, die Entwicklungspolitik aus der Nische herauszuholen.

Die von Industriestaaten anvisierte Erhöhung der Entwicklungshilfe auf einen Anteil von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts halten die Hilfswerke für zu niedrig. "Wir brauchen ein neues System öffentlicher Finanzierung", sagte Sacher. So sollte die künftige Bundesregierung aus den Erlösen einer Finanztransaktionssteuer die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit jährlich um 1,5 Milliarden und für die internationale Klimafinanzierung um eine Milliarde pro Jahr anheben.