In der Erstaufnahme Origami falten

In der Erstaufnahme Origami falten
Junge Freiwillige kümmern sich um Flüchtlinge
Helfen und Lernen auf besondere Art: Eine Gruppe junger Menschen aus aller Welt wohnt zwei Wochen lang in einer Kirchengemeinde und organisiert tagsüber Angebote für die Flüchtlinge in der Gießener Erstaufnahmeeinrichtung.
31.08.2025
epd
Von Stefanie Walter (epd)

Gießen (epd). Zena El-Jaaran öffnet die Tür ganz weit, und schon kommen die ersten Kinder neugierig heran. Zwei junge Frauen ziehen einen Tischkicker ins Freie. Sofort bildet sich um den Tisch eine Traube aus Kindern. Die Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen (EAEH) in Gießen haben bereits auf die Freiwilligen des internationalen Workcamps gewartet.

Drinnen öffnet das Café, im Raum nebenan setzt sich die 21-jährige Rin an einen Tisch und bastelt mit zwei Kindern Armbänder aus bunten Perlen. Die Japanerin ist eine von insgesamt 14 Teilnehmern des Workcamps der Organisation „ICJA Freiwilligenaustausch weltweit“. Die jungen Leute kommen aus Spanien, Mexiko, Japan, Marokko, Südkorea oder Frankreich. Zwei Wochen lang wohnen sie in der evangelischen Petrusgemeinde in Gießen und bieten tagsüber in der Erstaufnahmeeinrichtung Freizeitbeschäftigungen für die Flüchtlinge an: Glitzerbilder basteln, Origami falten, mit Kreide malen, Volleyball und Seilspringen, für die Erwachsenen abends Party, Musik und Tanz.

„Die Angebote kommen bei den Kindern supergut an“, sagt der Abteilungsleiter Flüchtlingsangelegenheiten in der EAEH, Manfred Becker. „Es ist etwas, was wir mit unseren Leuten nicht schaffen.“ Am Gießener Standort der EAEH sind an diesem Tag rund 1.700 Flüchtlinge untergebracht, hessenweit etwa 6.200. Knapp 300 Menschen kommen pro Woche neu an. Der Zugang sei deutlich zurückgegangen, berichtet Becker. Als Hauptherkunftsländer nennt er die Ukraine, Afghanistan, Syrien und die Türkei. Ungefähr 20 Prozent sind Kinder.

Die Jüngeren besuchen die Grundschule auf dem EAEH-Gelände. Die Teilnahme sei freiwillig, betont Becker, der Unterricht laufe auf Deutsch. „Die Lernfortschritte verblüffen mich.“ Die Kleinen können in einen Kindergarten gehen, zudem macht ein Sozialbetreuer Spielangebote.

„Die Kinder lechzen nach Aufmerksamkeit“, erklärt Nikolaus Ell, Referent beim Organisator ICJA und für die Workcamps zuständig. Das Freiwilligen-Camp in Gießen in Zusammenarbeit mit der Petrusgemeinde und dem Evangelischen Dekanat gibt es seit 17 Jahren. Ell bezeichnet es als „etwas sehr Besonderes“.

Irena aus Tschechien studiert in Irland Kriminologie und Psychologie. Sie reise viel und sehe, wie unterschiedlich die Länder das Thema Flucht wahrnehmen, erzählt sie. In den USA beispielsweise drehe sich die Diskussion um Palästina. In der EAEH lebten viele Kriegsflüchtlinge, die unter Traumata litten. „Sie haben etwas erlebt, das wir uns nicht vorstellen können.“ Die ehrenamtliche Hilfe bewirke sehr viel: Das Café etwa ermögliche Austausch und Vernetzung. Es sei wichtig, den Fokus auf „unserer Humanität“ zu halten, sagt die 21-Jährige.

Die Japanerin Rin holt ihr Handy hervor und zeigt ein Foto. Zu sehen ist ein Stück des Zauns, der die EAEH umschließt. Sie hat es zu Beginn des Workcamps aufgenommen, weil sie befürchtete, die Flüchtlinge seien eingesperrt. „Aber sie sind freier, als ich dachte.“ Die Kinder freuten sich über die Spiele. Viele der erwachsenen Flüchtlinge interessierten sich für Japan und die japanische Kultur. „Sie sehen Animes und kennen Sushi. Das hat mich überrascht.“

Zena El-Jaaran ist die Koordinatorin für ehrenamtliche Arbeit mit Geflüchteten im Evangelischen Dekanat Gießen und hat das Camp mit organisiert. Neben ihrer Tätigkeit in der Erstaufnahme erhielten die jungen Freiwilligen auch einen umfassenderen Einblick in die Flüchtlings-Thematik, erklärt sie. Sie besuchten zum Beispiel die Asylverfahrensberatung der evangelischen Kirche, das Ankunftszentrum und nahmen an einem Antidiskriminierungs-Training teil. „Wir wollen zeigen, wie Asylverfahren ablaufen, wie es den Menschen geht, welche Konzepte es gibt, um die Wartezeit erträglicher zu machen.“

Rin hat in Deutschland Soziale Arbeit studiert, am Ende des Workcamps wird sie in ihre Heimat zurückkehren. Was sie als Erfahrung aus der Arbeit mit den Geflüchteten mit nach Hause nimmt? Sie sucht die Übersetzungsfunktion auf ihrem Handy, eine Antwort auf Englisch ist zu komplex. Auf dem Display erscheint: „Durch dieses Camp wurde mir bewusst, dass ich Menschen möglicherweise unbewusst in Kategorien einsortiere.“