Angehörige von Menschen, die sich selbst getötet haben, leiden nach Beobachtungen der evangelischen Bremer Seelsorgerin Ulrike Oetken oft darunter, dass sie kaum jemanden finden, mit dem sie über den Suizid reden können. Das Thema sei tabuisiert, sagte die Pastorin dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Für Angehörige sei es aber wichtig, über das Leiden, über die Betroffenheit mit anderen zu sprechen. Oetken organisiert in diesem Jahr zum elften Mal einen Gottesdienst, der an die Opfer von Suiziden erinnert. "Ich habe das Gefühl, der Gottesdienst ist für manche Gäste so etwas wie eine Tankstelle", sagte sie. Für diese gehe es um Trost, Gemeinschaft, Erinnerung, auch um Hoffnung. "Viele, die da waren, haben in den zurückliegenden Jahren gesagt: Ich bin hier gut angekommen mit meiner Geschichte. Ich komme nächstes Jahr wieder."
In den Gottesdienst kommen ihren Angaben zufolge unter anderem Menschen, bei denen der Suizid in der Familie schon lange zurückliegt, aber zu einem lebensbestimmenden Thema geworden ist. "Bei anderen ist es noch gar nicht lange her, die sind noch total aufgewühlt, erschrocken, suchen händeringend nach einem Anker." Da gebe es eine ganz große Bandbreite an Emotionen: "Verzweiflung, Scham, Schuldgefühle, auch Wut. Und ein ganz tiefer Schmerz, ein ganz brutaler, tiefer Schmerz."
Von einem Suizid seien immer viel mehr Menschen als direkte Verwandte berührt. Bei jährlich rund 10.000 Todesfällen belaufe sich die Zahl der unmittelbar Betroffenen Schätzungen zufolge auf etwa 60.000 bis 80.000, die der mittelbar Betroffenen auf etwa 200.000. Darunter seien Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Nachbarn, Mitschüler oder Berufsgruppen, die mit einem Suizid zu tun hatten wie Rettungskräfte und Feuerwehrleute. "Ein Suizid setzt sich fort wie ein Stein, der ins Wasser fällt und dann Wellen schlägt."
Suizidprävention und Hilfe
Bundesweit nehmen sich jährlich etwa 10.000 Menschen das Leben. Das sind mehr als dreimal so viele Todesopfer wie bei Verkehrsunfällen. Doch es gibt Hilfen, sowohl präventiv und nach dem Suizid für die große Zahl von Betroffenen.
Organisationen wie die Telefonseelsorge engagieren sich in der Prävention. Von einem Suizid sind nicht nur die Menschen betroffen, die sich selbst töten und ihre engsten Angehörigen. Der Kreis ist viel größer. Fragen und Antworten zum Thema Suizid und Informationen darüber, wo es Hilfen gibt:
Wie viele Suizide gibt es überhaupt?
In Deutschland nehmen sich jährlich etwa 10.000 Menschen das Leben, das sind mehr als dreimal so viele Todesopfer wie bei Verkehrsunfällen (2.770 in 2024). Im vergangenen Jahr hat das Statistische Bundesamt 10.372 Menschen registriert, die sich selbst getötet haben. Dazu kommt Experten zufolge eine Dunkelziffer, weil nicht alle Fälle eindeutig als Suizid erkannt oder entsprechend deklariert werden. Die meisten Suizide gab es in den Monaten Januar, Mai und August. Die Zahl ist laut Statistiken seit 2019 leicht ansteigend, aber deutlich niedriger als etwa 1980 (18.451). Wie bereits 2023 ist der Anstieg der Suizide 2024 vor allem auf eine Zunahme bei den Frauen zurückzuführen (+4,7 Prozent), während es bei den Männern einen leichten Rückgang gab (-0,9 Prozent).
Wer ist alles von einem Suizid betroffen?
Weit mehr Menschen als viele denken, sagt die evangelische Pastorin Ulrike Oetken, die in Bremen regelmäßig Gottesdienste für die Opfer von Suiziden organisiert. "Unmittelbar betroffen sind Partnerinnen und Partner, Kinder oder andere Familienangehörige, Menschen in der nächsten Umgebung." Mittelbar berührt seien etwa Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Nachbarn, Mitschüler oder Berufsgruppen, die mit einem Suizid zu tun hatten. "Das können Polizei- und Rettungskräfte sein, genauso wie Feuerwehrleute oder Engagierte aus der Notfallseelsorge." In den vergangenen zehn Jahren waren laut Nationalem Suizidpräventionsprogramm für Deutschland (NaSPro) bundesweit zwischen 500.000 und eine Million Menschen von dem Suizid eines ihm nahe stehenden Menschen betroffen.
Wer nimmt sich das Leben?
Rund 75 Prozent aller Suizide werden nach Angaben der Selbsthilfeorganisation Angehörige um Suizid (Agus) von Männern begangen. Bei etwa 60 Prozent der Suizidverstorbenen sind im Vorfeld psychische Erkrankungen bekannt, vor allem Depressionen. Die Suizidrate steigt nach den Statistiken generell mit dem Alter an. Besonders betroffen ist die Altersgruppe ab 80 Jahren.
Welche Hilfen gibt es?
Natürlich die Telefonseelsorge. Sie wurde gegründet, um Menschen in tiefster Verzweiflung ein Innehalten zu ermöglichen. Sie bietet erste Hilfe bei suizidalen Krisen und ist rund um die Uhr anonym und kostenlos erreichbar. Die Telefonnummern sind 0800/1110111 und 0800/1110222. Über die Website www.telefonseelsorge.de ist auch ein Kontakt per Chat und E-Mail möglich. Das Projekt "U25" bietet bundesweit eine kostenlose und vertrauliche Mailberatung von Jugendlichen für Jugendliche im Alter unter 25 Jahren. Auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention gibt es unter der Überschrift "Unterstützung für Betroffene und Angehörige" eine ausführliche Liste mit weiteren auch regionalen Hilfsangeboten.
Wie sieht es mit Unterstützung speziell für Angehörige aus?
Da ist in erster Linie die Selbsthilfeorganisation Angehörige um Suizid (Agus) zu nennen. Sie wurde 1989 in Bayreuth von Emmy Meixner-Wülker gegründet. 1963 nahm sich ihr Mann das Leben. Sie wollte Betroffenen helfen und sie herausholen aus ihrer Trauer und dem Gefühl, allein zu sein. Heute gibt es in Deutschland mehr als 100 Agus-Selbsthilfegruppen. Eine wertvolle Hilfe, sagt die Bremer Pastorin Ulrike Oetken. Unter den Angehörigen gebe es eine große Bandbreite an Emotionen: "Verzweiflung, Scham, Schuldgefühle, auch Wut. Und ein ganz brutaler, tiefer Schmerz."




