Wenn Geflüchtete mit Traumen leben müssen

Vier Menschen gehen eine Strasse entlang
epd-bild/Detlef Heese/Detlef Heese
Laut dem Mediendienst Integration haben fast ein Drittel der Geflüchteten in Deutschland eine posttraumatische Belastungsstörung, aber nur 3,3 Prozent der Betroffenen erhalten überhaupt psychologische Hilfe.
Mangelware Therapieplätze
Wenn Geflüchtete mit Traumen leben müssen
Rund jeder dritte Geflüchtete in Deutschland benötigt psychologische Unterstützung, doch die allerwenigsten erhalten einen Therapieplatz. Ein Afghane in Frankfurt am Main hat Glück gehabt.

Seit zwei Stunden liegt Jamshid wach. Schon wieder klebt Blut an seinen Händen. Obwohl er sie schon unzählige Male gewaschen haben muss, spürt er es ganz genau. Jamshid denkt ans Einschlafen, aber hat auch Angst vor den immer gleichen dunklen Träumen. Die Bilder lassen ihn nicht los.

Jamshid Qaderi hat ein Trauma erlebt. 2019 studiert er gemeinsam mit seiner Schwester an der Universität in Kabul. Es gibt einen Anschlag auf die Uni. Seine Schwester stirbt dabei. Ganz alleine muss Jamshid ihre Leiche aus dem Gebäude tragen. Überall an seinem Körper und seinen Händen ist Blut. Das verfolgt ihn noch Jahre später. Zwei Jahre später übernehmen die Taliban die Macht. Genau die Organisation, die damals den Anschlag verübte.

Jamshid betreibt inzwischen mehrere Fitnessstudios. Eines davon nur für Frauen im Militär und bei der Polizei. "Sobald die Taliban an die Macht kamen, haben sie eine dieser Frauen getötet", sagt Jamshid. Er könnte der Nächste sein, denn "dann haben sie herausgefunden, dass ich auch die Adressen der anderen kannte. Ich war in großer Gefahr". Jamshid flieht nach Deutschland. Sein Körper ist jetzt Sicherheit, doch sein Kopf nicht.

Jamshid bekommt Asyl – aber keine Therapie. Denn in den ersten drei Jahren nach ihrer Ankunft haben Geflüchtete nur in akuten Notfällen Anspruch auf ärztliche Versorgung. Eine Psychotherapie gehört in der Regel nicht dazu. Ohne freie Träger wie das Evangelische Zentrum Am Weißen Stein in Frankfurt gäbe es oft nicht die notwendige psychologische Hilfe. Das Zentrum ist Teil des Psychosozialen Netzwerks Rhein-Main.

Erste Unterstützung bei Traumata

Isabel Hausmann leitet die Beratungs- und Therapiestelle: "Wir leisten essenzielle Hilfe für Geflüchtete, die sie sonst nicht bekommen würden." Sie betont: Wir können zwar keine vollständige Therapie, aber erste Unterstützung anbieten." Im Evangelischen Zentrum in Frankfurt dürfen Geflüchtete bis zu 30 Therapie-Sitzungen besuchen. Wenn sie einen Platz bekommen. Denn der Bedarf ist riesig.

Laut dem Mediendienst Integration haben etwa 900.000 Geflüchtete in Deutschland eine posttraumatische Belastungsstörung – das sind fast ein Drittel. Rund 40 Prozent zeigen depressive Symptome. Aber nur 3,3 Prozent der Betroffenen erhalten überhaupt psychologische Hilfe. Das zeigt der Versorgungsbericht Juni 2025 der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosoziale Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF). Im Bericht heißt es: "Es fehlt an einer stringenten Priorisierung von Rehabilitationsmöglichkeiten für Überlebende von Folter und schwerer Gewalt."

Kämpfen um jeden Therapieplatz

Auch im Evangelischen Zentrum ist der Andrang groß. Isabel Hausmann betont: "Wir können nur absolute Notfälle aufnehmen. Und auch dann ist die Therapie oft mit Wartezeiten verbunden." Für Fachkräfte ist das unattraktiv, sagt Isabell Hausmann. Große Träger wie das Evangelische Zentrum können das besser abfedern, aber auch sie stoßen an Grenzen. "Am Anfang habe ich nur geweint, wenn ich von meiner Geschichte erzählt habe", beschreibt Jamshid die ersten Therapiesitzungen.

Er war überfordert und hat sich "extrem große Sorgen um meine Familie gemacht". Mit der steht er noch immer in Verbindung. Isabel Hausmann hat ihm Wege gezeigt, wie er mit diesen Gefühlen umgehen kann. Nach den 30 Therapiestunden schläft er besser, macht Sport und hat gelernt, sich in Deutschland zurechtzufinden. Die Dauer der Therapie ist individuell. Jamshid war etwa ein Jahr in Betreuung.

Sein Alltag ist durchgetaktet und gibt ihm Halt. "Von 7 bis 12 Uhr habe ich Deutschkurs." Danach lernt er in der Bibliothek weiter. Um 14 Uhr beginnt seine Arbeit. "Um 22 Uhr komme ich dann nach Hause – müde, aber glücklich." Jamshid ist nicht geheilt. Aber er hat etwas zurückgewonnen, was vielen Geflüchteten fehlt: Stabilität, Struktur, Sicherheit.

evangelisch.de dankt indeon.de für die inhaltliche Kooperation.