Auftankstation für die Seele

Foto: epd-bild/Jens Schulze
Cornelia Anbel-Issifu (links) und Gabi Bilger aus Heidelberg besuchen auf ihrer Fahrradtour von Minden nach Wilhelmshaven die Radwegekirche Loccum in Niedersachsen.
Auftankstation für die Seele
Radwegekirchen bieten Touristen Rastorte mit Geschichte
Kirchen für Urlauber gibt es nicht nur an Autobahnen: Deutschlandweit laden 258 Radwegekirchen mit einem farbigen Logo zur Rast ein. Geboten werden ein Schattenplatz, Trinkwasser, Toiletten und die Chance auf Führungen oder eine Andacht.

Ulrike Schwarze freut sich stets über spontanen Besuch. "Wenn ich durchreisende Radfahrer kommen sehe, gehe ich hinüber, mache Führungen oder biete ein Glas Wasser an", erzählt die evangelische Pfarrerin, die seit 17 Jahren direkt gegenüber der Hagedorner Dorfkirche in Kirchlengern im westfälischen Kreis Herford wohnt. Viele nutzten die Gartenanlage der nah am Else-Werre-Radweg gelegenen Kirche als schattigen Rastplatz.

###mehr-artikel###Das Gotteshaus ist eine sogenannte Radwegekirche, die auch außerhalb von Gottesdiensten für Besucher geöffnet ist. Immer mehr Kirchengemeinden entdeckten für sich die Möglichkeit, ihre Baudenkmäler als touristische Anziehungspunkte zu nutzen, berichtet Pfarrer Jürgen Schilling vom Büro für Freizeit und Erholung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover. In den vergangenen zwölf Monaten stieg nach EKD-Angaben die Zahl der bundesweit zertifizierten Radwegekirchen um 70 Prozent von 150 auf 258. Die EKD koordiniert das Projekt der bundesweit 20 Landeskirchen.

Ein buntes Signet mit Rad-Piktogramm kennzeichnet die Kirchen, an denen Fahrrad-Urlauber oder Wanderer Sitzbänke, Radständer, Trinkwasser und Toiletten vorfinden. Auf der EKD-Internetseite www.radwegekirchen.de reihen sich auf einer Deutschlandkarte die Kirchen entlang von mehr als 80 bekannten Radwegen. Abrufbar sind jeweils Kontaktdaten, Öffnungszeiten, besondere Gebetsorte und auch Spielmöglichkeiten für Kinder.

Die meisten sind in Mitteldeutschland

Die meisten Radwegekirchen finden sich in Mitteldeutschland entlang der Flussläufe Elbe, Saale und Werra, auch der Weserradweg ist gut bestückt. Klassische Radtouristen-Region ist zudem Bayern. Ebenso erweitere die Evangelische Kirche von Westfalen ihr Angebot an beliebten Strecken wie dem Ruhrtalradweg oder der Westmünsterland-Tour seit 2011 ständig, sagt Schilling.  Weiße Flecken gebe es nur vereinzelt entlang des Rheins in Großstädten wie Köln, im Hunsrück und Pfälzerwald. 

Die Kirchen am Wegesrand bieten mehr als schöne Rastplätze: "Die Besucher können in eine Welt mit oft über 100 Jahre alten Lebensgeschichten eintauchen", sagt Schilling. Gleichzeitig sammelten die Gemeinden vor Ort inspirierende Erfahrungen. "Radtouristen sind nicht im Pulk, sondern oft zu zweit unterwegs", erklärt der Theologe, "das ermöglicht eine viel offenerer Atmosphäre und tiefere Gespräche." Wie beim Pilgern sollten sich die Radwegekirchen zu "spirituellen Raststätten" entwickeln, ergänzt Pfarrer Andreas Isenburg, Projektbetreuer in der westfälischen Kirche.

Autobahnkirchen als Vorbilder

Die bundesweit erste Radwegekirche wurde von Christfried Boelter 2001 am Höhenwanderweg am Rennsteig im Thüringer Wald eröffnet. "Jede offene Kirche ist besser als eine, die vor sich hinschläft", meint der Pfarrer im Ruhestand, selbst passionierter Rad-Urlauber. Vorbild waren die Autobahnkirchen. Die kleine Johanniskirche in Reinhardsbrunn mit 50 Plätzen ist zur beliebten "Auftankstation für die Seele" geworden, wie Boelter sagt. Über 40 Kirchen in Ostdeutschland schlossen sich seitdem der Idee an. "Die Gemeinden entlang des Elberadweges haben mehr Geld in der Kollekten-Büchse von Urlaubern, als sonntags beim Gottesdienst gesammelt wird."

###mehr-links###Boelter erwartet mehr Fahrradtourismus als "Gegenpol zur hektischen Welt". Bereits jetzt machen nach Angaben des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) jährlich rund zwei Millionen Deutsche Urlaub auf zwei Rädern. Gab es vor 15 Jahren vor allem Sportfahrer, denen es auf Streckenkilometer ankam, geht der Trend Studien zufolge zu Genussradlern. Die planen ihre Touren und interessieren sich für die Landschaften. Gesundheitsaspekte und nachhaltiges Handeln spielten dabei eine ebenso große Rolle wie das Bedürfnis nach Einkehr und einem geistigen Angebot, sagt Boelter. "Mit ihrem reichen Schatz an Gebäuden, Musik und Geschichte haben die Kirchen da eine Menge zu bieten."

Ansprechpartner sind das EKD-Büro für Freizeit, Erholung und Tourismus, Telefon (0511) 27960, sowie der EKD-Lutherwegbeauftragte Christfried Boelter, Telefon (0362) 2905821.