"Man muss doch auch das Gebot der Nächstenliebe beachten"

Linke Demonstranten in Berlin-Hellersdorf
Foto: dpa/Ole Spata
Linke Demonstranten heißen die Flüchtlinge in Berlin-Hellersdorf willkommen.
"Man muss doch auch das Gebot der Nächstenliebe beachten"
Im Streit über ein neues Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf versucht die Kirchengemeinde zu vermitteln
Unversöhnlich stehen sich in Berlin-Hellersdorf Gegner und Befürworter einer neuen Flüchtlingsunterkunft gegenüber. Gekämpft wird vor allem in politischen Lagern: Linke Aktivisten gegen Rechtsextreme. Doch dazwischen steht eine große, meist schweigende Nachbarschaft. Und die Flüchtlinge, um die es eigentlich geht, sind kaum zu bemerken.
21.08.2013
Luise Poschmann

Zwischen bunt sanierten Plattenbauten sticht das mit grauem Waschbeton verkleidete, einstige Schulgebäude deutlich hervor; am Haus gegenüber wanken Balkonpflanzen leicht im Wind. "Mein Mann hat früher in einem Asylantenheim gearbeitet, der weiß, wie es da zugeht", sagt eine ältere Frau mit rotem Fahrrad, dann wendet sie sich von der neuen Notunterkunft für Asylbewerber im Berliner Stadtteil Hellersdorf ab und fährt davon. Auf der anderen Straßenseite hat die rechtsextreme NPD großflächig für ihren Wahlkampf plakatiert: "Guten Heimflug" wünschen die Pappschilder zynisch.

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Seit Wochen brodelt es  in dem Stadtteil im Osten Berlins, Gegner der Unterkunft  und Menschen, die sich mit den Flüchtlingen solidarisieren, stehen sich unversöhnlich gegenüber. Immer wieder gibt es Proteste, Parolen wie "Nein zum Heim" werden mit Kreide auf die Straßen geschmiert. Auch der Einzug der ersten von insgesamt etwa 200 Flüchtlingen ist am Montag von Tumulten begleitet worden: Lautstark demonstrierten die erklärten Gegner, ihnen gegenüber standen – getrennt durch bis zu 150 Polizisten – die meist der linken Szene zugehörigen Unterstützer. Ein Mann wurde wegen festgenommen, weil er den Hitlergruß gezeigt hatte.

"Das wird jetzt nur noch Stress geben mit den Ausländern", ruft ein 16-Jähriger, der mit seinen Freunden vor einer benachbarten Schule steht. "Die glauben doch, sie können sich in Deutschland alles erlauben!" Viele der Flüchtlinge kommen aus dem bürgerkriegserschütterten Syrien, es sind auch Familien mit Kindern dabei.

Die Weltoffenheit stößt an Grenzen

Längst ist der Streit über die neue Unterkunft für Asylbewerber auch ein Kampf der politischen Lager geworden. Sowohl die NPD als auch die rechtspopulistische Gruppierung "Pro Deutschland" riefen zu Demonstrationen auf, Linksaktivisten halten mittlerweile eine Mahnwache auf der Straße ab. Doch dazwischen gibt es noch eine weitere Gruppe in Hellersdorf, stille Anwohner, die sich nur selten zu Wort melden. Der Bezirk gilt als Brennpunkt, viele Menschen haben keine Arbeit und sind auf staatliche Hilfe angewiesen – Berlins selbsterklärte Weltoffenheit scheint hier an Grenzen zu stoßen.

Um diese Unterkunft geht es - eine frühere Schule in Berlin-Hellersdorf

Wenige Straßen von der Notunterkunft entfernt liegt das Gemeindezentrum der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Hellersdorf, am Dach wird gerade gearbeitet, drinnen ist immer jemand anzutreffen. Gemeindevertreterin Erika Braekow berichtet, die Menschen hätten Angst, dass die karitative Essenausgabe der Kirche nun von den Flüchtlingen genutzt werde. "Da heißt es noch, die nehmen uns Deutschen das Essen weg", sagt Braekow.

Pfarrer Hartmut Wittig ist stets über die Ereignisse in der Nachbarschaft informiert, seit der Konflikt vor einigen Wochen auf einer Veranstaltung des Bezirks losgebrochen ist. Es geht ihm nicht besonders gut in diesen Tagen, die unrühmliche Aufmerksamkeit, die seine Gemeinde bekommen hat, macht ihm zu schaffen. "Wir haben von dem Heim auch gar nichts gewusst, bis uns der Bezirk gefragt hat, ob in unseren Räumen eine Bürgerversammlung stattfinden könnte", erzählt Wittig. Letztlich sei er froh, dass das Gemeindezentrum zu klein war.

NPD-Mitglieder als "besorgte Nachbarn"

Denn anstelle der erwarteten rund 120 Anwohner strömten an dem sonnigen Dienstagabend im Juli rund 1.000 Menschen zu der Bürgerversammlung. Mobil gemacht hatte die anonym im Internet agierende "Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf", die offen fremdenfeindlich auftritt. Unter den Teilnehmern der Versammlung waren auch zahlreiche zugereiste Rechtsextreme und NPD-Mitglieder, sie riefen Parolen und gaben sich als besorgte Nachbarn aus. "Unsere Kinder sind wichtig und nicht das, was hierhin kommt", rief eine Frau.

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Schnell bemühten sich die Politiker, vor rechtsextremer Hetze zu warnen. Neonazis hätten die Informationsveranstaltung des Bezirks "schamlos für ihre fremdenfeindlichen Parolen genutzt" und das Dialogbedürfnis der Bürger "instrumentalisiert", ließ etwa Berlins Sozialsenator Mario Czaja (SPD) verlauten.

Doch es ist nicht das erste Mal, dass der Protest gegen ein neues Flüchtlingsheim in Berlin bizarre Züge annimmt. Auch im Westend wurden schon Unterschriften gegen eine neue Unterkunft gesammelt, in Wittenau hat eine Eigentümergemeinschaft nach der Eröffnung einer Flüchtlingsunterkunft kurzerhand einen Zaun um den Spielplatz auf dem Gelände ziehen lassen – Kinder von Flüchtlingen sind dort auf Schaukel und Wippe nicht erwünscht. Für dieses Jahr rechnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit mindestens 5.000 weiteren Asylbewerbern in Berlin, alle Notunterkünfte der Stadt sind heillos überfüllt.

"Beifall klatscht hier keiner"

"Viele Leute suchen immer nur einfache Lösungen", sagt Pfarrer Wittig. Dabei sei die Situation der Flüchtlinge hoch komplex, fügt er hinzu. Jeder dürfe ja seine eigene Meinung haben, aber es müsse doch immer Respekt vor den Menschen und ihrer schwierigen Situation geben. "Man muss doch auch das Gebot der Nächstenliebe beachten", meint der Pfarrer und streicht sich nachdenklich über die Stirn. Auch Prädikant Carsten Unbehauen sucht so oft es geht das Gespräch mit den Leuten in der Nachbarschaft – jenen, die nicht radikal sind, sondern schlicht Ängste mit sich herumtragen. "Beifall klatscht hier keiner" berichtet Unbehauen. "Die meisten haben Sorge, dass das Heim Unordnung in die Nachbarschaft bringt."

Dabei sind die, über die am meisten gesprochen wird, fast unsichtbar. Nur vereinzelt sitzen einige Menschen im eingezäunten Hinterhof der ehemaligen Schule, einer von ihnen ist der 21-jährige Zain aus Pakistan. Die Nachricht, dass er hier einziehen kann, sei sehr plötzlich gekommen, erzählt er und lacht nervös. Innerhalb von nur einer Stunde habe er alle seine Sachen gepackt, die Schultern schmerzten ihm noch vom Tragen der Taschen. Den tumultartigen Empfang vor dem Heim habe er zunächst gar nicht begriffen, sagt Zain. Niemand habe ihm erzählt, dass es solche Auseinandersetzungen geben könnte.

Die Kirchengemeinde will in den kommenden Tagen auf die Flüchtlinge zugehen und Angebote für die Kinder machen. Ob das angenommen wird, weiß derzeit noch keiner. Der Wachdienst des Asylbewerberheims lässt vorläufig keine Besucher in das Haus.