Leere Gesten im Wahlkampf 2013

Illustration: evangelisch.de/Simone Sass
Leere Gesten im Wahlkampf 2013
Am Sonntag wählt Deutschland eine neue Regierung und Meinungsforscher sagen einen Nichtwähler-Rekord voraus. Viele Bürger sind frustriert, weil sie das Profil der Parteien nicht erkennen. Komplizierte aber wichtige Inhalte können mit Hilfe von Gesten vermittelt werden. Das wusste auch schon Jesus. Doch diese Chance ist verspielt, wenn sie inhaltsleer bleiben.

Menschen lieben große Gesten. An ihnen mangelt es nicht im Bundestagswahlkampf 2013. Lustlosigkeit lässt sich ebenfalls nicht behaupten - blickt man zumindest auf das, was die veröffentlichte Meinung wenige Tage vor dem Gang zur Urne erregt.

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So liest man in den Zeitungen im Land, dass Angela Merkels Dreiecks-Zeichen, auch als "Raute der Macht" bezeichnet, das sie bei Auftritten mit ihren Händen unter der Brust formt, mächtig diskutiert wird. Ebenso wie der von SPD-Herausforderer Peer Steinbrück inszenierte Stinkefinger.

Dabei wird vergessen, dass die, die das möglicherweise aufrichtig beeindruckt, noch gar nicht wählen dürfen. Manche Menschen sind gelangweilt, andere zeigen sich empört, mehr noch frustriert. Viele wissen nicht, welche Partei für welche Inhalte steht und damit, wem sie am Sonntag ihre Stimme geben sollen.

Gesten bringen politische Inhalte ans Publikum

Dabei liegt die Chance guter Politikvermittlung gerade in den großen Gesten. Sie können helfen, schwerverdauliche politische Inhalte an den Wähler zu bringen. Als etwa vor fast 43 Jahren Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Mahnmal für die Opfer des Aufstandes im Warschauer Ghetto einen Kniefall machte, hielt ganz Deutschland den Atem an. Klar war, der Kanzler kniete für alle diejenigen, die es nicht können oder nicht wagen. Auch als vor knapp 30 Jahren Kanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident François Mitterrand sich beim Besuch des ehemaligen Schlachtfeldes von Verdun die Hände reichten, ging dieses Bild rund um die Welt. Gesten unterstützen oder ersetzen komplizierte Worte und berühren die Menschen im Herzen.

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Heute wird auf der politischen Bühne wild und wie es scheint unüberlegt gestikuliert. So soll das O.k.-Zeichen das Gesagte positiv unterstützen und zeigen, dass man alles im Griff hat. Zwei offene Hände signalisieren Tatkraft und Handlungsfähigkeit, die Faust demonstriert Entschlossenheit und Ärger. Der erhobene Zeigefinger erregt Aufmerksamkeit. Das Zeigen der offenen Hand gehört zu jedem Rhetorik-Training. Man demonstriert Offenheit, das kann aber auch leicht zur Abwehrhaltung umschlagen, wenn zu viel Handinnenfläche gezeigt wird.

Die im Wahlkampf 2013 zur Schau gestellte Austauschbarkeit der Gesten verwässert die politischen Inhalte. Vieles scheint beliebig. Dabei steht Wichtiges an: Syrische Flüchtlinge, Energiewende, Mindestlohn, Datenschutz oder soziale Fragen stehen auf der politischen Agenda. Wofür kämpfen aber die einzelnen Parteien? Die Wähler bleiben oft ratlos zurück. Stattdessen dominieren inhaltsleere Gesten über Tage die Medien. Welchen Sinn kann Rhetorik haben, wenn nur noch die Form wahrgenommen wird, die Inhalte aber auf der Strecke bleiben?

Bereits Jesus wusste um die Macht der richtigen Geste

Dabei ist das Wissen vom richtigen Einsatz der Gesten uralt. Auch Jesus hat nicht nur gesagt: "Laßt die Kinder zu mir kommen", sondern er nahm sie in seine Arme und segnete sie. Menschen spüren, wenn Gesten ernst gemeint sind und wann nicht.

Dabei spielen Aufrichtigkeit und der richtige Moment eine bedeutsame Rolle. Zwei Monate vor der Bundestagswahl hat denn auch Bundespräsident Joachim Gauck die Parteien zu einem inhaltlich profilierteren Wahlkampf aufgefordert.

Diese Chance ist vertan. Im Wahlkampfendspurt machen Peer Steinbrücks Stinkefinger und Angela Merkels Zeichen der Macht ihre Runde. Die Aufmerksamkeit der Wähler wird durch pure Show verbraucht. Vielen Politikern fehlt der Mut zur Klarheit und Wahrhaftigkeit. Denn Wähler sind in der Lage sich im Informationsaustausch auch zu komplizierten Sachverhalten eine eigene Meinung zu bilden. Mut und Vertrauen in das Gegenüber: beides ist gut evangelisch.