Mit Schirm, Charme und Schaber

"Hey, das ist verboten!" hört Irmela Mensah-Schramm immer wieder, wenn sie loszieht, um rassistischte Graffiti zu übersprühen
Foto: Gloria Veeser
"Hey, das ist verboten!" hört Irmela Mensah-Schramm immer wieder, wenn sie loszieht, um rassistischte Graffiti zu übersprühen
Mit Schirm, Charme und Schaber
Auch 20 Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen, bei dem fünf Menschen starben, und spätestens seit Bekanntwerden der NSU-Morde ist klar: Rechtsradikale wüten unter uns, Ausländerfeindlichkeit ist weit verbreitet. Wegschauen ist keine Option, aber was soll einer allein schon tun können gegen Angst und Schrecken verbreitende Neonazis? Die Berliner Rentnerin Irmelah-Mensah Schramm leistet täglich ihren Beitrag gegen Rechtsradikalismus, bei Wind und Wetter.

Als die zierliche Dame mit dem weißen Haar mitten auf der Straße und am helllichten Tag ihre Spraydose auspackt, zücken die Passanten das Telefon. "Hey guck' mal, die Alte da macht Schmierereien", grölt eine Gruppe vorbeilaufender Schüler und knipst das skurrile Bild der sprayenden Rentnerin mit der Handykamera. "He Sie, das ist verboten", glauben gar die Älteren zu wissen und belehren die preisgekrönte Menschenrechtsaktivistin Irmelah-Mensah Schramm über Recht und Unrecht. Die lässt sich nicht beirren, entgegnet ein schnelles: "Rechte Graffiti sind auch Unrecht", und übermalt den "Nazi-Crew"-Slogan an der Wand weiter mit blauer Farbe, bis er nicht mehr zu entziffern ist.

###mehr-artikel###Nicht selten ruft ein Passant die Polizei, dabei ist das, was Mensah-Schramm tut eigentlich Aufgabe der Polizisten: Nazi-Schmierereien sind Volksverhetzung, und die Polizei hat die Pflicht, deren Entfernung zu veranlassen. Doch die 67-Jährigen erzählt von ihren Erfahrungen, dass auch unter Polizisten einige auf der rechten Seite des Gesetzes stünden, und dass sie allzu gern die bunten Aufkleber übersähen.

Also zieht Irmela Mensah-Schramm selbst los, um Berlins Straßen von dem "Nazi-Dreck" zu säubern, und ihr entgeht ihr nicht die geringste Kleinigkeit. Ob rassistische Graffiti übersprühen, "Ein-Herz-für-Deutschland"-Aufkleber abschaben, oder ein mit Edding gekritzeltes Hakenkreuz wegputzen: Sie ist für alle Eventualitäten ausgerüstet.

"Der Schaber? Den gab's im Sonderangebot!"

Und dabei ist diese Dame wahrlich keine Schönwetter-Aktivistin. Den Schirm in der einen, den Ceran-Kochfeldschaber in der anderen Hand, im Jutebeutel Nagellackentferner und Spraydose – so zieht Irmelah Mensah-Schramm auch bei strömendem Regen los. Diesmal durch den als Nazi-Hochburg berüchtigten Berliner Stadtteil Königs-Wusterhausen. Seit nunmehr 27 Jahren läuft sie durch Berlins Straßen, jeden Tag. In dieser Woche war sie 35 Stunden unterwegs: Ein Vollzeit-Job.

Aufkleber abkratzen, Graffiti übersprühen oder in Holz geritze Symole entfernen - das ist ihre Leidenschaft
Ihr wichtigstes Utensil dabei: Eine große Portion Mut. So antwortet sie nicht nur schlagfertig auf Passanten, sondern schmeißt Neonazis, denen sie begegnet, auch schon mal ein NPD-Plakat zusammengeknüllt vor die Füße. "Die meisten sind viel zu baff, um zu reagieren", erzählt sie mit einem schelmischen Lachen auf den Lippen.

Rechtsradikale grüßten sie inzwischen schon mit Namen, ihr Gesicht sei in der Szene schon bundesweit bekannt, sagt sie. Als sie neulich ein Neonazi anpöbelte und sie fragte, wo sie denn den Schaber herhabe, antwortete sie: "Den gab es bei Aldi im Sonderangebot", und dann, wie um der Drohung des Nazis zuvorzukommen: "Und keine Sorge, ich hab' einen ganzen Vorrat davon zu Hause!"

Sie hat: einen Schutzengel und gute Ideen

Unerschrocken und voller Galgenhumor tritt diese kleine Frau der furchteinflößenden Bedrohung entgegen: "Schon als Kind dachte ich: Was soll schon passieren, mehr als sterben kann ich ja nicht!". Bisher hatte sie Glück: Auf der Stirn hat sie eine dicke Narbe, da hatte sie vor einigen Monaten bei der Gegendemo zum Naziaufmarsch in Dresden einen Pflasterstein abbekommen. "Ich hatte einen Schutzengel", sagt sie - hätte sie sich nicht genau in dem Moment, als der Stein kam, gebückt und nach ihrer Kamera gegriffen, hätte das Wurfgeschoss direkt ihr Auge getroffen.

Die Rentnerin bei der Arbeit - einmal hat sie rund 700 Nazi-Symbole an einem Tag entfernt
Aber nicht nur Rechtsradikale reagierten zornig, erzählt sie, auch ganz normale Passanten regten sich über ihre Arbeit auf: "Lassen Sie das dran, die Nazis haben ja Recht!", solche Sprüche habe sie auf ihren Touren schon von schicken Damen gehört, ebenso wie von kleinen Kindern. In einem kleinen bunt gestreiften Büchlein führt sie genau Protokoll, hält jede Begegnung, jeden neuen Sticker und jeden zynischen Spruch fest. So kann sie auch guten Gewissens sagen, dass sie insgesamt schon über 130.000 Nazi-Symbole weggemacht hat. Einmal gar 700 an einem Tag, das war ihr Rekord, in Rudow, im Süden Berlins. Und sie macht Fotos von den Hass-Parolen, 15.000 Bilder hat sie schon, eine Auswahl kommt in ihre Wander-Ausstellung.

Eine Ausstellung, die sie schon 380-mal gezeigt hat, und die sie jetzt, nach zähem Ringen, endlich nach Königs-Wusterhausen gebracht hat. Nur: Bisher hat sich dort noch keine einzige Schulklasse für einen Rundgang angemeldet. Dabei hat sich Irmelah-Mensah Schramm etwas Geniales ausgedacht: In einem Workshop zur Ausstellung bietet sie 4. bis12.-Klässlern an, gemeinsam die Nazi-Parolen umzugestalten: So werden aus SS-Runen Engel, aus "Juden in den Ofen" wird "Kuchen in den Ofen", aus "Polen sind scheiße" wird "Polen scheißen genauso wie wir."

An den Aufklebern vorbeilaufen? Unmöglich!

Durch diese Aktion habe sie Kindern schon andernorts geholfen, mit Humor und Kreativität selbst gegen die Angst aktiv zu werden: "Die Schüler gehen raus und wissen konkret, was sie selbst jeden Tag gegen Rechtsradikalismus tun können", so Mensah-Schramm. Nur manche Schulen, so wie die in König-Wusterhausen, tun sich damit schwer: "Die wollen dann lieber so etwas Abstraktes, reden über unsere tolle Demokratie. Aber darüber, was täglich auf den Straßen passiert, darüber wollen die nichts wissen. Sie verschließen die Augen."

###autor###Diese Heuchelei nerve sie am meisten: Vier Preise hat Irmelah-Mensah Schramm zwar für ihr Engagement schon bekommen, aber zwei, darunter die Bundesverdienstmedaille, hat sie wieder zurückgegeben. "Unter Tränen", so erzählt sie, "aber ich lasse mich nicht verarschen". Auf der einen Seite geehrt, auf der anderen immer wieder kriminalisiert zu werden, das stinkt ihr ganz gewaltig. Als sie 1992 ein Graffito "Türken vergasen" übermalte, stieß sie ein Mitarbeiter der Berliner Verkehrsbetriebe rückwärts auf den Boden, sie stürzte auf den Hinterkopf und musste ins Krankenhaus – und dann erstattete der Wachmann eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Körperverletzung.

Sobald sie wieder laufen konnte, hat sie weitergemacht, erzählt sie. Sie zieht es vor, ihren Beitrag gegen Rechtsradikalismus zu leisten, statt zu jammern, dass andere nur reden und nichts tun. Wie lange sie das noch machen will? "Ich könnte heute gar nicht mehr aufhören. Das ist meine Leidenschaft. Irgendwann einfach an den Aufklebern vorbeilaufen, das könnte ich nie."

Also tut sie weiter das, was sie nicht lassen kann, und zeigt dem Verfassungsschutz, der Polizei und der Gesellschaft, wie Zivilcourage geht.