Auf den Gipfeln wohnen die Götter

Foto: Christoph Gebhardt
Das Brautpaar in Tracht und festem Schuhwerk auf dem Gipfel des Herzogstands.
Auf den Gipfeln wohnen die Götter
Eine Trauung 1731 Meter über Normal Null
Das Höchste, von dem der Hamburger Pastor Frank Muchlinsky normalerweise herabsieht, ist seine Wohnung im dritten Stock. Bis er ein befreundetes Paar auf dem "Herzogstand" trauen soll.
17.08.2012
evangelisch.de

Ich bin kein großer Freund von Outdoor-Event-Hochzeiten. Als Pfarrer bekomme ich zu diesen Gelegenheiten häufig das Gefühl, zum reinen Dienstleister zu werden. Die Akustik ist schlecht, es ist entweder zu heiß oder zu nass, jeder Vogel, jede Blume ist mindestens so interessant wie meine Ansprache. Ab und an aber überwinde ich meinen Widerwillen und stelle mich der Konkurrenz und den Herausforderungen der Natur. Dann lasse ich mich überreden und gebe besonders lieben Brautpaaren mein Ja-Wort zu einer Hochzeit unter freiem Himmel. So war ich auch vor allem neugierig, als mich eine gute Freundin bat, ich möge sie und ihren Liebsten am Gipfelkreuz des Herzogstands trauen.

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Einen Berggipfel hatte ich noch nicht in meinem Portfolio. Strand, Seeufer und Park wohl, aber noch keinen Ort, zu dem man per Seilbahn gelangt. Das war es zumindest, was die Freundin mir geschrieben hatte. Man nimmt das Auto bis zum Fuß des Berges, dann die Seilbahn zur Hütte und von dort aus ist es nur noch ein kleines Stück Weges zu Fuß bis zum Gipfel. Ich recherchierte: Herzogstand – 1731 Meter über dem Meeresspiegel. Berg in den Voralpen, beliebtes Ausflugsziel für Leute aus München. Das klang durchaus einladend. Kurz vor dem großen Tag schrieb die Freundin noch an alle Gäste: "Noch eine wichtige Information für alle Damen: Wir können leider den 15-minütgigen Weg zum Gipfelkreuz nicht mit unseren todschicken Manolo Blahnik's erklimmen. Also nehmt bitte Turnschuhe oder ähnlich festes Schuhwerk mit."

Dem Himmel kann man auch im flachsten Land nah sein

Ich hätte also gewarnt sein können. Da ich mich aber nicht angesprochen fühlte und ohnehin gedachte, festes Schuhwerk zu tragen, machte ich mir keine Sorgen. Meinen Talar verstaute ich im Rucksack, meine Wanderstiefel schaute ich kurz an und stellte sie dann zurück ins Regal. Bei unserem Traugespräch hatte ich erfahren, dass es vor allem der Bräutigam war, der ein echter Alpinist ist, und dass es vor allem seine Idee gewesen war, sich einen Berggipfel als Ort für die Trauung auszusuchen. Als echter Norddeutscher konnte ich wohl erahnen, was so faszinierend sein soll an den Bergen, doch fühlte ich mich bislang auch im flachsten Land dem Himmel immer sehr nah, und ein Gefühl von Erhabenheit ergreift mich beim Anblick eines weiten Horizonts, der nicht von störenden Bergen verstellt ist. Doch fiel mir ein, dass es vor allem die Berggipfel sind, auf denen sich die Götter – auch der Gott der Bibel – gern offenbaren. Wo empfängt Mose die Zehn Gebote? Wohin verschwindet Jesus mit ein paar Jüngern, als seine Göttlichkeit offenbart wird? Auf einen Berg.

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Berggipfel sind aber nicht nur wegen ihrer Nähe zum Himmel Wohnungen der Götter, sondern auch weil sie recht unzugänglich sind. Warum hatte ich das in meinen Überlegungen nicht parat? Vielleicht weil ich mir nicht eingestehen mochte, dass es für mich auch ohne Manolo Blahnik ein Problem werden könnte, den Herzogstand zu erklimmen. Ich bin nicht gut zu Fuß. Meine Beine werden beim Gehen schneller müde als die anderer Menschen. Ein Spaziergang ist drin, aber wandern kann ich nicht. Als wir am Hochzeitstag nach der Gondelfahrt an der Hütte ankamen und ich zum Gipfelkreuz aufblickte, wurde mir schnell klar, dass ich mich auf ein echtes Abenteuer eingelassen hatte und dass ich deutlich vor den anderen Gästen aufbrechen müsste, um rechtzeitig zur Trauhandlung auf dem Gipfel zu sein.

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Ich bat meine Frau aufzubrechen, und gemeinsam machten wir uns an den Aufstieg. Zunächst führte uns ein breiter Weg aufwärts, und ich fasste wieder Mut, doch dann zeigte der Wegweiser nach links zu einem Pfad, der sich in engen Windungen und für mein Empfinden recht steil den Berg hinauf schlängelte. Sehr vorsichtig und langsam machten wir uns an das, was nun wirklich den Ausdruck "Aufstieg" verdiente.

An mehreren Stellen war der Pfad ausgewaschen, und meine Füße hatten Schwierigkeiten, den Grund zu ertasten. Mehrere Mal machten wir Halt, damit ich mich ausruhen und nicht zuletzt beruhigen konnte. Meine Frau sah mich zunehmend besorgt an, und ich teilte ihre Sorgen. Wenn der Aufstieg uns auch gelingen sollte - irgendwann würde ich wieder absteigen müssen. Bei einem erneuten Stopp hörte ich, dass die anderen Gäste bereits auf dem Weg waren. Gleich würden uns die ersten überholen. Wir ließen sie passieren. Dann endlich waren wir kurz vor dem Gipfel. Doch anstelle von Erleichterung machte sich nun vollends Verzweiflung in mir breit, denn die letzten Meter waren so steil, dass ich sie unmöglich erklettern konnte. Ich schaute nach oben, und augenblicklich reckte sich mir eine Hand entgegen.

"Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?"

Ich wurde von einem starken Arm auf den Gipfel gezogen, und ich blickte in ein freundliches Gesicht. Ohne weiter nachzudenken sagte ich dem freundlichen Fremden: "Du hilfst mir nachher beim Abstieg." "Gern", kam die Antwort. Außer Atem aber unendlich erleichtert konnte ich nun den Blick genießen und mir dann meinen Talar anziehen. Die Trauung an dem metallenen Gipfelkreuz konnte beginnen. Wir sangen aus vollen Kehlen, der Braut liefen ein paar Tränen die Wangen hinab, und mir fiel auf, dass sie zu ihrer "Brautkleid-Dirndl-Kombination" Wanderstiefel trug.

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Dann machte sich die Gesellschaft an den Weg hinunter. Ich musste nicht lange nach meinem "Sherpa" suchen. Er wartete bereits auf mich. "Wie machen wir das jetzt am besten?" fragte ich ihn, und er bot mir an, eine meiner Hände zu fassen und mit der anderen konnte ich mich an seiner Schulter abstützen. So ging es bergab – er vor mir hergehend wie ein wandelndes Geländer. Meine Füße fanden so einfach sicheren Halt, dass ich bald anfing, mich mit meinem Helfen zu unterhalten, mir Geschichten von seinen Touren durch die Berge erzählen zu lassen. Ehe ich mich versah, waren wir wieder auf dem breiten Weg angelangt und bald darauf an der Hütte, wo mir das Bier gut wie selten schmeckte und wo ich am Abend so lange tanzte, wie es meine Füße erlaubten.

Seit diesem Tag ist es die logischste Sache der Welt, sich auf einem Berggipfel trauen zu lassen. Nicht wegen der großen Freiheit, die man dort spürt, oder wegen der Erhabenheit der Umgebung. Nicht wegen der Nähe zu Gott oder zum Himmel, sondern weil man dort spüren kann, wie gut es ist, wenn man nicht allein ist. Auf den Gipfeln wohnen die Götter, und ab und an schickt uns Gott von dort aus einen handfesten Engel an die Seite.