Als Heiligabend noch "Vullbuksabend" war

Geschmückter Weihnachtsbaum in Kirche
Eberhard Deis/Fundus
Zur Kirche gingen die Menschen, abgesehen von der sozialen Oberschicht, damals meist erst am 25. Dezember, erklärt Volkskundler Christoph Schmitt. Denn am Heiligabend zog der Rug'klas mit seiner Spielerschar umher und kehrte in die Häuser ein, vor allem auf dem Land.
Weihnachtsfest heute & damals
Als Heiligabend noch "Vullbuksabend" war
Der Volkskundler Christoph Schmitt sieht einige Unterschiede beim Weihnachtsfest-Feiern heute und vor 100 und mehr Jahren in Mecklenburg. Früher war es weithin üblicher, am 25. Dezember zur Kirche zu gehen. Krippenspiele gab es damals eher nicht.

epd: Gab es vor 100 Jahren besondere Bräuche in Mecklenburg, die heute in Vergessenheit geraten sind?

Christoph Schmitt: Auf dem Land war das sogenannte Rug'klas-Laufen weit verbreitet: Am Heiligabend verkleideten sich vor allem die unverheirateten Knechte als Rug'klas und seine Spielertruppe, die aus Schimmelreiter, Ziegenbock, Bär, Spitzkopf, Knapperdachs (Storch) und weiteren Figuren bestehen konnte.

Sie zogen maskiert in die Häuser, entweder, um selber Gaben zu erheischen, oder auch, um Kindern kleine Gaben zu überreichen. Das erinnert sehr an den Nikolausbrauch. Reste des Rug'klas-Laufens haben sich heute nur noch vereinzelt erhalten, etwa in Buchholz, Wredenhagen und Zepkow bei Röbel sowie in Tarnow bei Bützow.

Wurde das auch in der Stadt praktiziert?

Schmitt: Belegt ist, dass sich Rostocker Seeleute als Rug'klase verkleideten und umherzogen. Und zwar verkleideten sie sich nicht mit Erbsenstroh, wie auf dem Land üblich, sondern sie zogen einfach ihre Seemannsjacken verkehrt herum an, malten sich schwarz an und steckten sich Federn auf den Kopf.

War es 1925 so wie heute üblich, dass viele Menschen am Heiligabend in die Kirche gingen?

Schmitt: Das beschaulichere Fest mit Kirchgang war, zumindest auf dem Land, wohl eher am 25. Dezember. Am Heiligabend ging es zünftig zu, wie bei einer Fastnacht. Denn die unverheirateten Knechte hatten Zeit, konnten - verkleidet und maskiert - mal Luft ablassen, sich Mädchen annähern, sie necken oder auch mit einem Aschebeutel schlagen.

Wie sah es mit Krippenspielen in der Kirche aus?

Schmitt: Die waren vor 100 Jahren eher in den überwiegend katholisch geprägten Gegenden üblich.

Gehörte der Weihnachtsbaum damals schon traditionell in die Weihnachtsstuben der Menschen?

Schmitt: Der geschmückte Weihnachtsbaum hat sich, über das Bürgertum hinaus, so recht eigentlich erst nach dem Ersten Weltkrieg verbreitet.

Und der Weihnachtsmann?

Schmitt: In Mecklenburg lief der Weihnachtsmann damals als eigene Figur weniger umher, sondern eher der Rug'klas mit seiner Spielerschar.

Welche Bräuche gab es noch?

Schmitt: Heiligabend war "Vullbuksabend" (hochdeutsch: Vollbauchsabend), an dem Gerichte wie Schwarzsauer und Gänsebraten aufgetischt wurden. In den Bauerndörfern gab es das Weihnachtsblasen der Hirten. Zum Teil gab es auch den Jule-Brauch, etwa in Warnemünde. Dieser Brauch entstand unter schwedischem Einfluss: Unsichtbare Gabenbringer wie der Julebuck warfen kleine Geschenke in die Wohnungen.

Welche Geschenke bekamen Kinder vor 100 Jahren?

Schmitt: Beispielsweise spezielles Weihnachtsgebäck wie Haspoppen aus Semmelteig oder Safranpöppings, die sie am Morgen des ersten Weihnachtstages (25. Dezember) in ihren Pudelmützen oder in ihren Socken fanden. Auf dem Land gab es eher selber gemachtes Spielzeug, in der Stadt vielleicht schon gekauftes Spielzeug: für Jungen etwa einen Soldaten, für Mädchen eine Puppe.

Wurden Tiere auch besonders beschenkt?

Schmitt: Der Bauer überreichte den Kühen und den anderen Tieren besonderes Futter, damit sie besser gediehen. Das geht auf den Volksglauben zurück. Man wollte Segen für das Vieh.