In einer Pressemitteilung der "ÖR" zitiert Pastor Jens D. Haverland Statistiken, die aufzeigen, dass Kenia ein sehr religiöses Land sei, in dem das Christentum mit 85,5% die vorherrschende Religion darstelle, gefolgt vom Islam mit 10,9%, während der verbleibende Prozentsatz auf andere Religionen entfalle – einschließlich Afrikanischer Traditioneller Religionen (Afrobarometer 2025).
Eine Pew-Studie aus dem Jahr 2010, die in 19 afrikanischen Ländern durchgeführt worden sei, habe ergeben, dass die afrikanische Bevölkerung zwar in großer Zahl das Christentum und den Islam praktiziere, die Mehrheit aber immer noch in der traditionellen Religion verwurzelt wäre, die ihnen Befreiung von böser Magie, Zauberei und Hexerei verspräche. Dieses Phänomen hätte das Interesse vieler Menschen auch in den Mainstream- und sozialen Medien geweckt, so Langat.
Fokussierung auf materiellen Wohlstand als Problem
Der häufig geäußerten Kritik der verfassten Kirche, die Afrikanische Traditionelle Religion wäre lediglich eine einfache Möglichkeit über kultische Praktiken viel Geld zu verdienen, stünde die Kritik von Jugendlichen entgegen, die ihrerseits den Kirchen eine Fokussierung auf materiellen Wohlstand vorwerfen.
Die katholische Theologin Janet C. Langat unterstreicht ihre Beobachtungen mit einer Studie aus dem Jahr 2022 über junge Erwachsene in Nairobi. Demnach beklage die jüngere Generation, die wie Pilze aus dem Boden schießenden Kirchen verschiedener Glaubensrichtungen, die ihrer Meinung nach um finanziellen Gewinn konkurrieren. Diese und andere Gründe hätten viele dazu veranlasst, sich mit Afrikanischer Traditioneller Religion, Säkularismus und sogar Atheismus auseinanderzusetzen.
Mangel an positiven und alltagstauglichen Vorbildern
Die Teilnehmenden der Studie waren städtische Jugendliche im Alter von 18-35 Jahren, die zwar getauft waren sich aber vom Christentum zurückgezogen hätten und zu unabhängigen spirituellen Überzeugungen oder zum Säkularismus tendierten. Gründe für die Abwendung vom Christentum seien strengreligiöse Erziehung, negativ Beispiele durch erbitterte Ehe- und Familienstreitigkeiten bei mangelnder vorgelebter Liebe und Vergebung, übertriebene religiöse Praktiken und Verbote. Diese führten dazu, dass die jungen Menschen ihre religiöse Identität woanders finden würden.
Fehlende Würdigung durch den globalen Norden
Des Weiteren heißt es in der Meldung der "ÖR": Die Rückbesinnung auf traditionelle afrikanische Kultur und Religion angesichts mangelnden Respektes und Würdigung durch den globalen Norden führten zu einer Abwendung vom westlich wahrgenommenen Christentum. Verstärkt würde dies durch das Gefühl der mangelnden Wahrnehmung kirchlicher Repräsentanten. Die befragten Jugendlichen beklagten sich darüber, dass die religiösen Institutionen sie schlecht behandelten und brachten zum Ausdruck, dass sie sich in der Kirche unsichtbar fühlten (abgesehen von der Lebendigkeit der Messe und einigen anderen Programmen).
Identität zurückgewinnen, die von Missionaren und dem Christentum zerstört worden sei
Die kenianische Theologin fasst die Beobachtungen folgendermaßen zusammen: "Sie (die Jugendlichen) hatten den Eindruck, dass sich niemand wirklich für sie interessierte und sie bei ihren existentiellen Problemen unterstützen wollte." Zudem erklärten die Jugendlichen laut Janet Langat auch: "dass das Evangelium ihre Bedürfnisse nicht anspreche und es daher an der Zeit sei, eine Religion zu finden, die es ihnen ermöglicht durch die Religion ihrer Vorväter herauszufinden, wer sie sind als afrikanische und kenianische Jugendliche bestimmter ethnischer Gemeinschaften. Erst so haben sie das Gefühl, dass sie eine Identität zurückgewinnen können, die von den Missionaren und dem Christentum zerstört worden war."
Notwendigkeit echter Inkulturation traditioneller afrikanischer Religion in Kirchen
Mit Blick auf die heranwachsende Generation fasst Janet Langat ihre Ergebnisse zusammen: "Die Suche nach Identität, sei sie nun religiös oder anderweitig, ist unter den Jugendlichen in Afrika und insbesondere in Kenia nach wie vor virulent. Sie ist in einer modernen und postmodernen Gesellschaft aufgrund der damit verbundenen Herausforderungen und Hemmschwellen komplex. Die Gemeinschaften gehen ihren eigenen Weg mit ihren eigenen einzigartigen und individuellen religiösen Überzeugungen, Praktiken und Religionen. Aus christlicher Sicht ist eine echte Inkulturation notwendig, um das Problem anzugehen, so dass sich Christentum und Kultur auf gleicher Augenhöhe gegenseitig befruchte, um eine Interpretation des Evangeliums durch die Afrikaner:innen nach ihren eigenen Bedingungen zu ermöglichen."