"Hass", sagt die Rabbinerin im TV-Interview, "ist eine Krankheit, er wuchert wie Krebs"; und das Internet trägt maßgeblich dazu bei. Verschwörungserzählungen gab es schon immer. Auch die Hartnäckigkeit, mit der sie weiterhin verbreitet werden, obwohl sie wissenschaftlich längst widerlegt sind, ist kein Phänomen des digitalen Zeitalters: Antisemitische Kreise berufen sich seit 120 Jahren auf die sogenannten Protokolle der Weisen von Zion.
Der mutmaßlich in Russland verfasste Text skizziert die Pläne für eine internationale Verschwörung des "Weltjudentums" und bildet seither die Basis des Antizionismus. Das Pamphlet ist bereits vor gut hundert Jahren als Fälschung entlarvt worden. Trotzdem hält sich in rechten Netzwerken nach wie vor die Überzeugung, es gebe einen "Weltfinanz-Zionismus".
Vor allem der aus Ungarn stammende amerikanische Investor George Soros wird immer wieder zum Ziel entsprechender Hasskampagnen. Nach einem Brandanschlag auf das jüdische Kulturzentrum in Zürich scheint daher klar, wer dafür verantwortlich war: Kurz zuvor hat jemand "Stoppt Soros" und "Fight Zionism" an die Hauswand gesprüht, dazu zwei Hakenkreuze.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Im letzten "Zürich-Krimi" ("Borchert und der Schlüssel zum Mord") hatte Anwältin Dominique Kuster (Ina Paule Klink) keine Lust, einen Unternehmer zu vertreten, der sich offenbar auf recht endgültige Weise einer Affäre entledigt hatte; Kanzleipartner Borchert (Christian Kohlund) war auf sich allein gestellt, um die Unschuld des Mannes zu beweisen.
Diesmal ist es andersrum: Die Schmierereien stammen von Bruno (Casper von Bülow), einem 17jährigen Neonazi; er gilt daher auch als Brandstifter. Bei dem Feuer ist eine junge Studentin aus Tel Aviv gestorben. Brunos Mutter bittet Dominique, die Verteidigung zu übernehmen. Die Juristin ist zuversichtlich, dass er mit einer Jugendstrafe davonkommen wird, schließlich habe er nicht wissen können, dass am späten Abend noch jemand im Gebäude gewesen sei.
Mit ihrem Engagement will sie den jungen Mann von der Bedeutung des Rechtsstaats überzeugen. Borchert ist trotzdem schockiert, dass sich die Kollegin dieses Mandat zumutet, zumal Rivvka Lehmann (Hannah Ley), die Leiterin des Zentrums, eine gute Freundin von ihm ist. Das wird die Rabbinerin später, als mittlerweile selbst Borchert den Jugendlichen für unschuldig hält, nicht davon abhalten, den Anwalt mit einem Hausverbot zu belegen.
"Borchert und die Glut des Bösen" ist die erste Arbeit des Drehbuch-Duos Catrin Lüth und Florian Hanig für den "Zürich-Krimi", und natürlich ist ihre komplexe Geschichte kein Fall wie jeder andere. Judith Stein, die israelische Studentin, hatte im Kulturzentrum an ihrer Dissertation gearbeitet. Eine zentrale Rolle spielten dabei mehrere uralte Briefe, bei deren Entzifferung ihr der junge Bibliothekar des Hauses half. Außerdem war er offenkundig in Judith verliebt, was kurz die zum Glück unbegründete Befürchtung weckt, die brisante Handlung könnte sich am Ende als schnöde Beziehungstat entpuppen.
Stattdessen führt die Spur mitten hinein in ein historisches Kapitel, über das man in der Schweiz nicht gern spricht: Altehrwürdige Bankhäuser haben die bei ihnen eingelagerten jüdischen Wertgegenstände nach dem Zweiten Weltkrieg stillschweigend als "nachrichtenloses Vermögen" einkassiert, wenn niemand darauf Anspruch erhob. Borchert kann jedoch nur vermuten, dass dies der Hintergrund für Judiths Tod sein könnte, denn die Briefe sind verschwunden. Und würde eine traditionsreiche Privatbank tatsächlich einen Mord in Auftrag geben, um ein Geheimnis zu bewahren, das gar keins ist?
Rahel Stein, die eigens aus Israel angereiste Großmutter, ist dem Anwalt auch keine Hilfe. Sie hat als einzige aus ihrer Familie den Holocaust überlebt, weil ihre Eltern sie als Dreijährige nach England geschickt hatten. Die Gespräche Borcherts mit der betagten Frau sind die bewegendsten Momente des Films, zumal er ihren Verlust nachempfinden kann: Sein Sohn ist vor dreißig Jahren bei einem Unfall gestorben. Die Wut, sagt er, werde weniger, "der Schmerz bleibt".
Rahel-Darstellerin Lena Rothstein kennt dieses Gefühl garantiert gut: Die Schauspielerin ist als Kind jüdischer Flüchtlinge 1943 in Schottland zur Welt gekommen. Als die Familie 1946 in ihre österreichische Heimat zurückkehrte, war nahezu niemand mehr da. Auslöschung ist auch das Subthema von "Borchert und die Glut des Bösen": Es gibt keinerlei materiellen Erinnerungen an die Familie Stein; als ob sie nie existiert hätte. Das wollte Judith ändern; ihr Vermächtnis beschert dem Krimi einen zu Tränen rührenden Schluss.



