Die evangelische Betroffenensprecherin Nancy Janz beklagt eine mangelnde Teilhabe an der Entscheidungsmacht in der Kirche. "Unsere 'Macht' hängt davon ab, wer gerade zuhört, wer uns ernst nimmt, wer in den entscheidenden Momenten Verantwortung übernimmt", sagt sie am Dienstag in Dresden vor den Delegierten des evangelischen Kirchenparlaments. Das sei ein Problem, denn darin werde sichtbar, dass es an der Haltung der Kirche im konsequenten Umgang mit der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt "hake".
Die Macht des Beteiligungsforums reiche nur so weit, wie Institutionen bereit seien, sie zuzulassen, sagt Janz. Sie beklagt zudem, dass vielen Betroffenen beim Warten auf Veränderungen die Zeit ausgehe. "Während wir ringen, verhandeln, werden die Menschen, um die es geht, älter", sagte sie. Zeit vergehe hier nicht nur, sondern zerstöre.
In der evangelischen Kirche gibt es die Sorge, dass die vereinbarten Regeln zur Entschädigung Missbrauchsbetroffener nicht wie geplant flächendeckend zum 1. Januar in Kraft treten können. Bei der Synodentagung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) appellieren Mitglieder des Beteiligungsforums, das die sogenannte Anerkennungsrichtlinie erarbeitet hat, eindringlich an Landeskirchen und diakonische Landesverbände, die Regelung umzusetzen. Die Richtlinie sei nur dann ein "Meilenstein", wenn sie einheitlich umgesetzt werde, sagte die Sprecherin der Betroffenen, Nancy Janz, bereits am Montag in Dresden.
Wüst appelliert an die 20 Gliedkirchen der EKD
Die pfälzische Kirchenpräsidentin Wüst sagt, "bis zum Erweis des Gegenteils" gehe sie davon aus, dass die Richtlinie zum 1. Januar 2026 in allen Landeskirchen und diakonischen Verbänden in Kraft ist. Sie betont, es scheitere "nirgendwo daran, dass inhaltliche Hürden zu nehmen sind". Die Frage sei eher, wann die zuständigen Gremien zusammenkommen. Im November stünden noch einige Synoden in den Landeskirchen an.
Wüst appelliert an die 20 Gliedkirchen der EKD, über ihren "föderalen Schatten" zu springen und die Richtlinie zu übernehmen. "Es gibt Momente, in denen ich zutiefst dankbar bin, dass wir so weit sind, wie wir sind. Und es gibt Momente, in denen ich daran verzweifeln könnte, dass wir noch nicht weiter sind", schliesst sie ihren Bericht an die EKD-Synode. Die Richtlinie soll am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Derzeit arbeite man an Materialien für alle Kommissionen.
Die EKD-Synode fordert inzwischen für jede ihrer jährlichen Tagungen einen Bericht des Beteiligungsforums über den Stand der Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt an. Die Richtlinie regelt die Verfahren, über die Menschen, die Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche oder diakonischen Einrichtungen geworden sind, Entschädigungen erhalten. Kernstück der Reform ist ein einheitliches Modell für die finanziellen Leistungen, die bislang in den Landeskirchen sehr unterschiedlich ausfallen.
Die Richtlinie sieht eine pauschale Summe in Höhe von 15.000 Euro vor, wenn es sich um eine nach heutigen Maßstäben strafrechtlich relevante Tat handelt. Zusätzlich kann es individuelle Leistungen ohne finanzielle Obergrenze geben. Die Richtlinie ist bereits vom Rat der EKD sowie der Kirchenkonferenz, dem Zusammenschluss der Landeskirchen, beschlossen worden, muss aber in den zuständigen regionalen Gremien noch umgesetzt werden. Erarbeitet wurde die Richtlinie vom Beteiligungsforum, in dem Betroffenenvertreter und Kirchenvertreter über Aufarbeitung, Prävention und Entschädigung sexualisierter Gewalt beraten.




