Politologin sieht Zivilgesellschaft unter Druck

Portraitfoto der Politologin Siri Hummel
epd-Bild/Lisa Klisch
Die Politologin Siri Hummel warnt vor einem Verächtlichmachen gesellschaftlichen Engagements in Deutschland.
Behinderung von NGOs
Politologin sieht Zivilgesellschaft unter Druck
Aus den USA, aus Ungarn und Russland sind solche Vorwürfe schon länger bekannt: Zivilgesellschaftliche Organisationen werden von Regierungen als feindselig eingestuft. Auch für Deutschland gibt es inzwischen Warnungen. Belege für die Vorwürfe gibt es nicht.

Die Politikwissenschaftlerin Siri Hummel hat vor einer Verächtlichmachung zivilgesellschaftlichen Engagements von Nichtregierungsorganisationen in Deutschland gewarnt. Es gebe eine konstruierte Bedrohung durch angeblich "linke Lobbygruppen", sagte die Direktorin des Maecenata Instituts für Philantropie und Zivilgesellschaft in Berlin dem Evangelischen Pressedienst.

Hummel zufolge gibt es "vor allem von Rechtsaußen ein Bündel von immer wieder kehrenden Vorwürfen". Hingegen blieben wirtschaftsnahe oder konservative Akteure der Zivilgesellschaft im öffentlichen Diskurs meist unerwähnt.

Die Zivilgesellschaft sei Abbild der Gesamtgesellschaft, sagte die promovierte Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin: "Es gibt Organisationen mit linken Positionen, aber auch welche mit liberalen, konservativen und sehr konservativen Positionen." Hummel spricht von einem "Anti-NGO-Narrativ" im öffentlichen Diskurs, das empirisch aber nicht belegt werden könne: "Im Kern wird behauptet, dass die Zivilgesellschaft aus organisierten linken Organisationen bestehen würde, die abhängig sind von öffentlichen Mitteln und zu viel Macht ausüben, obwohl sie nicht gewählt und dazu noch intransparent sind."

Wichtig für die Demokratie

Umfragen belegten, dass sich weniger als zwei Prozent der Nichtregierungsorganisationen als Akteure der politischen Willensbildung sehen: "Große Teile sagen von sich, sie sind gar nicht politisiert." Zudem gebe es viele Vereine, beispielsweise Trachtenvereine, "die sind in einem eher konservativen Milieu angesiedelt".

Hummel berief sich dabei auf den alle vier bis fünf Jahre erhobenen ZiviZ-Survey zur "organisierten Zivilgesellschaft". Dazu zählen demnach aktuell mehr als 660.000 eingetragene Vereine, Stiftungen, gemeinnützige GmbH und Genossenschaften. Diese Vielfalt zeige, wie bunt und breit die Zivilgesellschaft aufgestellt sei.

Die Kritik an Nichtregierungsorganisationen wie Campact oder am Klimaaktivismus verkenne die demokratische Funktion von Kritik, Interessenvertretung und Protest jenseits parteipolitischer Logik und staatlicher Institutionen, sagte Hummel. Diese Organisationen stellten vielmehr Öffentlichkeit her: "Sie benennen Missstände und solidarisieren sich mit Betroffenen." So würden demokratische Diskursräume verteidigt, "die durch Hassrede zunehmend unter Druck geraten".

Die Finanzierung der Vereine und Stiftungen laufe vor allem über Mitgliedsbeiträge, private Spenden und selbst erwirtschaftete Mittel. Öffentliche Förderungen spielten eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.