Das "Blind Date" entwickelt sich äußerst unbefriedigend: Der Mann, mit dem sich Theresa Wolff verabredet hat, entpuppt sich als Schönheits-Chirurg. Für Äußerlichkeiten interessiert sich die Rechtsmedizinerin jedoch nur, wenn sie sich mit Mordopfern beschäftigt. Ihr Heimweg endet abrupt, als ihr ein Mann vors Auto läuft. Gábor, Klarinettist in der Jenaer Philharmonie, ist zum Glück unverletzt, aber die Magie des Moments hat andere Gründe.
Der Musiker schreibt seine Telefonnummer auf ein Stück Notenpapier und verschwindet in der Nacht. Als die Ärztin ihn wiedersieht, liegt er mit zerschmetterten Gliedern am Fuß eines Turms. Allem Anschein nach hat er sich das Leben genommen, was sie natürlich nicht glaubt. Als Kommissar Lewandowski erfährt, dass sie den Mann in der Nacht zuvor angefahren, aber weder die Polizei noch den Notarzt verständigt hat, ist sie raus aus dem Fall; schließlich könnte sie bei der Obduktion vertuschen, dass der Musiker erheblich schwerer verletzt war, als sie am Unfallort vermutet hat.
Bis zu diesem Moment ist die Handlung zwar interessant, aber nicht weiter ungewöhnlich; dass sich Theresa (Nina Gummich) nicht davon abhalten lässt, selbst zu ermitteln, ist ohnehin klar. Überraschenderweise entwickelt sich die Geschichte von Hansjörg Thurn und Carl-Christian Demke, die seit "Waidwund" (2022) alle Drehbücher der 2021 gestarteten Reihe geschrieben haben, zum romantischen Krimi: Die Rechtsmedizinerin hat stets mit den Toten gesprochen, doch Gábor (Deniz Arora) wird nun zum regelmäßigen Begleiter.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Am Todestag hat es einen heftigen Streit zwischen dem Musiker und dem Dirigenten des Orchesters gegeben, aber keine Handgreiflichkeit, wie Viktor Radenko (Stefan Kurt) versichert. Die Hämatome an seinem Oberkörper begründet er mit der sexuellen Leidenschaft seiner Geliebten (Franziska Brandmeier), einer Cellistin, die bis vor einigen Monaten mit Gábor und seinem besten Freund Lorenzo (Sebastian Schneider) unter dem neckisch doppeldeutigen Namen "Ménage à trois" aufgetreten ist.
Nina Gummich, ohnehin grundsätzlich sehenswert, darf Theresas Persönlichkeit diesmal um eine ungewohnt verletzliche Facette erweitern: In den Gesprächen mit Gábor offenbart die Rechtsmedizinerin eine Traurigkeit, die nicht nur mit dem Tod des Musikers zusammenhängt. Da sie offiziell nicht ermitteln darf und Lewandowski (Aurel Manthei) daher die Mit- und Gegenspielerin fehlt, hat das Autorenduo clever für Ersatz gesorgt.
Der prominente Radenko hat sich an höchster Stelle darüber beschwert, dass er wie ein Verdächtiger behandelt worden ist; deshalb übernimmt eine LKA-Beamtin aus Erfurt die Leitung des Falls. Die Besetzung dieser Rolle macht sich spätestens dann bezahlt, als Lewandowski eine unbotmäßige Bemerkung über die Kollegin entfleucht, während sie unbemerkt hinter ihm zur Tür reinkommt; es gibt nicht viele Schauspielerinnen, die derart eisig dreinschauen können wie Alice Dwyer.
Die auf den ersten Blick einfachste, tatsächlich jedoch schwierigste Aufgabe hat allerdings Stefan Kurt. Radenko entspricht dem typischen Bild des musikalischen Despoten, der sein Orchester laut Lorenzo "ausquetscht, bis wir tot sind." Prompt gibt der Dirigent, der laut eigenem Bekunden Mittelmaß hasst, diverse Sätze von sich, die wie in Stein gemeißelte Klischees klingen ("Kunst wird immer auch aus Schmerz geboren"). Eine Harfenistin hat dem Druck nicht standgehalten, Psychopharmaka gegen ihre Angststörungen genommen und sich schließlich umgebracht. "Die Angst fraß mit der Seele auch ihre Leber auf", kommentiert Theresa angesichts der Leiche.
Dank seiner schauspielerischen Klasse kann Kurt trotzdem verhindern, dass Radenko zur Karikatur wird. Natürlich spielt die Musik eine weitere Hauptrolle. Radenko probt mit dem Orchester die fünfte Sinfonie von Gustav Mahler, Gábors unerfüllt gebliebener Traum war eine Aufführung des Klarinettenkonzerts von Aaron Copland; dieses Stück hat auch zur Auseinandersetzung mit dem Dirigenten geführt. Regie führte Judith Kennel, die viele Jahre lang sämtliche Episoden der ZDF-Krimireihe "Unter anderen Umständen" inszeniert hat.
Abgesehen von einem leichten Grünstich, der viele Szenen prägt und sich auch in Kleidung und Szenenbild wiederfindet, entspricht ihre Umsetzung einem guten Fernsehfilmniveau. Sehenswert ist "Passion" daher vor allem wegen ihrer Arbeit mit dem Ensemble und der Handlung: Dass eine Nebenebene über einen tödlichen Unfall mit Fahrerflucht mehr als bloß eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Lewandowskis Mitarbeiter Topal (Sahin Eryilmaz) ist, versteht sich von selbst.