Juden und Muslime fordern Korrektur des Beschneidungsurteils

Juden und Muslime fordern Korrektur des Beschneidungsurteils
Nach dem Kölner Beschneidungsurteil fordern Vertreter von Juden und Muslimen in Deutschland eine Korrektur der Gerichtsentscheidung. "Die Beschneidung ist für den jüdischen Glauben absolut elementar und nicht verhandelbar", sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, dem Münchner Nachrichtenmagazin "Focus". Der integrationspolitische Sprecher der FDP, Serkan Tören, erklärte, er strebe eine gesetzliche Neuregelung zu Beschneidungen an.

Das Landgericht Köln hatte am Dienstag die Beschneidung eines minderjährigen Jungen aus religiösen Gründen als Körperverletzung bewertet. Wenn sich diese Rechtssprechung durchsetzen würde, "dann wäre Deutschland das einzige Land der Welt, in dem Beschneidung verboten wäre", sagte Graumann. Eine spätere Beschneidung von jüdischen Jungen schloss Graumann aus. "Da müsste man schon mit dem lieben Gott verhandeln", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Die jüdische Religion sieht vor, dass Jungen acht Tage nach der Geburt beschnitten werden. Das Landgericht argumentierte, dass das Erziehungsrecht der Eltern nicht beeinträchtigt werde, wenn sie abwarten müssten, bis ihr Kind selbst eine Entscheidung zur Beschneidung treffen könne.

Sollte das Kölner Urteil Schule machen, wäre jüdisches Leben in Deutschland praktisch nicht mehr möglich und offenbar auch nicht erwünscht, sagte Graumann der Sonntagszeitung weiter. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass es sich in Deutschland durchsetze, "das Judentum gefühllos in die Illegalität zu drängen". Der FDP-Politiker Tören sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag), er setze sich für ein Gesetz ein, das die weltweit etablierte Praxis der Bescheidung auch in Deutschland legalisiere. Die Ungewissheit, vor der Tausende muslimische und jüdische Familien stünden, sei nicht hinzunehmen: "Sollte die Beschneidung aus religiösen Gründen in Deutschland verboten sein, kann sich das Land jede weitere Integrationspolitik sparen".

Gang zum Bundesverfassungsgericht?

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, sagte dem "Focus", seine Organisation prüfe gerade, "einen Präzedenzfall zu schaffen", um die Frage der rituellen Beschneidung über den Instanzenweg vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen. Unterstützung erhielten die Religionsvertreter vom Berliner evangelischen Bischof Markus Dröge und dem Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe (SPD). "Wenn dieses Urteil Bestand hat, dann haben wir wirklich ein Problem", sagte Robbe. "Dies würde einen massiven Eingriff in die Religionsfreiheit bedeuten."

Dröge kritisierte die Entscheidung als "kulturelles Armutszeugnis". "Es ist eine Missachtung kultureller Identität und Tradition und sowohl medizinisch als auch religiös und juristisch abwegig", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Kölner Urteil werde juristisch auf Dauer nicht haltbar sein, denn das Recht der Eltern, religiöse Identität weiter zugeben, müsse ganz anders gewertet werden.

Mehrheit der Deutschen begrüßt Urteil

Auch der Moralphilosoph Robert Spaemann plädierte dafür, die Grundrechte sorgsam abzuwägen. Wer einen jahrtausendealten Ritus abschaffen wolle, "der hat die Begründungspflicht", sagte Spaemann. Im Gegensatz zur Genitalverstümmlung bei Mädchen sei die rituelle Beschneidung von Jungen als Körperverletzung nicht "gravierend". Die Abwägung der Grundrechte könne deshalb "nur zu Gunsten der bisherigen Beschneidungspraxis ausgehen", so Spaemann.

Laut einer repräsentativen Umfrage hält eine deutliche Mehrheit der Deutschen (56 Prozent) das Urteil für richtig. 35 Prozent halten es für nicht richtig, zehn Prozent haben sich dazu bislang keine Meinung gebildet, wie "Focus" berichtete. Das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid hatte im Auftrag des Blattes Ende Juni 1.000 Personen befragt.