TV-Tipp: "Käthe und ich: Verhängnisvolle Liebe"

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26. September, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Käthe und ich: Verhängnisvolle Liebe"
Eins der berühmtesten Experimente zur Wirkung der filmischen Montagekunst ist als "Kuleschow-Effekt" in die Geschichte eingegangen: Vor gut hundert Jahren kombinierte der russische Regisseur Lew Kuleschow Bilder eines Tellers Suppe, eines toten Mädchens sowie einer spärlich bekleideten Frau mit der immer wieder gleichen Aufnahme eines Mannes, in dessen Gesicht das Publikum prompt die jeweils passenden Emotionen erkannte. Ganz ähnlich funktioniert große Schauspielkunst: wenn Gefühle nicht mit besonderem mimischem Aufwand, sondern subtil und mit Aura vermittelt werden. Christoph Schechinger beherrscht diese Kunst gerade in der ARD-Reihe "Käthe und ich" ganz ausgezeichnet. Sein Gesicht mag keine Regung zeigen, aber dank der eigenen Empathie weiß das Publikum ganz genau, was gerade in Paul Winter vorgeht, und das ist in diesem Film eine ganze Menge: Die zwölfte Episode beschert dem Psychologen ein schmerzliches Wiedersehen mit der Frau, die sein Herz gebrochen hat.

Für die Fans der 2019 gestarteten Reihe ist diese Begegnung ein Geschenk, zumal Autorin und Produzentin Brigitte Müller, die erneut gemeinsam mit Oliver Liliensiek auch Regie geführt hat, die Gegenwartshandlung mit vielen hochemotionalen Rückblenden kombiniert hat.

Auf diese Weise erlebt Paul erneut die damals anfangs himmelhochjauchzenden und später zu Tode betrübten Momente: wie er sich in die gefeierte Tänzerin Erina (Nadja Bobyleva) verliebte und wie glücklich er war, als sie erst seinen Antrag annahm und dann schwanger wurde.

Und wie niederschmetternd es sich anfühlte, als sie vor zwei Jahren im sechsten Monat bei einem Autounfall das Baby verlor und klar war, dass der Unfall nicht nur ihre Karriere als Tänzerin beendete; sie würde auch keine Kinder mehr bekommen können. Mit der rätselhaften Begründung "Weil ich Dich liebe!" hat sie Paul damals verlassen. 

Zunächst jedoch beginnt "Verhängnisvolle Liebe" als Neuanfang. Die Tierarztpraxis auf dem ehemaligen Gutshof existiert nicht mehr. Dort ist jetzt Pauls Mutter eingezogen: Helga hat ihre Stelle als Krankenschwester aufgegeben und sich als häusliche Pflegerin selbstständig gemacht. Dass Hildegard Schroedter auf diese Weise eine deutlich größere Rolle spielt, zumal Helga eine späte Romanze mit einem Kavalier (Ercan Durmaz) erleben darf, tut dem Film gut. Außerdem ist die Mutter in gleich zweifacher Hinsicht als Ratgeberin gefragt:

Paul bekommt Besuch von Leonie (Jasmina Al Zihairi), der Frau seines besten Freundes. Sie erzählt, dass sich Aljoscha (Bert Tischendorf) seit der Geburt des gemeinsamen Kindes erheblich verändert habe und kaum noch zuhause sei. Die Kindergärtnerin hat Trost bei einem Kollegen gefunden. Nun droht Aljoscha, ihrem Arbeitgeber Nacktfotos zu schicken, wenn sie die Beziehung nicht beendet. 

Paul kann das alles kaum glauben, zumal sein Freund – er wird demnächst zum Oberstaatsanwalt befördert – mit einer derartigen Aktion die eigene Karriere gefährden würde. Tatsächlich erscheinen die Ereignisse durch Aljoschas Schilderungen in gänzlich anderem Licht. Alsbald ist der Psychologe überzeugt, dass Leonie an einer Borderline-Störung leidet. Sämtliche vom Freund berichteten Symptome – Stimmungsschwankungen, Wutausbrüche, die scheinbar unbegreifliche Abkehr von der früheren Vergötterung ihres Mannes zum heutigen unverhohlenen Hass – bestätigen die Diagnose; Auslöser war womöglich die Geburt.

Psychologisch ist der Fall überaus reizvoll, aber aufgrund der persönlichen Beziehung sind Paul die Hände gebunden. Außerdem wirft ihn ein gänzlich unerwartetes Aufeinandertreffen komplett aus der Spur: Erina ist aus Berlin angereist, um ihrer Freundin Leonie in diesen schweren Stunden beizustehen. Paul ist wie vom Donner gerührt, als er sie zufällig trifft.

Die weiteren Begegnungen offenbaren, wie sehr die zwei Jahre zurückliegende Trennung immer noch an ihm nagt. Therapiehund Käthe spürt: Diesmal braucht der Psychologe selber Hilfe. Angesichts der Vorwürfe, die er Erina macht, fragt sich seine Mutter besorgt, ob er Rache nehmen wolle. Später wird Paul das passende Sprichwort zitieren: "Wer auf Rache aus ist, der grabe gleich zwei Gräber."

Das Ende des Films, als sich dank Käthe ein Kreis schließt, fühlt sich wie ein Abschluss der Reihe an. Tatsächlich ist die Antwort der für den Freitagsfilm zuständigen ARD-Tochter Degeto auf die Frage, ob es weitere Fortsetzungen geben wird, derart ausweichend, dass "Verhängnisvolle Liebe" in der Tat gleichbedeutend mit dem Abschied von der für diesen Sendeplatz womöglich zu anspruchsvollen Reihe sein könnte.