Ableger des von Pastor Peer-Detlev Schladenbusch 2013 gegründeten Netzwerks CAI gibt es bei den meisten großen Autobauern wie Mercedes, BMW, Audi, Volkswagen, Porsche und Opel sowie bei vielen Zulieferern. Auch bei der diesjährigen Internationalen Automobilausstellung (IAA) in München sind CAI-Mitarbeiter präsent. Das Ziel: eine "wertegeleitete Mobilität" der Zukunft.
epd: Herr Schladebusch, zum ersten Mal gibt es einen Auftaktgottesdienst zur Automesse IAA Mobility. Was haben denn Kirche und Auto miteinander zu tun?
Peer-Detlev Schladebusch: Viele Mitarbeitende in der Automobilbranche sind auch Kirchenmitglieder, sie engagieren sich ehrenamtlich in ihren Gemeinden und etwa 1.500 von ihnen sind Teil unseres Netzwerks "Christen in der Automobilindustrie" (CAI). Wir wollen ihnen Mut machen, sich mit Fragen nach Perspektiven und Werten zu beschäftigen: Was treibt mich - auch am Arbeitsplatz - an?
Angelehnt an das IAA-Motto "it's all about mobility" heißt die Überschrift für den Gottesdienst: "it's all about community, values, prayers and blessing" ("alles dreht sich um Gemeinschaft, Werte, Gebete und Segen"). Wir sind überzeugt, dass Werte der eigentliche Treiber für nachhaltiges und erfolgreiches Wirtschaften sind.
Viele evangelische Landeskirchen haben ehrgeizige Ziele zur CO2-Neutralität - ist die Bewahrung der Schöpfung auch für die Christen in der Automobilindustrie ein Schwerpunkt, oder geht es vor allem ums gemeinsame Gebet am Arbeitsplatz?
Schladebusch: Das kann man nicht trennen. Bewahrung der Schöpfung ist allen wichtig, auch wenn die verschiedenen Gruppen unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Wir haben vor einiger Zeit in einem Workshop die 17 UN-Klimaziele aus christlicher Sicht durchgearbeitet, das war sehr spannend.
Aber momentan haben viele Beschäftigte Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Das sind persönliche, existenzielle Fragen. Wer damit konfrontiert ist, hat wenig Kapazitäten für Umweltfragen. Aber wir greifen auch dieses Thema bei unserem Summit-Podium bei der IAA auf, wo es um wertegeleitete Mobilität gehen wird.
Sie haben für die diesjährige IAA eine internationale Werte-Umfrage in der Automobilbranche angekündigt. Was erhoffen Sie sich davon?
Schladebusch: Unsere These ist: Ohne Werte gibt es keine Wertschätzung und keine Wertschöpfung. Mittlerweile machen alle Unternehmen Mitarbeiterbefragungen, aber da sind die Fragen oft so gestellt, dass das Ergebnis schon vorher klar ist. Wir hingegen sind unabhängig und wollen auch die kritischen Fragen stellen: Wie menschenfreundlich erleben Sie Ihre Branche? Welche Werte sind Ihnen wichtig? Was darf man in Ihrem Arbeitsumfeld nicht aussprechen, auch wenn es dringend nötig wäre? Was würden Sie ändern, wenn es möglich wäre? Wer den QR-Code zur Umfrage scannt, bekommt die Fragen automatisch in der auf seinem Smartphone voreingestellten Sprache präsentiert - auf Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Chinesisch.
"Wir sind richtig gespannt, was chinesische Beschäftigte in der Autoindustrie bewegt, was ihre Werte sind, was das für uns bedeutet"
Warum auch Chinesisch?
Schladebusch: 2023 hatten wir sehr viele chinesische Messebesucher an unserem Café-Bus, aber eine Verständigung war kaum möglich, das fanden wir sehr schade. Wir sind richtig gespannt, was chinesische Beschäftigte in der Autoindustrie bewegt, was ihre Werte sind, was das für uns bedeutet - ich glaube, damit hat sich bislang noch nie jemand beschäftigt.
Stoßen Sie denn mit Ihrer Wertethese auf Gehör in den Konzernspitzen?
Schladebusch: Das Gehör dafür ist noch sehr gering ausgeprägt, vergleichbar zum Umweltschutz in den 1970er-Jahren. Ich bin aber überzeugt, dass die Werte von Mitarbeitenden, von Unternehmen, einen direkten Einfluss auf die Produkte haben. Nur, wenn ein Unternehmen Werte wie Fairness oder Transparenz wirklich lebt, kann es auch erfolgreich handeln.
Aber das stimmt doch nicht, man kann auch mit rein kapitalistischen Methoden viel Geld verdienen.
Schladebusch: So etwas funktioniert nur kurzfristig, das hat doch der Diesel-Skandal gezeigt. Durch Tricksereien für kurzfristige Gewinne hat VW mit milliardenschweren Verlusten bezahlt. Oder nehmen wir Tesla: Viele Tesla-Fahrer distanzieren sich mittlerweile mit einem Aufkleber von Firmenchef Musk, weil sie seine Werte nicht mehr teilen können.
"Wir brauchen Werte nicht nur auf Hochglanz im Werbeprospekt, sondern im Alltag der Firmen"
Solche Entwicklungen erleben wir überall. Ehrlichkeit, Qualität, Nachhaltigkeit, guter Umgang mit Menschen - das hängt zusammen. Wir brauchen Werte nicht nur auf Hochglanz im Werbeprospekt, sondern im Alltag der Firmen. Das werden auch bald die Aktionäre erkennen.
Glauben Sie, dass Unternehmenschefs am Ende tatsächlich zugunsten von Werten auf ein paar Prozent mehr Gewinne verzichten?
Schladebusch: Welche Rolle Werte prozentual spielen können, ist noch unklar. Die Automobilbranche ist eine Technikkultur, kein Hort der Sozialpädagogik. Aber wie gesagt: Abteilungen für Nachhaltigkeit gab es vor ein paar Jahren auch nicht. Unsere Umfrage soll zeigen, welches Bewusstsein bei der Wertefrage schon vorhanden ist, wie es sich in den nächsten Jahren entwickelt und auswirkt. Erste Ergebnisse wollen wir schon bei unserer Podiumsdiskussion am Freitag präsentieren.
Jedes große Unternehmen hat heutzutage eine Abteilung für Sustainability, das Schlagwort für Nachhaltigkeit, Transparenz, soziale Gerechtigkeit. Dort sitzen die geborenen Partner für Ihr Anliegen - aber brauchen die noch christlichen Input?
Schladebusch: Christliche Werte sind immer Beziehungswerte. Der Satz von "Glaube, Hoffnung, Liebe" aus dem ersten Korintherbrief betrifft die Beziehung zwischen Gott und Mensch sowie zwischen Mensch und Mensch. Ich würde den Beziehungswert auf die Umwelt ausdehnen, denn Menschen leben in ihrer Umwelt, sie teilen sie mit anderen. Zu den christlichen Werten gehört auch die Frage: Wie gehen wir mit Fehlern um, was bedeutet uns Ehrlichkeit?
Die Dieselaffäre wäre anders gelaufen, wenn solche Fragen eine größere Rolle gespielt hätten. Daneben kennen wir seit den Griechen und Römern die Kardinaltugenden wie Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Treue, rechtes Maß, Versöhnung, Klugheit. Wir wollen wissen: Gelten die auch in anderen Kulturen? Auch ein Manager für globale Nachhaltigkeit muss erstmal begreifen, welche Unterschiede es im Werte-Verständnis weltweit gibt.
Die IAA zieht trotz ihres veränderten Konzepts noch immer viel Kritik auf sich: zu langsam bei der Transformation, zu viel Platz für dicke Autos. Haben Sie Verständnis für die Kritiker?
Schladebusch: Für begründete Kritik haben wir Verständnis. Mitglieder unseres Teams waren 2023 auch beim Mobilitätswendecamp im Luitpoldpark und haben dort gute Gespräche mit Kritikern der Autoindustrie geführt - mit manchen ist jedoch kein Reden möglich. Aber auch für diesen Diskurs brauchen wir Werte: gegenseitige Toleranz, das Interesse, gemeinsame Wege zu finden.
Der Auftaktgottesdienst zur IAA beginnt am Montag, 8. September, um 19 Uhr in St. Markus (Gabelsbergerstr. 6). Mitwirkende sind u.a. Stadtdekan Bernhard Liess, CAI-Pastor Peer Schladebusch und Pfarrer Peter Lysy vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt.