Die Fehler Israels und der steinige Weg zum Frieden

Foto: dpa/Mohammed Saber
Nach einem israelischen Luftangriff steigt über dem Ostteil von Gaza-Stadt Rauch auf. Nach acht Tagen endete die militärische Auseinandersetzung am Mittwochabend vorläufig - Zeit für eine erste Bilanz.
Die Fehler Israels und der steinige Weg zum Frieden
Am Mittwochabend ist ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas in Kraft getreten. Der israelische Sicherheitsexperte Gershon Baskin hält die Tötung von Hamas-Militärchef Ahmed al-Jabiri, die die jüngste Eskalation ausgelöst hatte, für einen schweren Fehler. Warum, erläutert er im evangelisch.de-Interview.

Vor einer Woche hat Israel Ahmad al-Jabari liquidiert, den Militärchef der Hamas. Wenige Stunden zuvor hatte er einen von Ihnen mitverfassten Entwurf für einen dauerhaften Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas erhalten. Warum diese Hinrichtung?

Gershon Baskin: Die Sicherheitsbehörden waren der Ansicht, dass die Eskalation in Gaza inakzeptabel sei. Die Waffenstillstände wurden immer kürzer und die Raketenangriffe immer heftiger. Man musste etwas zur Abschreckung unternehmen. Eine Option war, den Oberkommandanten und mächtigsten Mann des Feindes zu liquidieren, um seinen Untergebenen klar zu machen, dass niemand immun sei und dass Israel jeden erreichen könne. Außerdem hatte Israel zu dem Zeitpunkt sehr genaue Geheiminformationen über seinen Aufenthaltsort.

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Ein Zufall, dass Jabari gerade einen Waffenstillstandsabkommen mit Israel unterschreiben wollte?

Baskin: Ja, ein absoluter Zufall. Jabari hätte nicht gleich unterschrieben. Entscheidungsprozesse innerhalb der Hamas sind sehr komplex. Da gibt es mehrere Beratungen, bevor sich ein Konsens bildet. Seit einem Jahr arbeite ich mit Razi Hamad von der Hamas an diesem Abkommen. Dafür habe ich vier verschiedene Fassungen geschrieben. Hamad zeigte der Hamas-Führung gerade zwar einen Entwurf, aber ein Abkommen stand nicht unmittelbar bevor.

Haben Sie in eigener Regie vermittelt oder im Auftrag Israels?

Baskin: Ich habe gleich nach Gilad Schalits Befreiung im vergangenen Oktober angefangen, an diesem Waffenstillstandsabkommen zu arbeiten. Dabei informiere ich immer die offiziellen Stellen in Israel. Im Mai zeigte ich Verteidigungsminister Ehud Barak meinen Entwurf. Eine Kommission von Sicherheitsexperten lehnte ihn schließlich ab. Die meisten wollten kein Abkommen mit der Hamas. Vor drei Wochen kam es zur letzten gemeinsamen Initiative mit Razi Hamad.

"Jabari glaubte als Muslim, dass allein Allah sein Schicksal und auch seinen Tod bestimme."

Solange Jabari den israelischen Soldaten Gilad Schalit als Geisel hielt, hatte er eine Art Lebensversicherung.

Baskin: Ja, das dachten wir auch während der Verhandlungen um seine Befreiung. Ich wurde dann beauftragt, bei Jabari nachzufragen, ob Israel ihm eine andere Lebensversicherung im Austausch gegen Schalit geben könne. Er lachte darüber und sagte, er glaube als Muslim, dass allein Allah sein Schicksal und auch seinen Tod bestimme. Er habe keine Angst zu sterben.

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Sie halten seine Liquidierung für einen gravierenden Fehler. Warum?

Baskin: Es waren gleich drei Fehler: Zum einen hatten wir eine Chance, das strategische Ziel einer Waffenruhe mit der Hamas zu erreichen, und zwar ohne Gewaltanwendung, Krieg, Tote und Zerstörung – von den finanziellen Kosten ganz zu schweigen. Diese Option hätten wir zumindest versuchen sollen. Die Hamas war wohl erstmals bereit, Anschläge gegen Israel aus Gaza zu verhindern, um der israelischen Liquidierungen zuvor zu kommen. Zweitens war Jabari in den vergangenen zwei Jahren der Verantwortliche, der den Waffenstillstand auch gegen den Willen der radikaleren Gruppen durchsetzen konnte. Und drittens verdächtigen nun manche Hamas-Unterhändler die ägyptischen Geheimdienstler, die als Vermittler fungierten, an dieser Liquidierung beteiligt gewesen zu sein. Zum Glück stellte sich der ägyptische Präsident und Moslembruder Mohammed Mursi hinter seine Geheimdienstler und konnte die Hamas überzeugen, dass ihr Verdacht unsinnig sei. Dennoch: Die Liquidierung könnte dafür den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag gefährden, der für Israels Sicherheit extrem wichtig ist.

"Direkte Verhandlungen zwischen Israel und Hamas wird es nicht geben. Ägypten spielt die Schlüsselrolle."

Welche Bedeutung hat Ägypten als Vermittler zwischen Israel und Hamas?

Baskin: Ägypten spielt hier die Schlüsselrolle zum Erfolg und Israel muss beide Seiten zufrieden stellen. Direkte Vereinbarungen zwischen Israel und Hamas wird es nicht geben, nur Vereinbarungen zwischen Israel und Ägypten einerseits sowie Hamas und Ägypten andererseits. Israel wird wohl eine Sperrung der Tunnel fordern, damit sich die Hamas nicht mit noch moderneren Raketen aufrüstet. Hamas wiederum fordert die Öffnung des Grenzübergangs Rafah. Hier soll eine anerkannte internationale Grenze entstehen, ein erster Schritt in Richtung Anerkennung des Gazastreifens als Staat im Entstehen.

Neben der Hamas erstarkt die noch radikalere Gruppe Islamischer Dschihad. Sie bewaffnen sich an der Hamas vorbei mit Raketen – obwohl die Hamas die Tunnel kontrolliert. Wie geht das denn?

Baskin: Ja, der Islamische Dschihad hat sogar die Hamas als Kollaborateure mit dem Feind Israel dargestellt, und nun muss sich die Hamas behaupten. Zum einen dadurch, dass sie noch radikaler wird. Zum anderen, indem sie die Tunnel kontrolliert und bestimmt, wer was bekommt. Doch da mindestens jede zweite Rakete in Gaza selbst hergestellt wird, ist das schwer. Die passenden Werkstätten dafür gibt es ja, und die Herstellung ist nicht sehr kompliziert.

"Die Grenzübergänge werden genau kontrolliert."

Also darf Israel die Grenzübergänge nicht öffnen, sonst kann sich die Hamas noch leichter bewaffnen.

Baskin: Nein, diese Grenzübergänge werden genau kontrolliert. Ägypten hat kein Interesse, den Schmuggel von Waffen aus Libyen und dem Sudan nach Sinai zu erlauben, die ihre Herrschaft auf der Halbinsel gefährdet.

In Ihrem Waffenstillstandsentwurf wollten Sie Israel sogar das Recht einräumen, jemanden zu töten, der gerade eine Rakete auf Israel abfeuern will – ohne dass das Land dabei den Waffenstillstand verletzen hätte.

Baskin: Darüber haben wir gesprochen. Die Hamas sollte solche Liquidierungen nicht genehmigen, sondern nur dulden. Immerhin wäre der Beschuss selbst ja auch eine Verletzung des Waffenstillstands. Und wenn die Hamas nicht rechtzeitig eingreift, kann Israel das tun. Umgekehrt sollte auch Israel einen einzelnen Beschuss nicht als Verletzung betrachten – vorausgesetzt, die Hamas würde die Schuldigen festnehmen und bestrafen.

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Wird Jabaris Nachfolger noch radikaler sein, um die nötige Autorität zu gewinnen?

Baskin: Wahrscheinlich ja. Sein Stellvertreter Marwan Issa hat inzwischen seine Aufgaben übernommen. Er genießt weder die Autorität noch dessen Charisma. Jabaris Errungenschaft war es, unorganisierte, geheime Terrorzellen, die individuell agieren, in eine organisierte Armee mit einer klarer Befehlskette, die auch weiterhin existiert.

Was bedeutet der Krieg zwischen Israel und Hamas für die im Westjordanland regierender Palästinenserbehörde und Fatah?

Baskin: Dieser Krieg schwächt Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sehr. Jede inner-palästinensische Versöhnung und Einheitsregierung rückt weiter in die Ferne. Wenn Israel Abbas stärken will, muss es mit ihm ein Friedensvertrag über die Gründung eines Staates Palästina schließen.

Glauben Sie, dass die Regierung diese Militäroperation startete, auch um daraus politischen Kapital schlagen zu können?

Baskin: Nein. Bis zu den Wahlen in zwei Monaten vergeht zu viel Zeit. Aber die nächste Vereinbarung mit der Hamas, auf die wir wohl noch eine Weile warten müssen, wird im Wahlkampf sicherlich eine Rolle spielen.